Prozess am Landgericht Hannover: Tränen eines Gewalttäters
Der Mann, der seine Expartnerin an einem Auto durch Hameln geschleift hat, hat gestanden. Strittig ist nur noch, ob er die Tat geplant hatte.
Ihr Expartner hat am 20. November des vergangenen Jahres zunächst mit einem Messer auf ihre Brust eingestochen und mit der stumpfen Seite einer Axt auf ihren Kopf eingeschlagen, bevor er ein Seil um ihren Hals gelegt, dieses an der Anhängerkupplung seines Autos festgeknotet und sie daran mit hoher Geschwindigkeit durch Hameln geschleift hat. Nur weil sich das Seil nach rund 200 Metern gelöst hat, konnte Kader K. schwer verletzt überleben.
K. hatte sich zuvor mit dem Angeklagten Nurettin B. getroffen, um den gemeinsamen Sohn abzuholen. Sie stritten, weil B. ihr Unterhalt schuldete. Dann rastete der 39-Jährige aus. Das damals zweijährige Kind saß während der Tat auf dem Rücksitz.
All das gab B. gestern vor Gericht zu. Während seine Anwälte sein Geständnis verlasen, liefen ihm Tränen über die Wangen. Er habe diese „grauenvolle, widerliche und abscheuliche Tat“ begangen, las Rechtsanwalt Matthias Waldraff vor.
Nachdem B. erfahren habe, dass für den ausstehenden Unterhalt sein Lohn gepfändet würde, habe er mit seinem Leben abgeschlossen. Er habe einen Abschiedsbrief dabei gehabt, auf dem „Game over. Danke für nicht“ gestanden habe. Sein Plan sei gewesen, mit dem Auto gegen einen Baum zu fahren. Als er seinen Sohn zu Kader K. zurückgebracht habe, habe er „einen Hass wie nie“ in sich aufsteigen gespürt. „Ich habe sie einfach nur töten wollen.“ Geplant aber habe er das nicht, verliest Waldraff.
Genau dies ist die entscheidende Frage. Während die Verteidigung argumentiert, die Axt und das Seil hätten schon im Auto gelegen, weil B. sie für Baumschnittarbeiten brauche, und das Messer habe er dabeigehabt, um sich selbst zu schützen, glaubt die Staatsanwältin Ann-Kristin Fröhlich, dass B. die Tat geplant hat. Schon einen Monat vorher habe er gedroht, dass einer von beiden bald nicht mehr leben würde. Die Anklage lautet deshalb auf versuchten Mord, nicht Totschlag.
Kader K. nennt ihren Exmann nur „der Täter“. Im Gerichtssaal trägt sie ein Kopftuch mit weißer Spitze, um ihre Narben zu verbergen. Sie, die ehemalige kurdische Aktivistin, hatte B. bei einer Demonstration kennengelernt. Kurze Zeit später heirateten sie nach islamischem Recht, nicht aber vor dem Standesamt. „Ich wollte eine Familie gründen und dachte, er ist ein vernünftiger Mann“, sagt sie. „Doch sofort nachdem wir verheiratet waren, ging dieser Horror los.“
Das Opfer Kader K.
Sie habe wie eine Sklavin leben sollen, ohne Kontakt zu ihren Freundinnen. „Ich dachte, es wird besser, wenn unser Sohn da ist, doch es wurde immer schlimmer.“ Irgendwann habe sie es nicht mehr aushalten können, bedroht, beschimpft und bespuckt zu werden, und sei gegangen.
Doch die Drohungen hörten nicht auf. K. erwirkte sogar eine einstweilige Verfügung. B. durfte nicht näher als 20 Meter an sie herankommen, es sei denn, die beiden trafen sich, wegen des Kindes – denn das Sorgerecht teilten sich die Eltern.
Im Prozess berichtet Kader K., dass auch der heute dreijährige Sohn traumatisiert sei und vieles mitbekommen habe. Nach Albträumen rufe er verängstigt: „Mama, er ist da.“
Dass dort ein Kind im Auto saß, hat die nächste Zeugin, eine 28-Jährige aus der Nachbarschaft, nicht mitbekommen. Sie habe Hilferufe gehört und sei zum Fenster gelaufen. Dort habe sie gesehen, wie ein Mann auf eine am Boden liegende Frau einschlug. Sie rief dem Täter zu, dass sie die Polizei holen würde. Doch B. sei das egal gewesen.
„Er war wie besessen von der Frau“, sagt die Anwohnerin. Und was entscheidend sein könnte: Die Werkzeuge habe er nicht im Auto suchen müssen. Der Prozess soll am Mittwoch fortgeführt werden.
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