piwik no script img

Prozess wegen Attacke gegen LinkeRechter Pick-up-Fahrer vor Gericht

Er soll mit seinem Auto in Henstedt-Ulzburg gezielt auf linke De­mons­tra­ten:­in­nen gerast sein. Dafür muss Melvin S. bald vor Gericht.

Protest gegen rechten Terror: Auto-Attacken von Rechten sind keine Einzelfälle

N un muss er sich bald vor Gericht verantworten: Im Oktober 2020 soll Melvin S. mit seinem Pick-up gezielt Ge­gen­de­mons­tran­t:in­nen einer AfD-Veranstaltung im schleswig-holsteinischen Henstedt-Ulzburg angefahren haben. Die Staatsanwaltschaft Kiel hatte erst vor einem knappen Jahr Anklage wegen versuchten Totschlags gegen S. erhoben. Das Hauptverfahren sei eröffnet, erklärt nun die Pressestelle des Kieler Landgerichts. Doch eine genaue Terminierung des Verfahrens vor der Jugendstrafkammer kann die Pressestelle noch nicht benennen.

Die späte Anklage, aber auch die offene Terminierung verwundert. Beides könnte der allgemeinen Überlastung der Justiz geschuldet sein. Zweifel sind jedoch angebracht, ob die Behörden die richtigen Prioritäten setzen. Schließlich musste der Täter nicht aufwendig ermittelt werden. Noch vor Ort hatte die Polizei S. namentlich erfasst.

An jenem Samstagabend im Oktober 2020 hatte S., der rechtsextreme Kontakte pflegte, den Angriff verübt. Im Bürgerhaus war gerade eine AfD-Veranstaltung mit dem damaligen Bundessprecher Jörg Meuthen zu Ende gegangen. Protest gegen die AfD hatte die Veranstaltung in der Kleinstadt nahe Hamburg begleitet. Für S. war das offenbar zu viel: Mit seinem 3,5 Tonnen schweren Fahrzeug fuhr er auf einen Gehweg und verletzte dabei vier Demonstrierende. Eine Frau musste ins Krankenhaus.

„Ich dachte, ich sehe nicht richtig“, berichtete einer der Betroffenen der taz später. Er hatte den Fahrer zuvor mit weiteren Besuchern der Veranstaltung an sich vorbeigehen sehen. Zwei von ihnen seien in den Pick-up gestiegen und auf den Gehweg gebogen. „Und der Fahrer gab Vollgas und raste auf uns zu.“

Mit seinem 3,5 Tonnen schweren Fahrzeug fuhr er auf einen Gehweg und verletzte dabei vier Demonstrierende

Die kurze Distanz zwischen dem Auto und ihm sowie einem weiteren Demonstranten war schnell überwunden. „Er traf uns mit der Motorhaube. Wir wurden weggeschleudert“, sagte der 44-Jährige. Beide erlitten Prellungen und Schürfungen am Körper. Sein Begleiter wurde zudem am Kopf verletzt. Er sah noch, wie das Auto weiter auf dem Gehweg raste, eine Frau traf und dann auf die Straße fuhr.

Der Pressemitteilung der Polizei war der Verlauf seinerzeit nicht zu entnehmen: „Demonstranten der rechten und linken Szene gerieten außerhalb des Veranstaltungsgeländes aneinander. Dabei wurde im Rahmen eines Verkehrsunfalls eine Person der linken Szene schwer verletzt.“ Wegen „Aggressionsdelikten gegenüber Beteiligten und Polizeibeamten“ habe ein Beamter einen Warnschuss abgegeben.

Die Staatsanwaltschaft geht mittlerweile davon aus, dass S. seinen Pick-up bewusst auf den Gehweg gelenkt hatte. Die Auswertung von Zeugenaussagen sowie das Gutachten eines Unfallsachverständigen belegten, das S. in „Absicht“ gehandelt habe, um „einen Unglücksfall herbeizuführen“. Er habe dabei billigend „in Kauf“ genommen, „dass die von ihm angefahrenen Personen auch tödlich verletzt werden können“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Andreas Speit
Autor
Rechtsextremismusexperte, Jahrgang 1966. In der taz-Nord schreibt er seit 2005 die Kolumne „Der Rechte Rand“. Regelmäßig hält er Vorträge bei NGOs und staatlichen Trägern. Für die Veröffentlichungen wurde er 2007 Lokaljournalist des Jahres und erhielt den Preis des Medium Magazin, 2008 Mitpreisträger des "Grimme Online Award 2008" für das Zeit-Online-Portal "Störungsmelder" und 2012 Journalisten-Sonderpreis "TON ANGEBEN. Rechtsextremismus im Spiegel der Medien" des Deutschen Journalistenverbandes und des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt. Letzte Bücher: herausgegeben: Das Netzwerk der Identitären - Ideologie und Aktionen der Neuen Rechten (2018), Die Entkultivierung des Bürgertum (2019), mit Andrea Röpke: Völkische Landnahme -Alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos (2019) mit Jena-Philipp Baeck herausgegeben: Rechte EgoShooter - Von der virtuellen Hetzte zum Livestream-Attentat (2020), Verqueres Denken - Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus (2021).
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!