Prozess gegen katalanische Politiker: Erst Madrid, dann Straßburg?
Wenn Spaniens Justiz die angeklagten katalanischen Politiker verurteilt, wollen diese wohl vor das Europäische Menschenrechtsgericht.
Denn vor dem Obersten Gericht Spaniens müssen sich seit Dienstagmorgen zwölf Angeklagte wegen des katalanischen Unabhängigkeitsreferendums verantworten. Die Gruppe besteht aus dem ehemaligen Vizepräsidenten der katalanischen Regierung, Oriol Junqueras, einem Großteil seiner Minister, der ehemaligen Präsidentin des Autonomieparlaments, Carme Forcadell, sowie den beiden Aktivisten Jordi Sánchez und Jordi Cuixart von der Katalanischen Nationalversammlung und dem Kulturverein Òmnium.
Ihnen allen wird „Rebellion“, „Aufstand“ und „Veruntreuung öffentlicher Gelder“ vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft fordert zwischen 17 und 25 Jahre Haft in dem Mammutverfahren mit über 500 Zeugen, das mindestens drei Monate dauern soll. Die rechtsextreme Partei VOX, die als Nebenklägerin auftritt, bis zu 74 Jahre. Das Referendum sei „das schlimmste Vergehen gegen die Verfassung seit ihrem Inkrafttreten im Jahr 1978“, erklärte deren Parteisprecher Espinosa de los Monteros sogar – und vergaß dabei geflissentlich den gescheiterten Militärputsch in Spanien am 23. Februar 1981.
Vor dem weiträumig abgesperrten Gerichtsgebäude im Zentrum Madrids versammelten sich zum Auftakt mehrere Hundert Menschen, um gegen das Verfahren zu demonstrieren. In einer langen Schlange drängten sich Menschen vor dem Eingang, um einen der 100 Zuhörerplätze zu ergattern.
Verfechter der spanischen Einheit fordern Haft
„Strafrechtlich gesehen macht das alles keinen Sinn“, beschwerte sich der aktuelle katalanische Parlamentspräsident Roger Torrent, der sich neben weiteren katalanischen und baskische Abgeordneten in Madrid eingefunden hatte. Die Bewegung vor dem Referendum und am Tag der Abstimmung selbst sei friedlich gewesen, so Torrent. „Rebellion“ oder „Aufstand“ sei deshalb nicht gegeben. Er nahm ebenso wie der katalanische Regierungschef Quim Torra anschließend auf den Zuschauerbänken des Gerichtssaals Platz.
Andreu Van Den Eynde, Verteidiger
Aber auch Gruppen von Verfechtern der spanischen Einheit zogen mit Fahnen durch die Seitenstraßen rund um das Gerichtsgebäude. Sie forderten Haft für den einstigen katalanischen Regierungschef Carles Puigdemont. Dazu aber wird es nicht kommen: Er befindet sich in Belgien auf freiem Fuß, nachdem das Oberlandesgericht in Schleswig-Holstein seine Auslieferung wegen „Rebellion“ verweigert hat. Die Richter sahen keine Gewalt gegeben, die das gerechtfertigt hätte.
Im Gerichtssaal ergriff dann Andreu Van Den Eynde, Verteidiger von Vizeregierungschef Junqueras, als erster Anwalt das Wort. „Dieses Verfahren verletzt das Recht, frei zu protestieren“, beschwerte er sich. Die spanische Justiz habe „alle verfassungsgemäßen Freiheiten verletzt“, sie verfolge „Dissidenten“.
In seiner langen Ausführung zitierte Van Den Eynde immer wieder Urteile des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs. Alle Proteste, die in Katalonien stattgefunden haben, seien von dieser Rechtsprechung geschützt. Der Hinweis an die Richter ist klar. Sollten die zwölf Angeklagten wegen „Rebellion“ und „Aufstand“ verurteilt werden, ziehen sie nach Straßburg. Das Verteidigerteam rechnet sich dort gute Chancen aus.
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