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Provokant bedächtig

Grüne Jugend, da hat man Jette Nietzard auf dem Schirm. Und Jakob Blasel, der Co-Vorsitzende? Der arbeitet nicht gänzlich ungern im Hintergrund, wo auch viel los ist

Zurück­ gelehnt  voran­preschen, in Zeiten der Aufmerk­samkeits­ökonomie keine leichte Übung: Jakob Blasel, Co-Chef der Grünen Jugend, im Juni

Von Tobias Schulze und Jens Gyarmaty (Foto)

Vom Erdgeschoss der Grünen-Zentrale, wo die Grüne Jugend ihre Büros hat, steigt Jakob Blasel hoch zur Dachterrasse. Die Partei hatte die Terrasse lange an ein Hotel vermietet, zusammen mit den oberen Etagen. Aber dann machte das Hotel dicht, und die Flure, die an die frische Luft führen, wurden zum Lost Place: Kreuz und quer steht die Einrichtung, die der Optik zufolge seit den Siebzigern im Einsatz war. Hier müsste man auch mal was machen. Immerhin, das ist nicht Blasels Problem.

Im Oktober 2024 wurde der 24-Jährige aus Schleswig-Holstein Chef der Grünen Jugend. Die Öffentlichkeit hat davon bislang nicht viel mitbekommen. Taucht ­Blasel mal in den Medien auf, dann oft im Nebensatz: als Kollege von Jette Nietzard, der Co-Vorsitzenden, die in letzter Zeit mit ihrem „ACAB“-Pullover (Kürzel für „All cops are ­bastards“) Schlagzeilen machte. Ein Foto des Pullis postete sie auf Insta­gram; prominente Grüne distanzierten sich tagelang von derlei Benehmen. Im Hintergrund bescherte die Sache auch Blasel ordentlich Extraarbeit. Beim Dachterassentreffen Mitte Juni hat sich zumindest der größte Wirbel gelegt. Er wirkt halbwegs entspannt, als es losgeht mit dem Gespräch über seine Baustellen.

Baustelle 1: Er muss seinen Verband wieder zum Laufen bringen. Deswegen ist er überhaupt hier. Vor einem Jahr sahen seine Pläne für die nähere Zukunft ausnahmsweise mal übersichtlich aus: eine Reise nach Südamerika, dann das Studium beenden. Bis er an einem Septemberabend mit einer Bekannten in der Kneipe saß und die Nachricht las: Der amtierende Vorstand der Grünen Jugend tritt geschlossen zurück und verlässt die Partei. „Scheiße“, habe er gesagt. „Kann es sein, dass ich das jetzt machen muss?“ Blasel hatte Erfahrung, war seit der Schulzeit politisch hyperaktiv. 2018, da war er schon Mitglied bei den Grünen und bei Greenpeace, organisierte er in Kiel einen der ersten Schulstreiks von Fridays for Future in Deutschland. Er wurde einer der führenden Aktivisten der Bewegung, machte nach dem Abi aber auch ein Praktikum bei einer Grünen im Bundestag und ­kandidierte 2021 selbst fürs Parlament. Als er damit scheiterte, arbeitete er im Hintergrund weiter bei den Fridays und beim Partei­nachwuchs mit.

Nach dem Knall im Herbst 2024 gab es bei der Grünen Jugend kaum noch Leute mit seinem Know-how. Der abtrünnige Vorstand hatte mit seinem Abgang zwar keinen Massenexodus ausgelöst. Insgesamt gingen laut Verband nur rund 200 von 16.000 Mitgliedern. Unter ihnen waren aber fast alle Kader der Parteijugend. Allein von 50 Teil­neh­me­r*in­nen eines Schulungsprogramms für die interne Bildungsarbeit traten 49 aus. Einer blieb zwar, aber der hatte nur als Fotograf an den Workshops teilgenommen. „Es ist krass, was an Verbandsentwicklung verloren gegangen ist“, sagt Blasel. „Wir haben jetzt immer noch ganz schön viel Aufbauarbeit.“

