Proteste von Sportlerinnen in Indien: Heldinnen ohne Rückhalt

In Indien protestieren seit Wochen Wrestlerinnen gegen ihren Verbandschef, einen Politiker der Regierungspartei. Eine ungeheuerliche Schmutzkampagne soll sie stoppen.

Mehrere Personen bei einer Demonstration.

Vinesh Phogat (links) und andere Wrest­le­r:in­nen beim Protest im Mai in Neu-Dehli Foto: Shonal Ganguly/ap

Mit Helden ist das so eine Sache: Sie können immer scheitern. Aber was geschieht, wenn wir sie im Stich lassen und sie zu Opfern eines toxischen Systems machen? Schauen wir auf Vinesh Phogat, eine erfolgreiche indische Wrestlerin, die mehrere Gold- und Silbermedaillen bei den Weltmeisterschaften, den Commonwealth Games und den Asian Games gewonnen hat. Doch im Mai twitterte sie: „Vom Siegertreppchen auf die Straße, um Mitternacht unter freiem Himmel, in der Hoffnung auf Gerechtigkeit.“ Mit ihr demonstriert Sakshi Malik auf den Straßen Neu-Delhis. Sie war 2016 die erste olympische Bronzemedaillengewinnerin im Wrestling aus Indien.

Seit Januar protestieren diese jungen Sportlerinnen gegen Brij Mohan Charan Singh, den Vorsitzenden des indischen Wrestlingverbandes WFI. Sie und weitere junge Wrestlerinnen werfen dem Funktionär sexuelle Belästigung vor. Er wird auch der Selbstherrlichkeit, des Mobbings und der Veruntreuung von Geldern bezichtigt. Als Politiker der regierenden BJP wurden ihm noch weitere schwere Straftaten vorgeworfen.

Als die Sportlerinnen mit ihrem Protest begannen, versprach man ihnen eine Untersuchung ihrer Vorwürfe. Die Polizei nahm sogar Ermittlungen auf. Wenn Athletinnen zusätzlich zu ihrem anstrengenden Training die mentale Stärke für einen öffentlichen Protest aufbringen, sollten sie aber nicht erleben müssen, dass Männer ihre Macht missbrauchen und den Frauen drohen, deren sportliche Karrieren zu beenden.

Für viele indische Sportlerinnen geht es nicht nur um einen persönlichen Lebenstraum und den Ruhm für ihr Heimatland, sondern schlicht um ihren Lebensunterhalt. Wer beruflich Sport treibt, mit Kollegen und Trainern zu tun hat und sich auch in Trainingscamps aufhält, muss immer wieder sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erleben. Der gesetzlich vorgeschriebene Ausschuss gegen sexuelle Belästigung existiert bei der WFI nur auf dem Papier.

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Kein Rückhalt aus der Sportwelt

Wirklich wie ein Keulenschlag trifft uns aber, dass diese Wrestlerinnen keinerlei Rückhalt aus der übrigen Welt des Sports erhalten. Sie ernten entweder dröhnendes Schweigen – oder sogar Vorhaltungen, weil sie sich beklagt haben. Einige von ihnen wurden gar von der Polizei geschlagen und festgenommen. Und dann geschahen seltsame Dinge, um die Proteste in Verruf zu bringen: Manipulierte Bilder der Ath­le­t:in­nen zeigten sie mit höhnischem Grinsen, als ob man zeigen wollte, dass sie einen heimtückischen Plan ausgeheckt hätten, das politische Aus des WFI-Vorsitzenden herbeizuführen.

Gewalt gegen Frauen im Sport ist nicht nur in Ländern des Globalen Südens zu beklagen. Das belegt die Eröffnung der Ansprechstelle Safe Sport durch Innenministerin Nancy ­Faeser vor wenigen Tagen in Berlin. Eine Studie des Universitätsklinikums Ulm und der Deutschen Sporthochschule Köln hat aufgezeigt, dass Erniedrigungen, Bedrohungen oder Beschimpfungen, aber auch sexuelle Gewalt in Sportvereinen in Deutschland alltäglich sind.

In den USA wurde Larry Nassar, der Arzt des Turnverbands USA Gymnastics, 2018 angeklagt und zu 40 Jahren Haft verurteilt, weil er sich 14 Jahre lang in Hunderten Fällen an jungen Sportlerinnen sexuell vergangen hatte. Eine davon war die Turnerin Simone Biles, die in ihrer Disziplin beispiellose Erfolge erreichte, darunter 25 WM- und sieben olympische Medaillen, das letzte Mal 2021 bei den Spielen in Tokio. Ich frage mich, ob die protestierenden indischen Wrestlerinnen bereit wären, ihr Land, nachdem es sie auf so entwürdigende Art alleingelassen hat, noch einmal bei interna­tio­nalen Wettkämpfen zu vertreten.

Aus dem Englischen von Stefan Schaaf

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