Proteste in Neukölln und Mitte: Chemnitz bewegt Berlin
Nach den Ausschreitungen in Sachsen gehen auch in Berlin Menschen gegen rassistische Hetze auf die Straße. Mehr als gedacht.
Vielen Berlinerinnen und Berlinern ist es ein Bedürfnis, gegen die rechte Hetze in Chemnitz ein Zeichen zu setzen. Zu einer Demonstration in Neukölln, die ursprünglich mit 100 Teilnehmern angemeldet war, kamen am Donnerstagabend laut Polizei über 5.000 Menschen, Teilnehmer berichten von 8.000 bis 10.000 Demonstrierenden. Und auch am Freitag versammelten sich am Nachmittag Hunderte unter dem Motto „Stopp den Mob!“ vor der Landesvertretung Sachsens in Mitte.
Der Hermannplatz, Start der Neuköllner Demonstration, war am Donnerstagabend gerammelt voll. Laut Polizei hatte eine Privatperson den Aufzug angemeldet, Gruppen wie das Berliner Bündnis gegen Rechts und andere hatten mobilisiert – mit Erfolg. Jemand hielt ein Schild aus der Menge, „1933 oder heute, Nazis woll’n nix Gutes, Leute“, stand darauf. Auf anderen Plakaten hieß es: „Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht“ und „Nazis nerviger als das Berlin-Wetter“.
Tatsächlich regnete es während der Demo. Dass trotzdem so viele mitliefen, sei ein „positives Signal“, sagte ein Teilnehmer im Nachhinein. Nicht nur VertreterInnen der Antifa waren gekommen, auch viele „Normalos“, wie er sie nannte. Andere beschrieben das Publikum als „bunt“ und „linksliberal“. Die Route führte über die Sonnenallee und die Erkstraße. Laut Teilnehmern winkten die Leute von den Balkonen und hängten Regenbogen- und Seebrücke-Flaggen aus den Fenstern. Am Rathaus Neukölln, wo die Demo endete, sei auch getanzt worden.
250 PolizistInnen waren in Neukölln im Einsatz, sagte am Freitag eine Polizeisprecherin. Sie hätten mit mehr als 100 TeilnehmerInnen gerechnet und entsprechend Kräfte nachgeordert. Die Demonstration verlief „komplett störungsfrei“, betonte die Sprecherin. „Es gab nur eine einzige Ordnungswidrigkeit wegen Urinierens in der Öffentlichkeit.“
Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) hatte am Freitag offenbar ebenfalls das Bedürfnis, sich zu den Ausschreitungen in Chemnitz zu äußern. „Wir lassen uns unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat nicht kaputt machen“, so Müller, der derzeit auch Bundesratspräsident ist. „Es muss Schluss sein mit Wegschauen, dem vornehmen Zurückhalten.“ Jede Straftat, gerade wenn es um verfassungsfeindliche und nazistische Symbole gehe, müsse geahndet werden. Es dürfe nicht zugelassen werden, so Müller, „dass eine kleine Minderheit das zerstört, was wir uns gemeinsam in Jahrzehnten aufgebaut haben. Eine liberale, weltoffene und auch deshalb erfolgreiche Gesellschaft.“
Eine Polizeisprecherin
Kundgebung vor der sächsischen Landesvertretung
Am Freitagnachmittag fand bereits die nächste Kundgebung gegen die rechte Hetze statt: Vor der sächsischen Landesvertretung in der Brüderstraße in Berlin-Mitte standen ältere Frauen mit den Schildern „Omas gegen Rechts“ und „Nazis raus! Wir schaffen es!“, andere Teilnehmer forderten den „Säxit“ und „Dient der Mehrheit – nicht dem Mob!!!“. Gleichzeitig baten Demonstrierende „Gebt Sachsen nicht auf“. Um die 1.000 Menschen kamen.
Dirk Ludigs hatte die Kundgebung und Mahnwache angemeldet. In seiner Eröffnungsrede betonte er, dass sich die Protestaktion gegen die Landesregierung Sachsens richte und keinesfalls gegen die SächsInnen. Eine Schweigeminute für die Opfer von Gewalt in Sachsen – egal welcher Nation und Hautfarbe – wurde abgehalten. RednerInnen verschiedener Organisationen, die zum Protest aufgerufen hatten, meldeten sich zu Wort, so die Initiative „unteilbar“, die sich für demokratische Aktionen einsetzt, und „Lesben gegen Rechts“.
Die Veranstalter übergaben Vertretern der Sächsischen Landesregierung ihre Petition „Sachsen: Stopp den Mob!“, in der sie ein entschiedenes Vorgehen der sächsischen Regierung gegen rechtsextreme Gewalt einfordern. 36.000 Unterschriften in 72 Stunden waren zusammengekommen. Ein Sprecher der Regierung Sachsens versicherte, er könne jeden Satz der Petition selbst unterschreiben und werde diese weitergeben.
Zum Abschluss trat die Sängerin Lili Sommerfeld mit dem Lied „Non of us are free“ auf. Sie erzählte gegenüber der taz, dass die Vorfälle in Chemnitz sie getroffen hätten. „1933 wurde mein Opa in Chemnitz von der Schule gejagt, weil er Jude war. Und mein Uropa wurde von dort deportiert.“ Als Jüdin hätte sie noch nie Probleme gehabt, aber es mache ihr Angst, wie breit die Nazis heute aufgestellt seien.
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