Prozess gegen LKA-Beamte: Im Auftrag grauer Männer
In Nürnberg stehen sechs LKA-Beamte vor Gericht. Sie sollen sich über das Gesetz hinweggesetzt und einen V-Mann auf Raubzug geschickt haben.
Dann verlesen die Staatsanwälte eine 25 Seiten lange Anklageschrift. Der Sachverhalt ist kompliziert. Was den sechs Männern, allesamt Beamten des bayerischen Landeskriminalamts, vorgeworfen wird, hat es jedoch in sich. Sollte die Verteidigung die Vorwürfe nicht entkräften können, kann man getrost von einem LKA-Skandal sprechen.
Die Vorwürfe reichen bis ins Jahr 2011 zurück: Es ist September, die Bandidos sind mal wieder auf Beutezug, diesmal in Dänemark. Einige Rocker aus Regensburg haben in Padborg mehrere Minibagger und andere Nutzmaschinen gestohlen. Die Beute soll einen Wert von 50.000 Euro haben. Mit gefälschten Frachtbriefen bringen die Bandidos die Maschinen auf zwei Lkws über die Grenze. Mutmaßliches Ziel: der Kosovo. Eingebaute GPS-Sender ermöglichen es der Polizei jedoch, das Diebesgut zu orten, auf einer Autobahnraststätte in der Oberpfalz endet die Fahrt.
Der Raubzug der Rocker ist gewiss keine Bagatelle. Besondere Brisanz erhält er dadurch, dass auch die sechs LKA-Beamten in ihn verwickelt sein sollen, die nun in Nürnberg vor Gericht stehen. Denn der Mann, der einen Großteil der Beute transportierte, war V-Mann des LKA. Und glaubt man ihm, handelte er im Auftrag seiner dortigen Kontaktleute. Am Ende soll er sogar eine Aufwandsentschädigung vom Landeskriminalamt bekommen haben: 1.110 Euro. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg glaubt ihm.
Den grauen Männern werden nun Diebstahl, Strafvereitelung im Amt, uneidliche Falschaussage und Betrug vorgeworfen. Die konkreten Anklagepunkte variieren jedoch. Zwei Angeklagte sollen ihren V-Mann explizit mit der Teilnahme an dem Diebstahl beauftragt haben, die anderen sollen zumindest von der Aktion gewusst und die Ermittlungen verhindert haben, indem sie der Polizei falsche oder unvollständige Informationen weitergaben. Dabei sollen auch mehrere Akten gefälscht worden sein.
Auch Führungskräfte unter den Angeklagten
Unter den 48 bis 59 Jahre alten Angeklagten sind auch Führungskräfte. Einer von ihnen wurde sogar noch – als die Vorwürfe bereits bekannt waren – zum Leiter der Sonderkommission zum Oktoberfestattentat ernannt. Mittlerweile sind alle sechs Beamten vom Dienst suspendiert.
Vorausgegangen sind dem jetzigen Prozess bereits zwei Gerichtsverfahren. Damals, 2013 und 2016, saß jedoch Mario F., besagter V-Mann, auf der Anklagebank. Zunächst sah man in ihm nicht viel mehr als ein ehemaliges Mitglied der Regensburger Bandidos, das mit Drogen handelte. Seine Aussage, er habe als V-Mann und mit Wissen und Billigung des LKA gehandelt, wurde als Spinnerei abgetan.
Entsprechende Zeugenaussagen der nun angeklagten BKA-Leute sowie ein Gutachten, das F. Wahnvorstellungen attestierte, taten ein Übriges. F. wurde im Sommer 2013 zu einer Haftstrafe von fast sieben Jahren wegen Drogenhandels und -schmuggels verurteilt. Weil das Gericht jedoch Details nicht genügend berücksichtigt habe, befand der Bundesgerichtshof, das Verfahren müsse neu aufgerollt werden.
Glück für Mario F. Denn im zweiten Verfahren ging es dann plötzlich um viel mehr als um die 10 Gramm Crystal Meth, die er am 23. November 2011 für den Boss seiner Bandidos-Gang aus Tschechien nach Bayern geschmuggelt haben soll.
„Alles im Auftrag des Freistaates Bayern“
Nun ist Mario F. kein Mann, dem man Unschuldsbeteuerungen so ohne Weiteres abnimmt. Sein Vorstrafenregister ist lang: Drogendelikte, Körperverletzung, Schmuggel, Betrug. Zweifel sind daher verständlich, wenn dieser Mann behauptet: „Alles, was ich getan habe, tat ich im Auftrag des Freistaates Bayern.“ Doch im Laufe des Prozesses zeigte sich, dass F.s Aussage wohl doch nicht aus der Luft gegriffen war.
Die LKA-Beamten verstrickten sich in Widersprüche, das Gericht wurde hellhörig. Schließlich ließ es als strafmildernd gelten, dass F. in der Tat den Eindruck gehabt haben müsse, er könne sich so ziemlich alles herausnehmen, ohne dafür strafrechtlich belangt zu werden. Statt der ursprünglichen knapp sieben Jahren Haft bekam der Exrocker im Revisionsprozess nur noch eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten.
Kripo und Staatsanwaltschaft begannen nun zu ermitteln. In Büros und Wohnungen der LKAler wurden Razzien durchgeführt, wo die Ermittler auch auf Details zu dem Bagger-Diebstahl stießen.
Lange sollen sie Mario F. immer wieder gedeckt, seine Strafverfolgung verhindert haben – auch als er auf der Autobahnraststätte mit den Minibaggern aufgegriffen wurde. Einer der LKA-Männer soll sogar veranlasst haben, dass der Kilometerzähler eines für F. geleasten Autos zurückgesetzt wurde, um dem LKA Kosten für Zusatzkilometer zu sparen. Erst als F. schließlich bei seiner Drogenfahrt geschnappt wurde und in Untersuchungshaft landete, ließ man ihn fallen. Das ist der Ermittlungsstand der Staatsanwaltschaft.
Urteil frühestens im März
Nach Verlesung der Anklage wurde das Verfahren am Dienstag wieder unterbrochen. „Das überrascht uns jetzt natürlich ein bisschen“, meinte der Richter, nachdem die beiden Hauptangeklagten sich nicht zur Sache äußern wollten. In einem Vorgespräch hätten sie anderes signalisiert. Auf die Befragung der übrigen Angeklagten müsse sich das Gericht nun erst mal vorbereiten.
29 Verhandlungstage hat Richter Flechtner schon mal angesetzt. Ein Urteil dürfte frühestens im März fallen. Allen Angeklagten drohen Haftstrafen von bis zu fünf Jahren. Worauf sie sich bei ihrer Verteidigung stützen werden, ließen die Anwälte zunächst offen. Von einer „mutigen Anklage“ sprach Franz Heinz, Verteidiger eines der Hauptangeklagten. „Mir fehlen aber noch 500 Blatt Akten.“ Da könne sich sein Mandant noch nicht einlassen.
Ex-V-Mann Mario F. ist dem Vernehmen nach mittlerweile wieder auf freiem Fuß und befindet sich im Zeugenschutz. Im Dezember soll er vor Gericht auf seine ehemaligen Kontaktleute treffen – diesmal mit vertauschten Rollen.
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