Prozess gegen Laurent Gbagbo: Die Narben sind nicht gut verheilt
In Den Haag steht nur Laurent Gbagbo, der Expräsident der Elfenbeinküste, vor Gericht. Doch auch Verbrechen seiner Gegner sind dokumentiert.
„Da fing es an“, sagt die Mutter von vier Kindern, „das ist die erste Rechnung des Krankenhauses.“ Dorthin kam sie, als sie am 28. November, dem Tag der Stichwahl, zusammengeschlagen wurde. In die zweite Runde waren damals Amtsinhaber Laurent Gbagbo und sein Herausforderer Alassane Ouattara eingezogen. Nach Jahren des Bürgerkriegs war der Urnengang extrem umkämpft. Ouattara gewann ihn schließlich, was Gbagbo jedoch nicht akzeptieren wollte. Bis zu dessen Verhaftung am 11. April 2011 starben mehr als 3.000 Menschen bei Krieg und Unruhen. Ab heute steht Gbagbo dafür beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag vor Gericht.
Kadi Coulibaly wollte keine Gewalt, sondern nur in Ruhe ihre Stimme abgeben. „Für Gbagbo“, sagt sie. „Der hatte für mich das bessere Programm“, sagt sie. Gewählt hat sie in ihrer Heimatstadt Korhogo im Norden, einer Hochburg Ouattaras. An das, was genau im Wahllokal geschah, hat sie nur noch verschwommene Erinnerungen. „Irgendjemand nahm mich mit. Ich musste mich ausziehen, wurde geschlagen. Später kam ich ins Krankenhaus und schließlich nach Abidjan.“
Sie zeigt auf ihre Beine. Die Haut ist vernarbt. Ein schlecht verheilter Knochenbruch sorgt wohl dafür, dass ihr bis heute das Laufen große Schmerzen bereitet. Sie raschelt in ihrem großen Umschlag. „Das sind die ganzen Rechnungen für Untersuchungen und Behandlungen. Glaub nicht, dass mich irgendjemand unterstützt hatte.“
Kadi Coulibaly, Gbagbo-Wählerin
Wer hinter dem Angriff steckte, weiß die 45-Jährige nicht. Sie geht davon aus, dass es Anhänger des Wahlsiegers und heutigen Präsidenten Ouattara waren. „Die Leute haben uns vorgeworfen, Geld zu bekommen, wenn wir für Gbagbo stimmen. Und sie haben gesagt: Ouattara wird gewinnen.“
Wie Kadi aus Korhogo verstehen viele in Abidjan heute nicht, dass in Den Haag nur das Gbagbo-Lager vor Gericht steht. Denn es gilt als sicher, dass auch Ouattaras Truppen für Verbrechen verantwortlich sind. Sie sind teilweise gut dokumentiert. Doch gegen einen amtierenden Präsidenten zu ermitteln – das ist für den ICC so gut wie unmöglich. Schließlich werden Zugänge zu Archiven und Zeugen sowie Kooperation mit der Regierung benötigt.
Der Wahlstreit: Im November 2010 verlor in Elfenbeinküste Präsident Laurent Gbagbo die Wahlen gegen Oppositionsführer Alassane Ouattara. Er ließ das Wahlergebnis annullieren, Gewalt breitete sich aus, Tausende Menschen starben. Im April 2011 nahmen Ouattara-treue Rebellen mithilfe französischer Eingreiftruppen Gbagbo fest.
Der Prozess: Seit November 2011 sitzt Gbagbo beim Internationalen Strafgerichtshof in Haft. Morgen beginnt gegen ihn und seinen einstigen Jugendmilizenführer Charles Blé Goudé der Prozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
„Es ist schon merkwürdig, dass sich alles nur um Gbagbo dreht“, sagt in Abidjan ein Taxifahrer, der den Prozess vor dem ICC eigentlich befürwortet. Seinen Namen möchte er nicht nennen. Er bleibt vorsichtig. „Ich habe so viel gesehen. Schlägereien, Tote. Das waren nicht nur Gbagbos Leute.“
Auch Kadi Coulibaly ist skeptisch, wie viel Sinn der Prozess ergibt. Er soll zwar beweisen, dass auch Staatsoberhäupter für mögliche Gräueltaten zur Verantwortung gezogen werden. Den zahlreichen zivilen Opfern soll er vermitteln, dass zumindest ein Anfang gemacht wird bei dem Versuch, Gerechtigkeit wiederherzustellen und Straflosigkeit zu vermeiden.
„Aber dass wir anschließend versöhnter sind, das glaube ich nicht“, sagt Kadi Coulibaly. „Dazu herrscht noch viel zu viel Misstrauen. Auf der Straße schaue ich mir oft die Leute an und frage mich, auf welcher Seite sie wohl gestanden haben.“
Am liebsten wäre ihr deshalb eine Geste des Präsidenten Ouattara. Er kündigte nach seiner Wiederwahl Ende Oktober 2015 an, sich intensiv um Versöhnung zu kümmern. „Ich habe überhaupt nichts gegen Ouatttara. Aber ich wünsche mir, dass er Gbagbo die Hand reicht. Er ist doch sein Bruder.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“