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Prozess um S21-PolizeieinsatzVerfahren steht auf der Kippe

Das Gericht entscheidet am Mittwoch über die Einstellung des Wasserwerferprozesses. Die Anti-S21-Bewegung spricht von einem Justizskandal.

Die Polizei setzte im September 2010 Wasserwerfer gegen die Demonstranten ein. Unter ihnen war Dietrich Wagner, der dadurch auf einem Auge erblindete. Bild: dpa

STUTTGART taz | Jeder Sonnenstrahl erinnert Daniel Kartmann an den „Schwarzen Donnerstag“. Seine Pupille zieht sich nicht mehr zusammen, seit er bei der gewaltsamen Schlossparkräumung vor vier Jahren von einem Wasserwerfer ins Auge getroffen wurde.

Dass der Prozess gegen zwei Polizeieinsatzleiter jetzt eingestellt werden soll, empfindet Kartmann als „Schlag ins Gesicht“. Er hat gehofft, dass Schuldige klar benannt werden. Diese Hoffnung droht zu zerplatzen.

Seit fünf Monaten wird am Stuttgarter Landgericht gegen zwei Polizisten verhandelt. Ihnen wird fahrlässige Körperverletzung im Amt vorgeworfen. Unter ihrer Führung haben Polizisten Schlagstöcke, Pfefferspray und Wasserwerfer eingesetzt.

130 Demonstranten und 34 Polizisten wurden nach offizieller Zählung des Innenministeriums verletzt, die Parkschützer sprechen von fast 400 Verletzten.

Staatsanwaltschaft hat zugestimmt

Nun hat das Gericht vorgeschlagen, das Verfahren gegen Zahlung einer Auflage einzustellen. Die Staatsanwaltschaft hat nach eigenen Angaben bereits zugestimmt. „Eine Einstellung ist kein Freispruch“, sagte eine Sprecherin der Behörde.

Die Staatsanwaltschaft sei weiterhin überzeugt, dass das Verhalten der Polizisten strafbar gewesen sei. „Aber in der bisherigen Beweisaufnahme hat sich eine geringe Schuld dargestellt.“

Auch die Angeklagten müssen zustimmen. Deren Anwälte wollten sich auf taz-Anfrage nicht äußern. Die Nebenkläger, zu denen neben Kartmann auch der erblindete Dietrich Wagner gehört, können hingegen lediglich Stellungnahmen abgeben. Eine Entscheidung wird laut Gericht am Mittwoch verkündet.

Für Frank-Ulrich Mann, Anwalt von Dietrich Wagner, zeigt die Zustimmung der Staatsanwaltschaft, „dass sie nicht an ihre eigene Anklage geglaubt hat“. Die Geldauflage in Höhe von 3.000 Euro, die das Gericht vorgeschlagen habe, sei „ein Ramschpreis, geradezu lächerlich“.

Matthias von Herrmann, Sprecher der S-21-Gegner „Parkschützer“, spricht von einem Justizskandal. Es sei nicht nachvollziehbar, dass ausgerechnet jetzt über eine Einstellung diskutiert wird.

Die angeklagten Polizisten waren zuletzt von Exoberstaatsanwalt Bernhard Häußler belastet worden: Sie hätten die Verhältnismäßigkeit des Wasserwerfereinsatzes vor Ort beurteilen müssen. Dass das Gericht vor Kurzem Verhandlungstermine bis März festgelegt und weitere Zeugen geladen hat, passt ebenfalls nicht ins Bild.

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25 Kommentare

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  • http://www.kontextwochenzeitung.de/politik/242/kurzer-prozess-3269.html

    Jetzt, Nov 2015, kommt heraus alles war Rechtswidrig, Wasserwerfereinsatz, Auflösung der Demo, alles was die Polizei gemacht hat. Die Einstellung des Verfahrens wäre demnach Rechtsbeugung. Hoffentlich klagt jemand, der Demokratie und des Rechtsstaats wegen. Bitte!

  • Gerichtsentscheidungen von außen zu beurteilen erscheint mir immer kompliziert.

     

    Relevanter ist dabei imo, welche Schlüsse auf die Gesetzgebung dabei gezogen werden können. Immerhin ist hier ein Mensch erblindet und ein anderer in seiner Sehfähigkeit stark eingeschränkt worden, was der Gemeinschaft hohe Kosten verursachen sollte.

