Proteste in Griechenland: Griechen streiken für Leben in Würde
Für viele Protestierende reicht das Einkommen kaum zum Überleben. Das soll ein Generalstreik ändern.
Zur Arbeitsniederlegung hatten die Dachgewerkschaft der Privatangestellten und der Beamten sowie zahlreiche Berufsverbände aufgerufen. Während Generalstreiks in den Krisenjahren in den Zehnerjahren sehr häufig stattfanden, flauten sie seit der Pandemie ab. An den Protestkundgebungen nahmen am Mittwochmittag in Athen, Thessaloniki und Patras wieder Zehntausende teil.
In Sprechchören und auf Transparenten forderten sie sofortige reale Lohnsteigerungen, die Ausweitung der Tarifverträge – sie decken nur 25 Prozent der Angestellten im Privatsektor ab –, einen Steuerfreibetrag für Einkommen bis 12.000 Euro sowie die Besetzung Tausender vakanter Stellen in Krankenhäusern und Schulen. „Um in Würde zu leben“, so das Motto der Beamtengewerkschaft.
Das wird zu Füßen der Akropolis immer schwieriger. Besonders seit dem Beginn des rigorosen Sparkurses in Athen im Frühjahr 2010, den die Regierungen bis heute fortsetzen. Die Griechen leiden seit der Beinahestaatspleite auf Geheiß der öffentlichen Gläubiger EU, EZB und IWF unter den nominal gefallenen Löhnen und Gehältern. Das Konzept: Billige Arbeit soll Griechenland wettbewerbsfähiger machen.
Das Einkommen schrumpft
Das heißt konkret: Betrug 2010 das Jahresgehalt für einen Vollzeitjob im Schnitt 20.722 Euro brutto, belief es sich 2023 auf 17.013 Euro brutto – ein Minus von 3.709 Euro. Hellas ist im EU-Vergleich auf den drittletzten Platz nur noch vor Ungarn (16.895 Euro) sowie Schlusslicht Bulgarien (13.503 Euro) abgerutscht, die indes gewaltig aufgeholt haben. In Hellas fiel das Einkommen – das gibt es in der EU sonst nirgendwo.
Dass die hiesigen Löhne und Gehälter seit 2020 brutto um kumuliert rund 14 Prozent gestiegen sind, reicht bei Weitem nicht aus. Denn die Steuermehrbelastung ist zugleich angewachsen – wegen kalter Progression. Wer einen Vollzeitjob hatte, hatte 2023 nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben im Schnitt 1.027 Euro netto im Monat in der Tasche. Ein Viertel der Angestellten hat Teilzeitjobs. Sie müssen sich mit 425 Euro netto begnügen.
Damit kommt man in Griechenland kaum über die Runden. Denn die hiesige Inflation beläuft sich seit 2020 auf kumuliert knapp 20 Prozent. Die Lebensmittel verteuerten sich seither um 32 Prozent, Wohnen ist fast 25 Prozent teurer. Unterm Strich hat dies zu einem massiven Reallohnverlust geführt.
Griechenlands konservativer Premier Kyriakos Mitsotakis prahlt allenthalben mit dem griechischen Wirtschaftswachstum von rund zwei Prozent. Das Versprechen, wonach bis 2027 das hiesige Durchschnittsgehalt auf 1.500 Euro pro Monat steigen werde, nimmt ihm am Peloponnes derweil kaum einer ab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Bodycams bei Polizei und Feuerwehr
Ungeliebte Spielzeuge
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach