Prozess um S21-Polizeieinsatz: Verfahren steht auf der Kippe
Das Gericht entscheidet am Mittwoch über die Einstellung des Wasserwerferprozesses. Die Anti-S21-Bewegung spricht von einem Justizskandal.
STUTTGART taz | Jeder Sonnenstrahl erinnert Daniel Kartmann an den „Schwarzen Donnerstag“. Seine Pupille zieht sich nicht mehr zusammen, seit er bei der gewaltsamen Schlossparkräumung vor vier Jahren von einem Wasserwerfer ins Auge getroffen wurde.
Dass der Prozess gegen zwei Polizeieinsatzleiter jetzt eingestellt werden soll, empfindet Kartmann als „Schlag ins Gesicht“. Er hat gehofft, dass Schuldige klar benannt werden. Diese Hoffnung droht zu zerplatzen.
Seit fünf Monaten wird am Stuttgarter Landgericht gegen zwei Polizisten verhandelt. Ihnen wird fahrlässige Körperverletzung im Amt vorgeworfen. Unter ihrer Führung haben Polizisten Schlagstöcke, Pfefferspray und Wasserwerfer eingesetzt.
130 Demonstranten und 34 Polizisten wurden nach offizieller Zählung des Innenministeriums verletzt, die Parkschützer sprechen von fast 400 Verletzten.
Staatsanwaltschaft hat zugestimmt
Nun hat das Gericht vorgeschlagen, das Verfahren gegen Zahlung einer Auflage einzustellen. Die Staatsanwaltschaft hat nach eigenen Angaben bereits zugestimmt. „Eine Einstellung ist kein Freispruch“, sagte eine Sprecherin der Behörde.
Die Staatsanwaltschaft sei weiterhin überzeugt, dass das Verhalten der Polizisten strafbar gewesen sei. „Aber in der bisherigen Beweisaufnahme hat sich eine geringe Schuld dargestellt.“
Auch die Angeklagten müssen zustimmen. Deren Anwälte wollten sich auf taz-Anfrage nicht äußern. Die Nebenkläger, zu denen neben Kartmann auch der erblindete Dietrich Wagner gehört, können hingegen lediglich Stellungnahmen abgeben. Eine Entscheidung wird laut Gericht am Mittwoch verkündet.
Für Frank-Ulrich Mann, Anwalt von Dietrich Wagner, zeigt die Zustimmung der Staatsanwaltschaft, „dass sie nicht an ihre eigene Anklage geglaubt hat“. Die Geldauflage in Höhe von 3.000 Euro, die das Gericht vorgeschlagen habe, sei „ein Ramschpreis, geradezu lächerlich“.
Matthias von Herrmann, Sprecher der S-21-Gegner „Parkschützer“, spricht von einem Justizskandal. Es sei nicht nachvollziehbar, dass ausgerechnet jetzt über eine Einstellung diskutiert wird.
Die angeklagten Polizisten waren zuletzt von Exoberstaatsanwalt Bernhard Häußler belastet worden: Sie hätten die Verhältnismäßigkeit des Wasserwerfereinsatzes vor Ort beurteilen müssen. Dass das Gericht vor Kurzem Verhandlungstermine bis März festgelegt und weitere Zeugen geladen hat, passt ebenfalls nicht ins Bild.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Fortschrittsinfluencer über Zuversicht
„Es setzt sich durch, wer die bessere Geschichte hat“