Proteste in Polen: Bauern zelten für mehr Geld
Landwirte in Warschau verlangen von der Regierung, die Überproduktion an Milch und Fleisch aufzukaufen. Das soll Einkommenverluste auffangen.
WARSCHAU taz | Der schwarze Sarg macht Eindruck. Gut genährte Bauern tragen ihn vom Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus, zum rund zwei Kilometer entfernten Regierungssitz in Warschau. „Rolnictwo“ – „Landwirtschaft“ steht in weißen Lettern drauf. Andere skandieren: „Die polnische Politik vernichtet die Landwirtschaft“.
Auf Holztafeln stehen die niedrigen Preise für landwirtschaftliche Produkte: ein Kilo Schweinefleisch für umgerechnet 0,85 Euro, ein Kilo Schmalz für 1,45 Euro, ein Zentner Roggen für rund 105 Euro. Tausende Bauern erwarten von Polens Regierung, dass sie die Überproduktion an Milch und Schweinefleisch aufkauft und mit Brüssel über die Strafen verhandelt, die die Bauern eigentlich für die Überproduktion zu zahlen hätten.
Nicht nur die Warschauer haben für die Bauernproteste wenig Verständnis, ist doch allgemein bekannt, dass die Landwirte Polens von Brüssel aus gepäppelt werden wie sonst keine andere Berufsgruppe. Gesperrte Straßen, Umleitungen, Staus, genervte Autofahrer – die Bauern wollen die Warschauer mit Regionalspezialitäten verköstigen und hoffen, sie so zu besänftigen.
Doch wie lange die nicht genehmigte „grüne Zeltstadt“ vor dem Regierungssitz von Premier Ewa Kopacz stehen bleibt, weiß niemand. Ein paar besonders temperaturunempfindliche Demonstranten übernachteten dort sogar bereits einmal. Die meisten Bauern ziehen es jedoch vor, die Nacht in einem gut geheizten Hotelzimmer mit Bad und Fernseher zu verbringen.
Auch Polens Medien lassen an den beiden Bauern-Gewerkschaften kaum ein gutes Haar. So kritisiert die linksliberale Gazeta Wyborcza, dass die Proteste nichts anderes als der Wahlkampfauftakt für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in diesem Jahr seien. Die Bauern-Gewerkschaft OPZZ von Slawomir Izdebski mache Stimmung für die Anhänger der radikalen und einst mächtigen Bauernpartei Samoobrona (Selbstverteidigung), während die Bauern-Solidarnosc ganz offen die rechts-nationale Recht und Gerechtigkeit (PiS) unter Jaroslaw Kaczynski zu ihrer politischen Heimat erkläre.
Warschau nur bedingt zuständig
Ein Bauer, der lautstark gegen die Armut auf dem Land und den angeblichen Ausverkauf des Bodens an Ausländer protestiere, dabei selbst aber mit seiner Familie 400 Hektar Land in Westpommern bewirtschafte, sei nicht glaubwürdig. Das Gleiche gelte für einen Bauern, der lauthals „konstruktive Verhandlungen“ mit der Regierung fordere, dann aber zu den von Landwirtschaftsminister Marek Sawicki angebotenem Termin nicht erscheine.
Zudem wüssten die beiden Anführer der Bauerngewerkschaften sehr wohl, dass zwei der ingesamt zwölf Forderungen nicht in Warschau, sondern nur in Brüssel oder nach Rücksprache mit Brüssel erledigt werden können: die Entschädigung für Ernteausfälle aufgrund der hohen Zahl von Wildschweinen, sowie die staatliche Intervention auf den Milch- und Schweinfleisch-Märkten.
Obwohl Sawicki angeboten hatte, diese Fragen in Brüssel anzusprechen, beharrten die Demonstranten darauf, dass sie ausschließlich mit Premier Kopacz reden würden, nicht aber mit dem für die Bauern zuständigen Landwirtschaftsminiaster. Die konservative Rzeczpospolita titelt gar doppeldeutig „Unsere teuren Bauern“ und listet auf, wieviel Geld Polens Bauern seit 2004 vom polnischen Staat und der EU in Brüssel bekommen hätten: insgesamt 44,5 Milliarden Euro.
„Die Einkommen der polnischen Bauern sind in den letzten Jahren auf das Doppelte gestiegen und damit wesentlich schneller als in den anderen EU-Staaten“, meint Professor Andrzej Kowalski, Direktor des Ökonomie-Instituts für Landwirtschaft und Lebensmittel. Er sehe keinen Grund für die aktuellen Proteste.
Die einzigen Bauern, die tatsächlich erhebliche Einkommensverluste hinnehmen mussten, seien die Landwirte mit Apfel- und Gemüse-Plantagen. Sie treffe das Handelsembargo Russlands. Insgesamt aber fließe der Geldstrom ungehindert weiter. Der ländliche Raum erhalte in den Jahren 2014 bis 2020 weitere 42 Milliarden Euro.
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