Prozess wegen Mietertransparent: Banner des Schreckens
Ein Mieter des linken Neuköllner Hotspot Friedel 54 wurde wegen eines Transparents am Balkon abgemahnt. Das Gericht plädiert für einen Kompromiss.
Freiheit ist immer Freiheit des Andersdenkenden.“ Rosa Luxemburgs berühmte Worte scheuchten gestern im herrschaftlichen Berliner Landgericht alte Geister auf. Sie fielen bei der gestrigen Verhandlung eines Konflikts mit tiefgehenden Implikationen: auf der einen Seite das Eigentumsinteresse, auf der anderen die freie Meinungsäußerung.
Der Zankapfel: ein Banner, das der Mieter Klaus Strohwig* seit 2015 an seinem Balkon direkt über dem linksalternativen Neuköllner Kiezladen Friedel54 angebracht hatte. Die Aufschrift: „Friedel54/M99/Rigaer/Köpi/Potse/Koze, Wir bleiben alle! Soziale und widerständige Orte schaffen und erhalten.“
Kaum war der linke Treffpunkt im Juni 2017 geräumt, mahnte die Eigentümerin, die luxemburgische Immobilienfirma Pinehill, ihren Mieter ab: Die Behängung der Fassade verletze sein Eigentumsrecht, weil das Banner den Wert der Immobilie mindere.
Mieter Strohwig wiederum klagte gegen die Mahnung, weil er eine Kündigung befürchtete. Er argumentierte mit dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Sowohl Amts- als auch Landgericht gaben ihm in ersten Verfahren recht. Doch der Bundesgerichtshof gab jedoch der Revision der Immobilienfirma statt.
Kompromiss statt Graffiti
„Die Verfassung schützt nicht jede Form der Meinungsäußerung“, erklärte die Richterin in der mehr als einstündigen Berufungsverhandlung. „Jetzt geht es um eine Abwägung, nicht um eine Zensur.“ Das Banner bringe durchaus die verbreitete Angst vor Verdrängung auf den Punkt.
Die Sorgen der Eigentümerin bezüglich einer erschwerten Vermietung seien aber nicht abwegig. Jedoch: „Das Gericht vermisst die Offenlegung des Kaufpreises um die behauptete Wertminderung nachzuprüfen“, so die Richterin. Hinzu kämen laut Mieteranwalt Theune kürzliche, teure Neuvermietungen: „So schlecht kann es ja nicht laufen“, sagte er.
Am Ende regte das Gericht eine außergerichtliche Einigung an. Ziel solle ein für alle Beteiligten akzeptables Banner sein. „Eine Annäherung könnte auch Beschmierungen und Ähnlichem auf längere Sicht vorbeugen“, so die richterliche Hoffnung.
„Sich die Meinung vom Vermieter erlauben zu lassen hat etwas von Zensur“, resümiert Strohwig, der in der Wohnung mit seinen drei Kindern wohnt. „Wir haben schon über einen Wettbewerb um die besten Bannersprüche gescherzt.“
„Der Richterin stimmen wir in einem zu“, so ein Friedel-Unterstützer süffisant. „Auch wir sehen da einen gewissen Kausalzusammenhang zwischen Intoleranz gegen unsere Banner und etwaige Grafitti-Aktionen.“ Bis vorgestern war auf der Friedel-Fassade übrigens ein Schriftzug in riesigen, roten Lettern zu lesen: „Enteignen, Aneignen, Selbstverwalten“.
*Name geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“