    Wenn die Schuld des einzelnen Beamten dabei "gering" ist nach heutiger Rechtslage, dann muss unser Rechtsstaat solche Folgen ja wohl auch einkalkulieren bzw. wissen, dass ein Polizist nur gering darauf Einfluß nehmen kann, ob ein Mensch bei einem Wasserwerfereinsatz erblindet. Hier wäre wohl in erster Linie das baden-württembergische Innenministerium gefragt, mal offen zu legen, wie deren Einschätzung bei Wasserwerfern ist, wenn derjenige, der sie verantworten soll, nur "gering" auf die Folgen des Einsatzes Einfluß haben kann.

    • @Age Krüger:

      Die Beurteilung einzelner Gerichtsentscheidungen ist sicher immer kompliziert, aber die Beurteilung der Tendenzen, die sich aus einer Vielzahl von Gerichtsentscheidungen abzeichnen, ist dann doch nicht so'n Riesending. "Die Kleinen hängt man und die Großen lässt man laufen."

      • @Rainer B.:

        Genau das aber meine ich.

         

        "Die Großen" sind hier imo die Menschen in den Innenministerien und Polizeipräsidien, die Richtlinien für Wasserwerfereinsätze aufstellen, obwohl sie von der Gefährlichkeit wissen könnten und, sofern die Behauptung des Gerichtes stimmt, der Polizist habe nur "geringe" Schuld eben dem zuständigen Beamten nicht genug Spielraum lassen, dann auf einen Einsatz verzichten zu können, wenn er Menschen gefährdet.

        • @Age Krüger:

          Ok! Wobei man doch schon sagen muss, dass jeder einzelne Polizist bei seinen Einsätzen immer auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten hat. Mit einem derartigen Wasserdruck auf die Köpfe von Menschen zu zielen gehört sicher nicht dazu und überhaupt ist ein Wasserwerfereinsatz auf vereinzelte Personen, von denen erkennbar gar keine Gefahr ausgeht, völlig unverhältnismäßig.

          • @Rainer B.:

            Es dürfte vermutlich auch eine psychologische Komponente, nämlich die des Korpsgeistes und der Kameraderie (den anderen Jungs mal zeigen, was man drauf hat, dadurch internen Status und Anerkennung erwerben) nicht unbedeutend gewesen sein. Das Ganze vor dem bewußten Hintergrund, daß man, was auch immer passiert, juristisch und disziplinarisch kaum in ernstlichem Maße belangt werden wird.

  • Ach ja was fehlt:

     

    Wasserwerfer-Urteil: Gericht bestraft Polizisten für Stuttgart-21-Einsatz. Knapp drei Jahre nach dem Wasserwerfereinsatz bei Protesten gegen Stuttgart 21 sind drei Polizisten verurteilt worden. Laut "Stuttgarter Zeitung" bekamen zwei von ihnen Bewährungsstrafen, der Dritte erhielt eine Geldstrafe.

     

    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/polizisten-wegen-wasserwerfer-einsatz-bei-stuttgart-21-verurteilt-a-918743.html

    • @Arcy Shtoink:

      Bauernopfer, lediglich. Diese noch nur mit dem Wattenbäuschchen gezüchtigt.

  • Wow, hätte nicht gedacht, mal in der taz bzw. in den Kommentaren zu lesen, dass unsere Justiz zu lasch sei. Wieder was gelernt.

    • @Sophokles:

      Um´s wie, wann und warum geht´s, weniger um´s ob.

    • @Sophokles:

      Nee, ich glaub nicht, dass es einfach nur um ein mildes Urteil geht. Es geht darum, dass das Verfahren einfach eingestellt werden soll ohne große Verhandlung. Denn bei der Verhandlung würde sich möglicherweise die Frage der wahren Verantwortlichkeit stellen.

  • So bitter es sich anhört, vor allem für die Opfer, aber 3000 Euro ist ein "normales" Strafmaß für fahrlässige Körperverletzung.

     

    Im Gegensatz zur vorsätzlichen Körperverletzung unterscheidet das Gesetz bei der fahrlässigen nicht, ob sie einfach, schwer oder gefährlich war.

     

    Das wirklich schlimme ist doch, dass die beiden angeklagten Polizisten nur Bauernopfer sind. Ähnlich wie nach dem Unglück bei der Loveparade in Duisburg werden auch hier die wirklich verantwortlichen nicht belangt.

