Prozess um mutmaßliche Nazi-Terroristen: „Leicht rechte Einstellung“
2015 terrorisierten Rechtsextreme in Freital Geflüchtete und Linke. Nun stehen erneut Angeklagte dafür vor Gericht.
Die Ereignisse wirken lange her. Heute diskutiert Freital wieder über fehlende Kitaplätze, über einen Coronafall am Gymnasium, über den nahenden 100. Stadtgeburtstag. Aber im Sommer 2015 gab es noch einen anderen Alltag. Damals kamen Geflüchtete in die Stadt. In Freital wurde darauf mit Hass reagiert. BürgerInnen und Rechtsextreme protestierten vor einer Asylunterkunft, es entstand eine Bürgerwehr, schließlich eine monatelange Anschlagsserie auf Unterkünfte und Linke-PolitikerInnen.
Die Gewaltserie sorgte bundesweit für Aufsehen, am Ende ermittelte die Bundesanwaltschaft. Bereits 2018 waren acht lokale Rechtsextremisten dafür zu hohen Haftstrafen bis zu zehn Jahren verurteilt worden – als organisierte Terrorgruppe. Nun folgt das Quartett vor Gericht, das laut Anklage die Kerngruppe unterstützte oder, wie die Ermittler inzwischen feststellten, selbst Teil von ihr war.
Vor allem Sebastian S., ein bulliger 27-Jähriger, mischte mit. Er soll Teil der Bürgerwehr FTL 360 gewesen sein, aus der heraus später die Terrorgruppe entstand. Mit dieser soll sich der Neonazi an einem der Anschläge auf eine Asylunterkunft beteiligt haben: Mit verstärkten Böllern wurde damals ein Fenster gesprengt, ein Geflüchteter durch einen Splitter im Gesicht und Auge verletzt. Die Sprengsätze hatten teils 130 Mal mehr Kraft als herkömmliches Feuerwerk. Die Tat wird als versuchter Mord gewertet.
Mit Hakenkreuz-Fahne, Bengalos und Hitlergrüßen
Auch bei einem Anschlag auf das Auto des früheren Freitaler Linke-Stadtrats Michael Richter und auf ein Büro von dessen Partei soll Sebastian S. dabeigewesen sein. An der Auto-Attacke soll sich auch Ferenc A. beteiligt haben. Stephanie T. soll die Gruppe unterstützt haben, sie war mit einem bereits Verurteilten liiert. Als dieser in Haft saß, bestärkte sie ihn darin, die „Kameraden“ nicht zu „verpfeifen“.
Angeklagt ist mit Dirk Abraham nun auch ein Mann, der bis 2019 noch für die NPD im Freitaler Stadtrat saß. Er soll Administrator der Facebookgruppe der Bürgerwehr gewesen sein, auch Teil einer Chatgruppe und damit ebenfalls Mitglied der Terrorgruppe. Für den Anschlag auf das Linke-Büro soll der 52-Jährige Tipps gegeben haben, etwa zum Sicherheitsglas der Frontscheibe. Zudem soll er mit Ferenc A. und anderen in Freital Parolen wie „Refugees not welcome“ oder „Kein Heim“ ans Rathaus und andere Wände geschmiert haben. Und bei einem Treffen der Gruppe zum Fotoshooting auf einem Freitaler Berg – mit Hakenkreuz-Fahne, Bengalos und Hitlergrüßen – sei Abraham dabei gewesen.
Vor Gericht verfolgen die vier Angeklagten die Vorwürfe der Dresdner Generalstaatsanwaltschaft ungerührt. In Haft sitzt ihnen niemand. Richter Hans Schlüter-Staats stellt Bewährungsstrafen in Aussicht – wenn es frühe Geständnisse gibt. Die Rechtsextremen kündigen darauf reihum an, aussagen zu wollen.
