Prozess gegen KZ-Wachmann in Münster: SS-Mann pocht auf Ahnungslosigkeit
Johann R. steht wegen Beihilfe zum Mord im KZ Stutthof vor Gericht. Doch von Massentötungen in dem Lager will er nichts mitbekommen haben.
Ihm sei klar gewesen, dass die Behandlung durch die Nazis zu Leid der Gefangenen und zu Toten geführt habe, ließ Johann R. am Dienstag vortragen. Aber: „Es ist nicht so, dass ich konkrete Vorstellungen von irgendwelchen Vorgängen gehabt habe.“ Ihm sei erst gegen Ende seiner Dienstzeit klar geworden, dass „Häftlinge sterben, obwohl man sie mit medizinischer Behandlung oder ausreichend Nahrung vielleicht noch hätte retten können“, sagte R. auf eine entsprechende Frage des Staatsanwalts Andreas Brendel.
Schon zuvor hatte der Angeklagte den Eindruck vermittelt, keine Ahnung von den Vorgängen im KZ Stutthof bei Danzig gehabt zu haben, obwohl er zugleich zugab, dort als Wachmann eingesetzt worden zu sein. Zugleich stellte er sich selbst als ein Opfer dar, der niemals freiwillig der SS beigetreten sei, sondern in seiner Heimat Rumänien als sogenannter Volksdeutscher zwangsrekrutiert worden war.
Der Angeklagte gab zwar zu, dass die Lebensumstände der Häftlinge in Stutthof „erkennbar sehr schlimm“ gewesen seien. Er habe sich dafür geschämt. Er habe sich aber „gegenüber seinen Vorgesetzten „nie getraut, etwas Negatives zu sagen“, heißt es in der Erklärung. „Dass Stutthof als Lager darauf angelegt war, die Häftlinge zu töten, habe ich nicht so wahrgenommen.“
Zu einer Entschuldigung bei den Opfern mochte sich der Angeklagte nicht durchringen.
In Stutthof starben 65.000 Menschen
In Stutthof starben bis 1945 etwa 65.000 Menschen. Ab dem Sommer 1944, als mehr und mehr Juden in das KZ eingeliefert wurden, war dort auch eine Gaskammer zur Tötung der Menschen mit Zyklon B in Betrieb. Auch daran wollte sich der Angeklagte nicht erinnern. Vielleicht sei er zu diesem Zeitpunkt ja schon zur Front abkommandiert worden, sagte sein Anwalt. Unterlagen zufolge währte der Dienst von Johann R. in Stutthof bis zum 1. September 1944.
Mit den Einlassungen verfolgt die Verteidigung offenkundig den Zweck, die Anklage auf Beihilfe zum Mord zu erschüttern. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass R. während seiner Zeit als Wachmann sehr wohl davon gewusst habe, dass in Stutthof planmäßig Menschen ermordet wurden.
„Wir gehen davon aus, dass die Wachleute deutlich mehr wussten als wiedergegeben wurde“, sagte Oberstaatsanwalt Brendel. Auch die Behauptung, R. habe den Dienst unfreiwillig verrichtet, entspreche nicht der Einschätzung der Anklage. Auch der Nebenklageanwalt Onur Özata nannte die Aussagen von R. „nicht glaubwürdig“.
Kritik vom Auschwitz Komitee
Deutliche Kritik übte das Internationale Auschwitz Komitee an den Aussagen. Es werde das Bild eines „zutiefst naiven und hilflosen jungen Knaben“ vermittelt, der dem Geschehen des KZs fassungslos und unbeteiligt gegenüberstehe. „Diese sehr bewusst eingesetzte Haltung der Naivität als Mittel der Rechtfertigung und Verteidigung schiebt die grausame Realität der Opfer von Stutthof weg wie ein lästiges Detail“, schrieb dessen Vizepräsident Christoph Heubner.
Zum nächsten Prozesstag am Donnerstag will das Gericht über ein historisches Gutachten entscheiden. Die Verteidigung lehnt den Gutachter Stefan Hördler als befangen ab. Sie kritisierte, dass das Gericht überhaupt einen Historiker zu Rate ziehe, um sich ein Bild vom Geschehen in dem Konzentrationslager zu machen. In einem etwa 120 Seiten starken Gutachten schildert der Historiker und Leiter der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora den Massenmord von Stutthof und beleuchtet die Rolle der Wachleute.
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