piwik no script img

Prozess gegen Kardinal in AustralienDer, der nicht genannt werden darf

In Australien stehen Journalisten vor Gericht, weil sie über den Prozess gegen Kardinal George Pell berichten – entgegen einer richterlichen Verfügung.

Presseauflauf im April 2020 vor dem Gericht, das George Pell freigesprochen hat Foto: James Ross/imago

Sydney taz | Journalisten hinter Gittern – nur weil sie ihre Pflicht erfüllt haben, die Öffentlichkeit zu informieren. Was nach Alltag in einer Diktatur klingt, könnte auch in Australien zur Realität werden. In der Stadt Melbourne müssen sich derzeit 18 Journalistinnen und Journalisten und 12 Medienunternehmen vor dem Obergericht des Bundesstaats Victoria verantworten. Ihnen drohen Haft oder hohe Geldbußen, weil sie im Zusammenhang mit dem Prozess gegen den Kurienkardinal George Pell gegen eine richterliche Verfügung verstoßen haben sollen.

Ein Richter hatte den Medien verboten zu berichten, dass der katholische Kleriker und Papstverbündete am 11. Dezember 2018 schuldig gesprochen worden war, in den neunziger Jahren zwei Chorknaben sexuell missbraucht zu haben. Von der Verfügung betroffen waren alle Medien, die in Australien zugänglich sind – also auch Medien, die über das Internet zugänglich sind. Das hatte unter australischen Journalisten für Wut und unter internationalen Journalisten für Verunsicherung gesorgt. In Zeiten von Digitalisierung, wo jedes Medienunternehmen mit einer Webseite weltweit verfügbar ist, bedeutete das theo­retisch, dass weltweit niemand über den Fall hätte berichten dürfen.

Damit sollte verhindert werden, dass die Geschworenen in einem bereits geplanten zweiten Prozess gegen Pell beeinflusst werden. Pell, der alle Vorwürfe stets zurückgewiesen hatte, wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt. Der zweite Prozess wurde wegen ungenügender Beweise abgesagt. Nach einer Berufung und 13 Monaten hinter Gittern wurde Pell im April freigesprochen. Der frühere Finanzminister des Vatikans und enge Vertraute von Papst Franziskus lebt inzwischen wieder in Rom.

„Zensiert“ stand auf dem Titel

Laut Experten sind solche Verfügungen im australischen Rechtssystem nicht unüblich. Trotzdem hielten sich verschiedene Medien nicht an die Anordnungen. Vor allem im Ausland wurde über das Urteil berichtet und Pells Name genannt. Die Medien bewiesen, dass solche Verbote in Zeiten globaler Vernetzung kaum durchsetzbar sind. Australische Publikationen zeigten sich empört über den Entscheid: Die Melbourner Tageszeitung Herald Sun bedruckte die Titelseite mit dem Vermerk „Zensiert“. Die Welt lese „eine sehr wichtige Geschichte“, aber die eigene Zeitung müsse ihren Lesern „Details dieser bedeutsamen Nachricht“ vorenthalten. Ein anderes Medienportal ging weiter: Es verwies auf eine ausländische Publikation mit dem Hinweis auf „die Geschichte, über die wir nicht berichten können“.

Aber es gab auch Verteidiger des richterlichen Entscheids. Verschiedene Journalisten zeigten – nicht immer öffentlich – Verständnis. Pells Anwalt hätte im geplanten zweiten Prozess geltend machen können, die Geschworenen seien befangen, hätten sie vom ersten Urteil erfahren. „Die Gefahr bestand, dass der Prozess dann platzt“, so ein Kommentator damals. Auch in Australien gilt für Beschuldigte die Unschuldsvermutung.

Der Prozess gegen die Journalisten und Verlagshäuser nun verstärkt unter Medienschaffenden das Gefühl, dass ihre Freiheit zu berichten immer weiter beschnitten wird. Die Regierung von Premierminister Scott Morrison habe durch die drastische Verschärfung von Sicherheits- und Antiterrorgesetzen in den letzten Jahren die Arbeitsbedingungen insbesondere für investigative Journalisten erschwert, sagen Kritiker. „Reporter und Whistleblower leben in wachsender Angst vor Strafverfolgung, Polizeirazzien und teuren Prozessen“, schreibt die Interessengemeinschaft „Your Right to Know“, der alle Verlage und Journalistenverbände angehören.