Ferenc A. beginnt. Statt eines Geständnisses aber folgt ein zähes Frage-Antwort-Spiel. „Stimmt schon alles, was mir vorgeworfen wird“, murmelt der Mann im schwarzen Hoodie. Er habe die anderen auf einer Kundgebung vor der Erstaufnahmestelle in Freital, dem früheren Hotel Leonardo, kennengelernt. Später habe man an der Tankstelle abgehangen. Als es darum ging, das Auto von Linke-Stadtrat Richter zu attackieren, habe er eingeworfen: „Warum fragt ihr nicht mich?“ Man habe sich nachts angeschlichen, Sebastian S. habe die Autoscheibe mit einem Baseballschläger eingeschlagen, er einen Sprengsatz hineingeworfen.
Eine „trügerische Ruhe“?
Schlüter-Staats fragt nach: Warum traf es diesen Politiker? „Er hat sich halt viel für die Asylanten eingesetzt und wir wollten das damals eben nicht so.“ Und die Geflüchteten, die sollten weg? Ferenc A. nickt. „Nu, das war Hauptthema.“ Sonst aber will sich A. an kaum noch etwas erinnern. Man sei mal nach Dresden zur Demo gefahren, mal nach Heidenau, wo es rechte Randale gab. Konkreteres aber, Namen von Beteiligten? „Das weiß ich nimmer“, antwortet A. immer wieder. Wie er denn damals politisch eingestellt war, fragt ein Opferanwalt. „Leicht rechte Einstellung.“
Auch Stefanie T. weist fast alles von sich. Sie war zwar Anmelderin einer der ersten Anti-Asyl-Kundgebungen in Freital, zudem im zentralen Chat der späteren Kerngruppe, in der sich laut Selbstdefinition „ausschließlich die Terroristen“ sammelten. Dort aber will sie nur hinzugefügt worden sein. Wirklich gelesen habe sie nichts, „das hat mich nicht interessiert.“ Auch beim Hakenkreuz-Foto auf dem Berg sei sie nur „spontan dazugestoßen“.
Äußern sich die anderen ähnlich, könnte es eine langwierige Beweisaufnahme werden – in der auch einige der bereits Verurteilten aussagen könnten. Vier von ihnen sind inzwischen wieder auf Bewährung frei. Gegen drei Verdächtige im Freital-Komplex wird dagegen bis heute ermittelt.
Eines ihrer Opfer war damals Steffi Brachtel. Die Linke-Lokalpolitikerin engagierte sich für Geflüchtete in Freital, stellte sich gegen die Rassisten – und wurde zu deren Ziel. Brachtels Name wurde, versehen mit Drohungen, an Wände gesprüht, ihr Briefkasten gesprengt, ihr Sohn angegriffen. Im Prozess wird Brachtel als Zeugin aussagen. Ja, es sei ruhiger geworden in Freital, sagt auch die 44-Jährige. „Ich weiß aber nicht, ob es eine trügerische Ruhe ist.“ Denn viele Leute, die gegen die Geflüchteten mobil machten, seien ja noch da. Und im nahen Dresden organisiere sich gerade eine neue Kameradschaft.
Tatsächlich hatte Freitals Oberbürgermeister Uwe Rumberg die Taten zunächst heruntergespielt. Er kritisierte dafür ebenso die Asylpolitik und einige Geflüchtete als „Glücksritter“. Im Juni diesen Jahres dann trat er mit acht anderen Lokalabgeordneten aus der CDU aus, wegen „großen inhaltlichen Differenzen zu verschiedenen politischen Themen“, auch der Asylpolitik. Die AfD, seit 2019 stärkste Kraft im Stadtrat, frohlockte über den „mutigen Schritt“.
Steffi Brachtel bleibt deshalb auf der Hut. Die Stimmung könne auch irgendwann wieder kippen, fürchtet sie. Gerade jetzt, da in der Corona-Krise viele wieder rechten Verschwörungen anhingen. „Wir müssen aufpassen“, sagt Brachtel. „Und ich mache weiter den Mund auf, wenn nötig.“
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