Baustelle 2: Er muss den Nachwuchs und die Partei wieder zusammenbringen. Bei denen, die voriges Jahr gegangen sind, war die Entfremdung zwar am ausgeprägtesten. Sie lasen Marx und folgten irgendwann nicht mehr der klassischen Logik, Forderungen des linken Parteiflügels einfach etwas vehementer vorzutragen. Sie entwickelten Forderungen, die mit den Grünen nicht mehr viel zu tun hatten. Am Ende beteiligten sie sich nicht einmal mehr an parteiinternen Debatten. Aber: Auch viele von denen, die geblieben sind, misstrauen ihrer Partei. In der Ampel trugen die Grünen zig Kompromisse mit, die gegen grüne Überzeugen verstießen. Die Asylrechtsverschärfungen, die Räumung von Lützerath, die Abkehr von der Kindergrundsicherung. „Insgesamt hat man auf eine Mitte abgezielt, die es so gar nicht mehr gibt. Das hat viele Leute, auch viele junge Leute, abgeschreckt“, sagt Blasel.

In Teilen hat sich die Entfremdung nach dem Ampelbruch fortgesetzt. Im Bundestagswahlkampf hat Robert Habecks Zehnpunkteplan zur Sicherheitspolitik, der noch mehr Abschiebungen vorsah, das Misstrauen der Grünen Jugend verstärkt: Denen da oben ist egal, was wir an der Basis wollen. Umgekehrt sah sich die andere Seite durch den öffentlichen Protest der Jungen in ihren Vorbehalten bestätigt: Unverschämt, den eigenen Kandidaten zu beschädigen.

Und doch gibt es Bemühungen, die Kluft zu verkleinern. Bei Blasel und Nietzard war zu Beginn ihrer Amtszeit der Vorsatz zur Versöhnung klar vernehmbar. Auch jetzt sagt Blasel: „Wir suchen immer wieder das Gespräch und rufen im Verband dazu auf.“ Es laufe sogar schon besser. „In verschiedenen Kreis- und Landesverbänden merkt man, dass auch Leute auf uns zugegangen sind, die eigentlich nicht viel mit der Grünen Jugend anfangen können.“ Über Nacht löse sich das Problem aber nicht. Schon gar nicht, könnte man hinzufügen, nach Tagen, an denen Jette Nietzard etwas gepostet hat.

Baustelle 3: Bessere Drähte in die Partei sind für Blasel kein Selbstzweck. Anders als seine Vorgängerinnen glaubt er noch, die Zukunft der Grünen beeinflussen zu können. Und die ist im Moment vollkommen offen.

Nachdem Habeck und Baerbock die erste Reihe verlassen haben, liegt die Partei zwar nicht dermaßen am Boden wie vorigen Herbst die Grüne Jugend. Aber sie steckt so tief in der Krise wie seit Jahren nicht. Die Umfragewerte stagnieren auf Bundestagswahlniveau. Wer künftig den Ton angibt, ist unklar. Und auch, welche Strategie die Grünen einschlagen werden.

Die Grünen müssten sich so langsam entscheiden, wer sie in den nächsten Jahren sein wollen, sagt Blasel. Wofür wirbt er? „Was ich echt feiere an den Grünen, sind der Weitblick und die Ausgewogenheit“, sagt er. „Manchmal übertragen sie ihre Differenziertheit aber auf Bereiche, in denen das überhaupt nicht angebracht ist.“ Wo es in der Gesellschaft klare Interessenkonflikte gebe – bei den ungleichen Einkommen oder der Frage, wer für die Klimakrise zahlt –, müssten sich die Grünen für eine Seite entscheiden.

Den Standpunkt hat Blasel clever eingeleitet. So läuft der gängige Einwand aus dem rechten Flügel, der linke Flügel wolle wohl die Linkspartei kopieren, ins Leere. Bei manchen Realos findet Blasel mit seiner Art auch Gehör. Aber es ist nicht so, dass seine Strategiebeiträge schon in der Breite der Partei wahrgenommen würden – oder gar darüber hinaus. Das Bild der Grünen Jugend prägt eben seine Co-Vorsitzende.

