Protestierende Schüler: Kein rot-grüner Maulkorb

Niedersachsens Schulministerin Heiligenstadt will keine Zensorin sein – und winkt Kritik über sich selbst durch. Ihre SPD aber wittert eine Kampagne der Opposition.

Diskussionsfreudig: Niedersachsens Schulministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) Bild: dpa

HANNOVER taz | Wenig nett war der Empfang, den knapp 1.000 SchülerInnen des Gymnasiums Brake Niedersachsens Schulministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) Mitte vergangener Woche bereiteten: „Heiligenstadt – wir haben es satt“ skandierten sie – und protestierten so gegen angeblich überarbeitete Lehrer und ausfallende Klassenfahrten, berichtete die lokale Nordwest-Zeitung.

Wenig geschickt war aber auch die Reaktion der Landesschulbehörde. Heiligenstadts Beamte luden nicht nur den Rektor zum Dienstgespräch: Sie verboten gleich auch die Wiedergabe des Zeitungsartikels im Internetauftritt des Gymnasiums in der Wesermarsch nördlich von Bremen – und bescherten ihrer Ministerin eine heftige Zensurdebatte.

In Brake fühlte sich der 17-jährige Schülersprecher Johannis Wilbertz an „einen totalitären Staat“ erinnert. Heiligenstadt sei eine „Maulkorbministerin“, schimpfte CDU-Fraktionschef Björn Thümler im Landtag in Hannover. „Sollen die Schüler in Zukunft eingesperrt werden, wenn die Ministerin in der Nähe ist?“, fragte der Bildungsexperte der FDP, Björn Försterling.

Heiligenstadt selbst musste prompt zurückrudern. Das Zeitungsverbot auf der Schulhomepage machte sie schon am Montag rückgängig. Sie „nehme die Meinung der Schülerinnen und Schüler sehr ernst“ und habe sich „nie vor unbequemen Diskussionen gescheut“, verkündete die Sozialdemokratin. Das angesetzte Dienstgespräch mit der Schulleitung aber sei richtig – schließlich hätten 800 bis 1.000 GymnasiastInnen während der Schulzeit unbeaufsichtigt gegen sie demonstrieren können. Ob sich Schulleiter Klaus Dannemann heute tatsächlich vor gleich fünf Dezernenten der Schulbehörde rechtfertigen muss, blieb bei der gestrigen Landtagsdebatte offen.

Gegen eine zu hohe Arbeitsbelastung wehren sich Gymnasiallehrer in Niedersachsen schon seit fast einem Jahr: mit einem Boykott der Klassenfahrten. Die sind wie Theaterbesuche freiwillig; die PädagogInnen können dazu nicht verpflichtet werden.

Seit Monaten demonstrieren GymnasiastInnen deshalb immer wieder für ihre Lehrer: Müssten die weniger unterrichten, ginge es auch wieder auf Klassenfahrt, hoffen sie.

Die Arbeitsbelastung an Niedersachsens Gymnasien liegt mit 24,5 Schulstunden pro Woche im bundesweiten Vergleich allerdings nur im Mittelfeld: In NRW müssen Gymnasiallehrer 25,5, in Bremen 26 Stunden unterrichten. In Bayern sind es fachabhängig zwischen 23 und 27 Stunden.

Selbst in Niedersachsen wird an allen anderen Schulformen mehr unterrichtet: An Grundschulen sind 28 Stunden, an Hauptschulen 27,5 Stunden und an Oberschulen 25,5 Stunden üblich.

Allerdings wittern insbesondere die Sozialdemokraten in den Schülerprotesten eine von der Opposition gesteuerte Kampagne. Schülersprecher Wilbertz sei auch als Sprecher der „Schüler Union“ der CDU in der Wesermarsch tätig, meinte der SPD-Bildungspolitiker Stefan Politze.

Und tatsächlich fährt der aus dem nur wenige Kilometer entfernten Städtchen Berne stammende CDU-Fraktionschef Thümler mit der FDP seit Monaten eine Kampagne, in der sich die Klagen der GymnasiastInnen aus Brake wiederfinden. Das von Heiligenstadt entworfene neue Schulgesetz, mit dem etwa die Rückkehr zum Abitur nach 13 Schuljahren geregelt werden soll, bedrohe die Gymnasien, ereifern sich Christdemokraten und Liberale seit Monaten.

Dort gebe es zu wenig Lehrer, die außerdem zu viel arbeiten müssten – was zumindest im bundesweiten Vergleich nicht zutrifft (siehe Kasten). Klassenfahrten boykottieren viele Gymnasiallehrer seit Monaten trotzdem. Ministerin Heiligenstadt findet das „schade“ – nachgeben will sie trotzdem nicht.

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