Prozess gegen Brokstedt-Attentäter: Vieles deutet auf Mord hin
Die Plädoyers im Prozess um Messerattentat bei Brokstedt sind gehalten. Das Gericht erwägt, ob dem Angeklagten Heimtücke oder Mordlust anzulasten ist.
Die Frage, ob es Mord war oder ob der heute 34-jährige Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat aufgrund einer Krankheit nicht schuldfähig ist, bestimmte den Prozess. Nach den Plädoyers und einer ersten rechtlichen Bewertung des Gerichts scheint vieles auf Mord zu deuten.
Über zwei Stunden beriet das Gericht um den Vorsitzenden Johannes Lohmann über die Frage, ob ein zweites Gutachten nötig sei – lange Wartezeiten für die Beobachter:innen wie auch für den Angeklagten Ibrahim A., der stets in Handfesseln zum Verhandlungssaal geführt wurde.
Der von der Staatsanwaltschaft beauftragte Psychiater Arno Deister bescheinigte dem Mann, der aus Gaza stammt und seit 2014 als Staatenloser in Deutschland lebt, eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Trotz dieser Krankheit sei A. schuld- und steuerungsfähig gewesen, als er am 25. Januar in den Zug von Kiel nach Hamburg stieg. Dort kam es zu den Messerstichen.
Gericht folgt psychiatrischem Gutachter
Verteidiger Seelbach sieht dagegen Anzeichen dafür, dass A. in einem psychotischen Zustand war. Doch das Gericht lehnte ein weiteres Gutachten ab: Deister habe seine Meinung ausreichend begründet.
In seiner rechtlichen Bewertung gab Richter Lohmann zu verstehen, dass das Gericht dem psychiatrischen Gutachter folgt, also von der Schuldfähigkeit des Mannes ausgeht. So steht die Anklage Mord im Raum. Allerdings käme im Fall des erstochenen Schülers auch Totschlag infrage, sagte der Richter.
Der 19-Jährige hatte sich vor seine Freundin gestellt, auf die A. zuerst eingestochen hatte. Außerdem müsse das Gericht beraten, ob es sich um Mord aus Heimtücke oder aus Mordlust handele. Dazu gab Ibrahim A. eine kurze Stellungnahme ab: „Ich lehne das Töten ab. Mich erschrecken die toten Menschen, die ich sehen musste. Ich finde das eklig anzusehen.“
Doch in ihrem Plädoyer zeichnete Staatsanwältin Janina Seyfert ein anderes Bild. Zu Beginn rief sie einige Aussagen von Zeug:innen in Erinnerung: „Die Angst ist immer da, man verliert das Vertrauen.“ 97 Personen sind in dem Prozess gehört worden. Viele von ihnen hatten die Ereignisse im Zug miterlebt oder waren als Helfer:innen auf dem Bahnhof des kleinen Ortes Brokstedt dabei gewesen. Aus der „Vielzahl schlaglichtartiger Aussagen“ ergebe sich ein Bild.
Ibrahim A., Angeklagter
Demnach stahl A. ein Messer, um es gegen Menschen einzusetzen. Im Zug wurde er ohne Fahrkarte ertappt, musste in Neumünster aussteigen und stieg dann in den Regionalzug. Dort stach er auf einmal auf die 17-jährige Schülerin ein.
„Die Angriffsserie begann völlig unvermittelt“, sagte die Staatsanwältin. Sie bewertet die Taten als „heimtückischen Mord aus niederen Beweggründen“ und nannte sie „besonders verachtenswert“. Sie verlangte eine lebenslange Freiheitsstrafe sowohl für die vollendeten Tötungen als auch für die Angriffe, die nicht tödlich endeten.
Während ihres Plädoyers und jenen der Nebenklage verbarg A. teilweise das Gesicht in den Händen oder legte den Kopf auf den Tisch. Eine Nebenklage-Anwältin kritisierte die Medien, die über A.s mögliche Schuldunfähigkeit berichtet hatten: Sie seien der Erzählung der Verteidigung gefolgt.
Verteidiger Seelbach beantragte in seinem Plädoyer erneut, A. sei aufgrund mangelnder Schuldfähigkeit vom Mord-Vorwurf freizusprechen. Die Taten bestritt er nicht: A. sei in seinem psychotischen Zustand „völlig außer Kontrolle geraten“. Er solle deswegen in der Psychiatrie untergebracht werden.
Das Urteil soll Mitte Mai folgen. Die Tat hatte auch zu politischen Debatten geführt: Ibrahim A. hatte ein Jahr lang in Hamburg in U-Haft gesessen und war ohne Vorbereitung entlassen worden, obwohl er als aggressiv und psychisch gestört auffiel. Auch wusste die Kieler Ausländerbehörde nichts von der Haft in Hamburg. Doch die Staatsanwältin betonte, dass es beim Urteil nicht darum gehe, weitere Verantwortliche außer A. zu finden: „Die Opfer hatten damit nichts zu tun.“
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