Prozess gegen Kardinal in Australien: Der, der nicht genannt werden darf
In Australien stehen Journalisten vor Gericht, weil sie über den Prozess gegen Kardinal George Pell berichten – entgegen einer richterlichen Verfügung.
Ein Richter hatte den Medien verboten zu berichten, dass der katholische Kleriker und Papstverbündete am 11. Dezember 2018 schuldig gesprochen worden war, in den neunziger Jahren zwei Chorknaben sexuell missbraucht zu haben. Von der Verfügung betroffen waren alle Medien, die in Australien zugänglich sind – also auch Medien, die über das Internet zugänglich sind. Das hatte unter australischen Journalisten für Wut und unter internationalen Journalisten für Verunsicherung gesorgt. In Zeiten von Digitalisierung, wo jedes Medienunternehmen mit einer Webseite weltweit verfügbar ist, bedeutete das theoretisch, dass weltweit niemand über den Fall hätte berichten dürfen.
Damit sollte verhindert werden, dass die Geschworenen in einem bereits geplanten zweiten Prozess gegen Pell beeinflusst werden. Pell, der alle Vorwürfe stets zurückgewiesen hatte, wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt. Der zweite Prozess wurde wegen ungenügender Beweise abgesagt. Nach einer Berufung und 13 Monaten hinter Gittern wurde Pell im April freigesprochen. Der frühere Finanzminister des Vatikans und enge Vertraute von Papst Franziskus lebt inzwischen wieder in Rom.
„Zensiert“ stand auf dem Titel
Laut Experten sind solche Verfügungen im australischen Rechtssystem nicht unüblich. Trotzdem hielten sich verschiedene Medien nicht an die Anordnungen. Vor allem im Ausland wurde über das Urteil berichtet und Pells Name genannt. Die Medien bewiesen, dass solche Verbote in Zeiten globaler Vernetzung kaum durchsetzbar sind. Australische Publikationen zeigten sich empört über den Entscheid: Die Melbourner Tageszeitung Herald Sun bedruckte die Titelseite mit dem Vermerk „Zensiert“. Die Welt lese „eine sehr wichtige Geschichte“, aber die eigene Zeitung müsse ihren Lesern „Details dieser bedeutsamen Nachricht“ vorenthalten. Ein anderes Medienportal ging weiter: Es verwies auf eine ausländische Publikation mit dem Hinweis auf „die Geschichte, über die wir nicht berichten können“.
Aber es gab auch Verteidiger des richterlichen Entscheids. Verschiedene Journalisten zeigten – nicht immer öffentlich – Verständnis. Pells Anwalt hätte im geplanten zweiten Prozess geltend machen können, die Geschworenen seien befangen, hätten sie vom ersten Urteil erfahren. „Die Gefahr bestand, dass der Prozess dann platzt“, so ein Kommentator damals. Auch in Australien gilt für Beschuldigte die Unschuldsvermutung.
Der Prozess gegen die Journalisten und Verlagshäuser nun verstärkt unter Medienschaffenden das Gefühl, dass ihre Freiheit zu berichten immer weiter beschnitten wird. Die Regierung von Premierminister Scott Morrison habe durch die drastische Verschärfung von Sicherheits- und Antiterrorgesetzen in den letzten Jahren die Arbeitsbedingungen insbesondere für investigative Journalisten erschwert, sagen Kritiker. „Reporter und Whistleblower leben in wachsender Angst vor Strafverfolgung, Polizeirazzien und teuren Prozessen“, schreibt die Interessengemeinschaft „Your Right to Know“, der alle Verlage und Journalistenverbände angehören.
Im letzten Jahr machten Polizeirazzien beim Fernsehsender ABC und bei einer Journalistin der Tageszeitung Daily Telegraph weltweit Schlagzeilen, nachdem die Reporter für die Regierung potenziell peinliche Informationen veröffentlicht hatten. Die Razzien wurden jüngst vor Gericht als unzulässig verurteilt. Your Right to Know fordert „fundamentale Rechte“ und „Ausnahmen“ für Journalisten von Gesetzen, „nach denen sie im Gefängnis landen würden, nur weil sie ihren Job machen“.
Reporter ohne Grenzen kommt zu dem Schluss, australische Journalisten würden sich der „Zerbrechlichkeit der Pressefreiheit“ immer bewusster, „in einem Land, in dem das Grundrecht keine solche Freiheit garantiert und nicht mehr als eine,implizierte Freiheit politischer Kommunikation' anerkennt“. Die australische Regierung missbrauche das Argument „der nationalen Sicherheit“, um „investigative Reporter einzuschüchtern“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“