Im letzten Jahr machten Polizeirazzien beim Fernsehsender ABC und bei einer Journalistin der Tageszeitung Daily Telegraph weltweit Schlagzeilen, nachdem die Reporter für die Regierung potenziell peinliche Informationen veröffentlicht hatten. Die Razzien wurden jüngst vor Gericht als unzulässig verurteilt. Your Right to Know fordert „fundamentale Rechte“ und „Ausnahmen“ für Journalisten von Gesetzen, „nach denen sie im Gefängnis landen würden, nur weil sie ihren Job machen“.

Reporter ohne Grenzen kommt zu dem Schluss, australische Journalisten würden sich der „Zerbrechlichkeit der Pressefreiheit“ immer bewusster, „in einem Land, in dem das Grundrecht keine solche Freiheit garantiert und nicht mehr als eine,implizierte Freiheit politischer Kommunikation' anerkennt“. Die australische Regierung missbrauche das Argument „der nationalen Sicherheit“, um „investigative Reporter einzuschüchtern“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • Offen gestanden verstehe ich das nicht, wobei ich auch kein profunder Kenner der australischen Prozeßordnung bin. Warum dürfen die Geschworenen nicht wissen, dass es bereits eine Verurteilung gab? Ich vergleiche das mal mit einem Berufungs- oder Revisionsverfahren. Da wissen doch auch alle Beteiligten, dass es eine erstinstanzliche Entscheidung gibt, deren Aufhebung verhandelt wird. Und funktioniert ja auch.

  • Bisher war mir nicht bekannt, dass Australien ein klerikaler Staat ist. Man muss doch freilich wissen, wenn ein scheinbarer 'Gottesmann' sich als Teufel manifestiert und dafür verurteilt wird.

    Auch der oberste Gottesmann sollte einen wirklichen Verbrecher in keiner Weise schützen und die Strafe für sexuellen Missbrauch der 'Gnade Gottes' überlassen. Die scheinbaren Bemühungen der Kirche zur Ausklärung über die sexuellen Vergehen werden so ad Absurdum geführt.

  • "Damit sollte verhindert werden, dass die Geschworenen in einem bereits geplanten zweiten Prozess gegen Pell beeinflusst werden. "

    Beeinflusst - durch gerichtlich zementierte Fakten. So was aber auch, dass man sich bei Urteilen von Fakten beeinlussen lassen könnte.

    Da sind also bei einem Missbrauchsprozess frühere gleiche Vergehen völlig unbedeutend, der vermeintliche Täter wird also bei jeder Tat wie ein Unschuldslamm erneut bewertet?

    Ich seh das eher so als dass da wichtige Informationen unterschlagen werden - der Mann ist ja schliesslich von der Kathollischen Kirche, da muss man wohl alle Register ziehen, damit das Urteil milde oder gar nicht ausfällt?

    • @Mitch Miller:

      Ja, dass ist in einem Rechtsstaat so, dass man wegen einer Tat nicht ein zweites Mal, auch nicht zum Teil, verurteilt wird.

  • Sorry - Mal ne saublöde eine eine Frage?!

    Saublöde - weil mir zwar bekannt - dem angloamerikanischen Recht.



    Gerade in Kernbereich - Normierungen - also geschriebene Regelungen fremd sind.



    Aber dennoch: Woraus werden solche Anordnungen hergeleitet?



    Denn. Das mit der Sicherstellung der Unvoreingenommenheit von Geschworenen.



    Liegt zwar nahe - Müßte dann doch aber für jeden Geschworenen-Prozeß durch alle Instanzen - bis zur Rechtskraft gelten!

    kurz - Hat da jemand im around - was auf der Pfanne?