  • 3000 € für eine Tat die zum Erblinden führte - das ist schon sehr bedenklich.

    Einer meiner Söhne (1,65/65 kg) wurde kürzlich von mehreren Polizisten brutalst zusammengeschlagen, weil er (betrunken) ein bisschen frech wurde anlässlich der Sperrung eines S-Bahn Gleises wegen Fussballspiels. Er selbst erlitt eine schwere Gehirnerschütterung, angebrochene Rippe, blaue Flecke im Gesicht und am ganzen Körper - ein Polizist ließ sich 3 Wochen krank schreiben wegen Sehnenscheidenentzündung. Dafür musste mein Sohn dann 1.600 € blechen, bzw. er bezahlt jetzt noch, weil er kaum Einkommen hat.

     

    So stehen also die Dinge heutzutage, in unserer schönen, freien Welt: Bist du ein einfacher Bürger, womöglich noch arm, hast du kaum ein Recht oder Möglichkeiten Einfluss zu nehmen. Und daran ändern auch die Wahlen nichts.

    • 7G
      774 (Profil gelöscht)
      @Ute Krakowski:

      Eine Sehnenscheidenentzündung rührt ja wohl nicht von einer Gewalttat her. Das hätten sie anfechten sollen.

       

      Und ich muß Ihnen absolut Recht geben, daß man sich in einer geradezu aussichtslosen Position befindet, wenn man sich in D. gegen irgendetwas verteidigen muß. Wer nicht genug Geld für einen guten Verteidiger hat, hat schon verloren.

  • 7G
    774 (Profil gelöscht)

    Es ist allgemein bekannt, daß die Staatsanwaltschaft, als Weisungsbefugte der Polizei, diese auch gegen alle Anschuldigungen deckt. Die Polizei bringt schließlich den Anklägern auch die tollen Fälle, mit denen sich trefflich Karriere machen läßt. Daß da ab und zu mal ein Unschuldiger dabei ist, wird billigend in Kauf genommen. Schließlich wollen auch die Schergen aufsteigen.

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    ....aber wehe jemand stellt sein Auto 10 Minuten zu lange an der Parkuhr ab...

    • @1714 (Profil gelöscht):

      Werden die Politessen nun auch schon gewalttätig?

  • Da die Staatsanwaltschaft weisungsgebunden ist, müsste sich der Justizminister mal kundig machen: Er weist sich bisher als Fachmann für Kommunalwesen, Bau- und Planungsrecht aus. Wenn das alles stimmt, was die taz da schreibt, haben die Grünen ihren zweiten Anpassungsskandal ans "christliche" unserer deutschen demokratischen Republik...

    • @Gottfried Scherer:

      Der Justizminister ist ein SPDler. Dass diese Partei recht "angepasst" ist, ist nicht gerade neu.

    • @Gottfried Scherer:

      Ist die Justiz nun auch schon nicht mehr unabhängig und rot rot grün unterwandert?

      • @Arcy Shtoink:

        Grün-Rot und gar nicht unterwandert, sondern strukturell weniger Unabhängig als vermutet.

         

        Außerdem verwechseln Sie mal wieder West und Ost.

  • „Aber in der bisherigen Beweisaufnahme hat sich eine geringe Schuld dargestellt.“

     

    Jaja, Recht und Gerechtigkeit..."geringe Schuld"...Die wissen ja überhaupt nicht wovon sie reden. Da greift die Polizei die eigene Bevölkerung in einem Ausmaß an, dass man so nur von diktatorischen Regimes kennt (Pfefferspray ist eine Chemiewaffe und das dort Menschen blind geworden sind, sollte ja auch nicht von der Hand zu weisen sein)...und die haben die Dreistigkeit was von "geringer Schuld" zu faseln.

  • Sieht so aus, als traut sich die Staatsanwaltschaft Ihren Job dann doch nicht mehr zu. Könnte man auch als überzeugendes Plädoyer für Selbstjustiz verstehen.

    • @Rainer B.:

      Staatsanwälte sind weisungsgebunden ;)

      • @Willi:

        Aber nicht an Weisungen des Gerichts. Da müsste schon der Generalstaatsanwalt oder der Justizminister zurückgepfiffen haben und vermutlich wär es dann erst gar nicht zur Klage gekommen.