Baustelle 4: Ihren „ACAB“-Pullover postete Nietzard an einem Freitag. Der Shitstorm gegen sie nahm zwei Tage später Fahrt auf. Blasel saß zu Hause auf der Couch und wollte mit Freunden Karten spielen, als er die Reaktionen sah. Ab da sei der freie Sonntag vorbei gewesen, und er habe am Telefon gehangen.

Im Gespräch vermeidet Blasel direkte Kritik an Nietzard und ihren provokanten Social-Media-Auftritten – der „ACAB“-Post war nicht ihr erster. Den Eindruck vieler Grüner, es gebe einen Spalt zwischen ihnen beiden, will er nicht befeuern. „Die Reaktionen auf den Post waren komplett absurd“, sagt Blasel. Mit Austrittsforderungen an ­Nietzard hätten die Grünen „tiefe Spießigkeit“ demonstriert.

Auch ihm ist das Prinzip, im Sinne von mehr Aufmerksamkeit zu provozieren, nicht fremd: für Demos die Schule schwänzen, das Fridays-Kozept. In einem Interview erzählte Blasel einmal, dass er die Lautsprecheranlage seines Gymnasiums gekapert habe, um für den ersten Schulstreik zu werben. Auch so was macht man nicht, um dem Rektor zu gefallen.

Dass es zwischen ihm und Niet­zard Unterschiede im politischen Stil gibt, bestreitet er aber nicht. Auf die Frage nach seinem radikalsten Kleidungsstück fällt ihm keins ein. Und für künftige Provokationen formuliert er diplomatisch den Vorsatz: „Wir müssen die Aufmerksamkeit, die wir dadurch bekommen, stärker in eine politische Debatte lenken und solche Debatten dann auch besser vor- und nachbereiten.“

Kalkulierter provozieren, damit es auch was bringt. Das passt zum Bild, das sein Vorvorgänger Timon Dzienus über ihn zeichnet: „Jakob durchdenkt alles, er bricht nichts übers Knie.“

„Insgesamt hat man auf eine Mitte abgezielt, die es so gar nicht mehr gibt. Das hat viele Leute, auch viele junge Leute, abgeschreckt“

Jakob Blasel, Vorsitzender der Grünen Jugend

Baustelle 5: Für jemanden in seiner Position ist Blasel erstaunlich uneitel, vielleicht zu uneitel. „Für sich genommen nicht“, antwortet er auf die Frage, ob es ein Problem für ihn sei, dass sich seine Co-Vorsitzende so viel bekannter gemacht hat als er.

Vielleicht hat das mit seinen Bewegungswurzeln zu tun. Für die Fridays saß er zwar auch in Talkshows, doch schon dort gab es mit Luisa Neubauer eine Frau, die mehr Beachtung fand. Generell galt bei den Fridays: Gesichter sollen nicht wichtiger werden als Argumente.

Wer als Person nicht auffällt, dringt aber auch mit seinen Argumenten nicht durch. Blasel ahnt das, selbst wenn er bislang die anderen Baustellen wichtiger nahm. „Ich habe schon das Bedürfnis, auch als politischer Mensch mehr in Erscheinung zu treten“, sagt er. „Aber das ist jetzt nichts, was mich Tag und Nacht beschäftigt, sondern etwas, das ich für mich vorbereite und dann mache.“ Ein Thema, das er demnächst setzen möchte, hat er immerhin schon: der Kampf gegen Gaskonzerne wie RWE und Shell. „Die rui­nieren unsere Zukunft, mit denen will ich mich anlegen“, sagt er.

Vier Monate bleiben ihm dafür bis zum Ende der ersten Amtszeit. Wird er wiedergewählt, bekommt er noch mal zwölf. Für ein drittes Jahr darf er laut Satzung nicht mehr kandidieren. Das sei ihm aber auch ganz recht, sagt er. Es gibt ja auch noch die beiden alten Baustellen, die er nach dem Kneipenabend im September unvollendet ließ. Zumindest den Universitätsabschluss will er nachholen.

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