piwik no script img

Proteste in IranDer Markt regelt die Revolte

Ausgelöst von Händlern des Großen Basars in Teheran erlebt die Islamische Republik erneut Proteste – nicht nur wegen des plötzlichen Währungseinbruchs.

Wohin die Proteste wohl führen werden? Demonstrierende am Montag in der Innenstadt von Teheran Foto: Fars News Agency via ap

Aus Berlin

Mahtab Qolizadeh

Dieser Tage geht Bahram in Teheran auf die Straße. Der junge Basarhändler protestiert – nicht nur wegen der ökonomischen Krise in Iran. Er sagt: „Die Protestierenden wollen, dass die Islamische Republik verschwindet.“ Das Gespräch konnte die taz über einen Messengerdienst mit ihm führen.

In der iranischen Hauptstadt sind am 28. Dezember erneut Proteste ausgebrochen. Zwei Tage lang gingen Menschen auf die Straße. Der erste Funke ging dieses Mal von Basarhändlern und Ladenbesitzern aus. Denn ihr Lebensunterhalt ist eng mit dem Wechselkurs zwischen dem iranischen Rial und dem US-Dollar verbunden. Und dieser sackte zuletzt heftig ab.

Der Große Basar von Teheran ist seit mehr als sechs Jahrzehnten ein zentraler wirtschaftlicher und politischer Knotenpunkt Irans. Das verleiht den nun dort ausgebrochenen Unruhen besonderes Gewicht. Für weite Teile wurden strenge Sicherheitsmaßnahmen verhängt. Es gibt Berichte über Verhaftungen, den Einsatz von Tränengas, Schlagstockeinsätze gegen Demonstrierende und eine sichtbar verstärkte Militärpräsenz.

Die Proteste begannen im Zentrum von Teheran. Schon am nächsten Tag, den 29. Dezember, weiteten sie sich erheblich aus – bis nach Karadsch, die größte Stadt in der Nähe. Auch Demonstrationen in den Städten Hamedan und Qeschm wurden gemeldet.

Die Mittelschicht ist verarmt

Doch warum hat sich der Wechselkurs jüngst so verschlechtert? Das liegt vor allem an der Aktivierung des sogenannten Snapback-Mechanismus: Ausgelöst wurde dieser am 28. September 2025, da lag der Wechselkurs bei 110.000 Toman pro US-Dollar. Heute wird der Dollar auf dem iranischen Freiverkehrsmarkt zu einem Kurs von rund 144.000 Toman gehandelt. Das bedeutet: Die iranische Währung hat in dieser kurzen Zeit mehr als 30 Prozent ihres Wertes verloren.

Tod dem Diktator

Protestierende in Iran

Das spüren die Menschen im Land: Die Inflation ist bereits in den letzten Monaten stark angestiegen und liegt insgesamt bei fast 50 Prozent, während einige Grundnahrungsmittel Preissteigerungen von mehr als 100 Prozent verzeichneten. Jahrelang anhaltender wirtschaftlicher Druck hat weite Teile der iranischen Mittelschicht bereits verarmen lassen. Zudem steckt die iranische Wirtschaft in einer tiefen Rezession. Die Kombination aus Inflation, politischer Unterdrückung und religiöser Diktatur hat für iranische Bürger eine unerträgliche Situation geschaffen.

Obwohl die aktuellen Proteste durch wirtschaftliche Missstände ausgelöst wurden, nahmen die Slogans der Demonstranten schnell einen klar politischen Ton an. Demonstrierende skandierten: „Tod dem Diktator“ – ein Ausruf, der allein zu Verhaftungen, langen Gefängnisstrafen sowie physischer und psychischer Folter führen kann. Die iranischen Polizei- und Militärkräfte haben in der Vergangenheit selbst auf friedliche Straßenproteste mit Gewalt und Waffen reagiert.

Angesichts des wachsenden Drucks zwang die herrschende Klasse der Islamischen Republik rasch Mohammad Reza Farzin, den Gouverneur der Zentralbank, zum Rücktritt, und ernannte einen neuen Leiter für die Währungsbehörde. Danach gaben die Preise für Dollar und Gold leicht nach – bleiben aber auf extrem hohem Niveau.

Wohin könnten die Proteste führen?

Einige der Protestierenden in Iran wünschen sich derweil lang vergangene Zeiten zurück: Laut Bahram habe sich der älteste Sohn des ehemaligen Schahs von Iran, Reza Pahlavi, in den letzten Tagen zur prominentesten Figur der Opposition entwickelt. „Die Menschen skandieren Slogans, die seine Rückkehr fordern“, sagt er der der taz.

Auch Mahour, eine Einwohnerin Teherans, hat die Proteste hautnah miterlebt. Die Situation in der Stadt beschreibt sie der taz in einer langen Sprachnachricht: „Das Recht auf Lebensunterhalt wird seit den Anfängen der Islamischen Republik untergraben. Deshalb hatten auch alle Proteste der letzten zehn Jahre mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu tun. Selbst bei den Protesten unter dem Motto ‚Frau, Leben, Freiheit‘ gab es diesen Unterton.“

Laut Mahour verschärfe sich die Krise immer weiter. „Aber wohin die Proteste am Ende führen, ist eine höchst komplexe Frage. Die iranische Gesellschaft steht derzeit auf einem sehr hohen Berg aufgestauter Unzufriedenheit. Und es gibt keine eindeutigen Anzeichen dafür, dass die Regierung sich wieder dem Volk annähert oder die Kluft zwischen den Herrschenden und den Beherrschten verringert.“

In Teilen von Teheran wurden die Demonstrationen bereits zerstreut und Protestierende festgenommen, in anderen herrscht weiterhin Gedränge, ebenso in einigen weiteren Städten. Bahram erzählt: „Die Sicherheitskräfte finden es nicht einfach, offen in den Basar zu gehen; sie kommen meist in Zivil und ohne Kennzeichnung und identifizieren Personen, um sie dann in der Nacht oder am nächsten Morgen festnehmen zu können.“

Es gibt keine Aussicht auf eine Verhaltensänderung der Führer der Islamischen Republik

Mahour, Einwohnerin von Teheran

Inzwischen haben auch Studierendengruppen angekündigt, sich den Protesten anzuschließen. Ihnen gehe es nicht nur um die desolate Wirtschaft, sondern um „grundsätzliche politische Fragen“, hieß es.

„Sie glauben, dass es keine roten Linien gibt“

Mahour sagt, die Wahrscheinlichkeit, dass die Proteste anhalten, sei sehr hoch. „Es gibt keine Aussicht auf eine Verhaltensänderung des Regimes“, betont sie. Doch man dürfe es auch nicht unterschätzen: „Die Waffen und das Öl liegen in den Händen der führenden ideologischen Kräfte der Islamischen Republik. Sie sehen sich als Soldaten des Systems und glauben, dass alles gerechtfertigt ist, um es zu erhalten. Sie glauben, dass es keine roten Linien gibt.“

Hilfe erhoffen sich manche von anderer Stelle: „Die Iranerinnen und Iraner haben in den vergangenen Monaten eine Botschaft erhalten“ – und zwar von Israel, sagt sie. „Nämlich das Gefühl, dass sie nicht allein sind und dass es Unterstützung für sie gibt.“ Tatsächlich sei dies ein Szenario, auf das einige iranische Bürger in den letzten Tagen hofften: innenpolitische Unruhen kombiniert mit einer militärischen Konfrontation.

Übersetzung aus dem Englischen und Mitarbeit: Lisa Schneider

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare