Prozess gegen Reichsideologin: Nicht von dieser Welt
Vor dem Landgericht Lüneburg propagierte eine 61-Jährige Reichsideologin ihre Überzeugungen und verweigerte ansonsten jegliche Kooperation.
Im Saal 21 sprach der Vorsitzende Richter Michael Herrmann die Angeklagte energisch an, als diese ausführte, dass die Bundesrepublik nur eine Firma sei und der angebliche Rechtsstaat keine Rechtskraft habe. Schnell war klar: Herrmann lässt Werding diesen Prozess nicht als politische Bühne für Reichsideologien nutzen. Sie solle keine vermeintliche „Rechtsvorlesung“ mit fiktiven Annahmen halten, ermahnte er.
Die erste lautstarke Unterbrechung löste dann ein Zuhörer aus. Werding hatte Unterstützung im Saal. Ein stämmiger Mann mit Glatze war im szenetypischem Schick gekommen. Hinter dem Sicherheitsglas, das die Zuhörenden von den Prozessbeteiligten trennte, schimpfte er über den Richter.
Diese Provokation unterband Herrmann ebenfalls sofort. Justizbeamte wies er an, die Personalien des Mannes festzustellen. Murrend begleitete er sie in den Flur. Bei der Verkündung der Ordnungsstrafe von 300 Euro bestätigte sich die Annahme eines Journalisten: Der Störer war Dirk Bahlmann, langjähriger NPD-Funktionär aus dem mecklenburg-vorpommerschen Löcknitz.
Zuvor hatte eine Justizbeamtin die Angeklagte in Handschellen zu ihrem Platz geführt. Werding trug ein schlichtes Kleid und einen hellen Blazer. Sie sitzt bereits seit einem halben Jahr in Untersuchungshaft.
Die Reichsbürger*innen-Bewegung ist kein neues Phänomen. Die erste solche Gruppierung gründete sich 1985 in Berlin: die „Kommissarische Reichsregierung“ (KRR).
In Niedersachsen gibt es laut Verfassungsschutzbericht 900 Reichsbürger:innen, davon seien etwa 50 überzeugte Rechtsextremist:innen.
Die Anhänger:innen lehnen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland ab, verweigern beispielsweise Ausweisdokumente und fühlen sich nicht an herrschende Gesetze gebunden.
Sie nutzen häufig verschwörungstheoretische Argumentationsmuster.
Im Gerichtssaal zeigte sie schon bei der Feststellung ihrer Personalien, dass sie nicht vorhatte zu kooperieren. Ganz im Stil der Reichsideologiebewegten wollte sie ihren Namen nicht bestätigen. Die mögliche Logik dahinter: Wenn sie mitspielte, wäre sie Teil der „Firma BRD“ und würde die Gerichtsbarkeit anerkennen.
Irgendwann antwortet sie dann doch, setzte aber ein „vom Stamme“ vor ihren Nachnamen. Eine übliche Formulierung in dieser Bewegung, zu denen das Bundesamt für Verfassungsschutz 21.000 Personen zählt.
Mit leichtem Lächeln hörte Werding der Anklageverlesung zu. Ihren Kopf mit den kurzen, dunklen Haaren und hellen Strähnen schüttelte sie ab und zu leicht. Für sie ist die Anklage eine Farce.
In fast 30 Minuten hielt die Staatsanwältin ihr vor, seit dem 23. Mai 2020 unter anderem in Hannover den organisatorischen Zusammenhalt der illegalen Strukturen des verbotenen Vereins gefördert zu haben – mit dem Ziel, ein eigenes staatliches System zu errichten. Über soziale Medien wie Telegram, Youtube und Instagram habe sie mit verschiedenen Namen Vereinsideologie und Propagandamaterial verbreitet sowie kostenpflichtige Veranstaltungen beworben.
Sie habe auch die „Anordnung“ erlassen, dass „Nichtbeheimatete“ das Land zu verlassen hätten, wobei „Beheimatete“ nur deutschsprachige Menschen mit deutschstämmigen Ahnen werden könnten. Sie habe außerdem eine fiktive Anwaltskanzlei geschaffen, um darüber kostenpflichtige, vereinstypische Leistungen wie „Akkreditierungen“ für Anwält*innen, Hebammen und Ärzt*innen anzubieten, führte die Staatsanwältin aus.
Die Anklage umfasst denn auch das Verwenden und Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung und den Missbrauch von Berufsbezeichnungen.
Im Stehen bezog Wering dazu Stellung. Durch den Postvertrag von 1861 habe sie das Recht, mit „lebenserklärenden Menschen“ Grund und Boden selbst zu verwalten. Sofort schritt der Richter wieder ein. Zur Sache solle sie sprechen. Er stelle die Fragen und könne ihr auch das Sprechen untersagen.
Nach dem Wortwechsel erfolgte die zweite Unterbrechung. Der Richter schlug vor, dass die Angeklagte noch einmal mit ihrem Verteidiger sprechen solle. Keine 20 Minuten später bat der Pflichtverteidiger das Gericht darum, seine Mandantin doch noch etwas mehr ausführen zu lassen, um ihr Denken nachvollziehen zu können. Sie sei „zu tiefst überzeugt“, was bei dem Verfahren berücksichtigt werden müsse.
So durfte Werding im Saal doch noch ausführen, dass sie nur wolle, dass die Menschen glücklich seien und die Natur geschützt werde. Doch internationale Konzerne und Orden würden das Glück verhindern. Sie beklagte zudem den angeblichen Einfluss von „Juden“, „Kirchen“ und „Freimaurern“. „Die Rothschilds“ nannte sie namentlich.
In Niedersachsen begann Werding mit dem Verein „Osnabrücker Landmark“ ihre reichsideologische Karriere. In der männlich dominierten Szene ist sie als leitende Frau eine Ausnahme.
Am 19. März 2020 verbot das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) den Verein „Geeinte deutsche Völker und Stämme“. Werding war hier „Generalbevollmächtigte“. Der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) warf der insgesamt rund 120 Mitglieder zählenden Gruppe vor, „rassistische und antisemitische Schriften zu verbreiten und damit unsere freiheitliche Gesellschaft systematisch zu vergiften“. Auch habe diese gegen Amtsträger und ihre Familien „verbale Militanz und massive Drohungen“ ausgeübt.
Über 400 Einsatzkräfte durchsuchten damals Wohnungen von 21 führenden Vereinsmitgliedern in zehn Bundesländern. Sie stellten Schusswaffen, Baseballschläger und Propagandamaterialien sicher.
Eben diesen Verein soll Werding fortgeführt haben. Drei weitere Verhandlungstage sind geplant.
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