Proteste in Libyen: Bengasi brennt
Erst erschütterten Demonstrationen Libyens Hauptstadt Tripolis. Jetzt geht der Sitz der Gegenregierung in Bengasi in Flammen auf.
Während die Parlamentarier die Demonstrationen unkommentiert ließen, solidarisierte sich die Führung von Haftars Armee LNA (Libysch-Arabische Nationalarmee) vage mit dem Volkszorn. Doch auch unweit des Hauptquartiers der LNA in der Kleinstadt al-Marj fanden am Wochenende Demonstrationen statt. Die Menschenrechtsorganisation „Libyan Crime Watch“ berichtet, dass ein Demonstrant dort von Sicherheitskräften erschossen und fünf Menschen verletzt wurden.
Seinen Rücktritt übergab Premierminister al-Thanni am Sonntag dem Parlamentspräsidenten Aguila Saleh. Die Abgeordneten des libyschen Parlaments wurden 2014 bei den letzten freien Wahlen gewählt und flohen danach vor Milizen aus Tripolis nach Ostlibyen. Saleh ist in den letzten Wochen wieder zu einem Ansprechpartner der Diplomaten aufgestiegen, die nach einem Ausweg aus der Konfrontation zwischen Ost- und Westlibyen suchen – obwohl der 76-Jährige unter UN- und EU-Sanktionen steht.
Die Krise in Ostlibyen folgt auf das Scheitern des Versuches der LNA, mit Hilfe russischer Experten und Söldner den Westen des Landes mit der Hauptstadt Tripolis zu erobern. Seit die Regierung in Tripolis dies mit Hilfe der Türkei zurückschlug, herrscht in Libyen ein brüchiger Waffenstillstand. Beide Konfliktparteien haben ihren Anspruch auf die Alleinherrschaft über Libyen aber nicht aufgegeben.
Gespräche sind nicht transparent
Proteste für bessere Lebensbedingungen gab es zuerst in Tripolis, vor zwei Wochen. Vermummte Angehörige der Nawasi-Miliz hatten damals in die Menge geschossen und einige Demonstranten verschleppt. Der international anerkannte Premier Fayez Serraj verurteilte die Milizengewalt. Die ostlibysche LNA scheint hingegen die Unzufriedenheit der Bevölkerung für sich nutzen zu wollen, obwohl die sich genauso gegen Haftars Truppen richtet.
Während in Libyen die Menschen auf die Straße gehen, haben Abgesandte der Zivilgesellschaft und politische Vertreter beider Seiten im schweizerischen Montreux und in Marokko in der letzten Woche Gespräche geführt und zunächst die Stärkung staatlicher Strukturen und Wahlen innerhalb von 18 Monaten vereinbart. Aber diese Gespräche sind nicht transparent. „Wir wissen nicht, wer dort verhandelt hat und wer sie bestimmt hat“, sagt ein Demonstrant der taz am Telefon. „Wir wollen, dass alle abdanken, die nicht transparent von den Bürgern gewählt wurden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?