    Gern auch der Autor & Dank im Voraus •

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @Lowandorder:

      Wir können also tun wir, da wird das hergeleitet oder auch wer Ko der Ko, sie mögen jetzt einwenden 2020 und nicht Bayern im 19ten Jahrhundert aber in Australien ist immer noch die Königin von England Staatsoberhaupt.

      • @83379 (Profil gelöscht):

        Geb ehna mal den mockingbird - 😈 -

        Daß Sie das messerscharf erkennen würden - weil ehra nicknamewahl ja nicht zufällig ist - war mir klar. But.



        Für Zukünftiges aber: - daß aber Dank u.a. Art 19 GG - in dieser Republik Schland nach dem GG - es anders -



        Keinen - Rechtsfreien Raum - Gibt!



        Eines der! Errungenschaften des GG!!



        & ergo -



        (Eine solche Verfügung/Anordnung sich also zwingend - u.a. an den im Kernbestand verfassungsfesten Grundrechten per Gericht - Endstation Karlsruhe - EuGH - EMRK/EGMR - messen lassen müßte!;) Get it? Fein. 🎭 -

        unterm——- servíce



        www.echr.coe.int/D...Convention_deu.pdf



        &



        de.wikipedia.org/w...BCr_Menschenrechte



        & findse da janz jut jetroffen - wa! - 🤫 -



        images.app.goo.gl/ih9RqAdU3dFc714E8

    • @Lowandorder:

      Ich hatte dazu mal etwas im Guardian gelesen als der Prozess gegen Pell lief, dass die supression orders, also diese Schweigeverfügungen regelmäßig in Sexualstrafverfahren in Australien verhängt werden. Da waren auch noch ein paar andere Infos drin, ist jetzt natürlich keine 1A Quelle.

      "Suppression orders are commonly used in all Australian jurisdictions in sexual offence trials."

      www.theguardian.co...at-you-may-want-to

      • @Sven Günther:

        Die Mame ist stolz & ich bedank mich & werd mal gleich noch ne Tass ☕️ vel ☕️ einpfeifen & mich dem Elend nähern 🤫

        • @Lowandorder:

          Ich werd doch auch nicht beleidigend...

          • @Sven Günther:

            Holo - en passant - 🤫 -

            Mit Verlaub - nichts läge mir ferner 💐

        • @Lowandorder:

          Is zwar keine (geschriebene) Rechtsgrundlage erkennbar - but!



          How they made it!

          “ What kinds of cases have suppression orders?



          Under Victorian and New South Wales law, the following reasons can be grounds for suppression order:

          Preventing prejudice to the proper administration of justice



          National or international security



          Protecting the safety of a person



          To avoid causing undue distress to a witness who suffered a sexual offence or family violence offence



          To avoid identifying a child who is a witness



          If the victim was a child at the time of the offence



          Suppression orders are commonly used in all Australian jurisdictions in sexual offence trials.

          The above is not an exhaustive list, and the grounds for granting suppression orders vary between jurisdictions.



          & 1. step -



          What is a suppression order?



          A suppression order is made when a court prohibits the disclosure of information about a legal case.

          These are ordered in Australia for a variety of reasons – in the interest of national security, to protect the safety of witnesses, or to guarantee a fair trial.

          They can be wide-ranging, clamping down on nearly all – and at times all – information about a trial, or narrow, obscuring just one person’s name.

          How can a suppression order help a fair trial?



          When someone is on trial, the jury is not allowed to know sensitive information, such as rejected evidence or the accused’s prior convictions.… & so on…

          kurz - Through that goal loocking & than! the rest!= Recherche ala taz is - 🥳-

          • @Lowandorder:

            Sorry - Einfälle wie‘n altes Haus - hö hö -

            Dahinter steckt auch - die im angloamerikanischen Rechtssystemen strenge(ere) ne bis in idem Klausel & das Geschworenengerichtssystem



            de.wikipedia.org/wiki/Ne_bis_in_idem



            &



            Frauman beachte dabei die teils recht deutlichen Unterschiede & zu meiner



            “Verblüffung“ (naja!) hardcore 🇺🇸 & a weng doch “zivilisierter“ geworden 🏴󠁧󠁢󠁥󠁮󠁧󠁿!