Proteste in Belarus: Ultimative Demo in Minsk

Lukaschenko lässt das Rücktrittsultimatum von Oppositionsführerin Tichanowskaja verstreichen. Hunderttausende drohen mit Streik.

Eine junge Frau formt mit ihren Händen ein Herz, sie hat sich eine belarussische Flagge um die Schultern gebunden.

Teilnehmerin am „Marsch des Ultimatums“ am Sonntag in Minsk Foto: ap

Gut gelaunt, mit Gruppen von Trommlern, Rufen nach „Streik!“ und weiß-rot-weißen Fahnen, dem Symbol der Opposition, demonstrieren am Sonntag wieder Tausende im Minsker Stadtzentrum und anderen Städten gegen Alexander Lukaschenko. Damit waren sie einem über die sozialen Medien verbreiteten Aufruf zum „Marsch des Ultimatums“ gefolgt. Das Portal Radio Swaboda schreibt auf seiner Facebook-Seite von 100.000 bis 200.000 Menschen allein in Minsk.

Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja hatte Machthaber Alexander Lukaschenko am 13. Oktober ein Ultimatum gestellt: Wenn er nicht bis zum Abend des 25. Oktober zurücktrete, alle politischen Gefangenen freilasse und die Gewalt auf den Straßen beende, werde es ab dem 26. Oktober im ganzen Land zu Aktionen zivilen Ungehorsams und zu Streiks kommen.

Vor Beginn der Minsker Demonstration hatten schwarz gekleidete und vermummte Polizisten Demonstranten gejagt. Auch in anderen belarussischen Städten hatten Bewohner für einen Rücktritt Lukaschenkos und sofortige Neuwahlen demonstriert. Um 17 Uhr Ortszeit berichtet die belarussische Menschenrechtsorganisation Wjasna von 32 Festnahmen in Minsk, Pinsk, Witebsk, Hrodno, Brest, Lida, Gomel, Mogilew und Nowopolozk.

Bei dem Versuch, einen Marsch in Hrodno aufzulösen, wurde, so das Portal belaruspartisan.by, ein Demonstrant am Kopf verletzt. In Nowopolozk war ein Demonstrant so schwer verletzt worden, dass er ärztlich behandelt werden musste, berichtet Nexta.

Angebliche Pro-Lukaschenko-Demo

Beinahe hätten zeitgleich und fast am gleichen Ort auch Anhänger von Lukaschenko demonstriert. Zwischen 250.000 und 300.000 Menschen aus dem ganzen Land habe man erwartet, berichtete Alexander Lukaschenko der staatlichen Nachrichtenagentur Belta.

Doch er persönlich habe die Demonstration abgesagt. Die Demonstranten hätten das Stadtzentrum völlig überfüllt. Dieser „Kollaps“, so Lukaschenko, hätte die Innenstadt paralysiert. Sie alle hätten natürlich „Batka“ (deutsch: Väterchen, wie er sich gerne nennen lässt) sehen wollen. Aber nur 15.000 hätten das geschafft. Außerdem hätten sich die Teilnehmer mit Covid anstecken können.

Doch unabhängige Quellen bezweifeln, dass die Pro-Lukaschenko-Demonstration wirklich aus diesem Grund abgesagt wurde. Im Gegenteil, meint das Portal tut.by: Trotz massiven Drucks auf Arbeiter und Angestellte sei es Lukaschenkos Machtapparat offensichtlich nicht gelungen, auch nur annähernd so viele Leute wie angekündigt zu mobilisieren.

Lukaschenko habe sich einfach eine Blamage ersparen wollen, erklärt sich Lew Margolin von der „Bürgerpartei von Belarus“ auf dem Portal belaruspartisan.by die Absage von Lukaschenkos Großdemonstration. Außerdem hätten es Lukaschenkos Polizeieinheiten bei ihrer Jagd auf Demonstranten schwer gehabt, die Unterstützer von Gegnern auseinanderzuhalten, so Margolin.

Druck auf Studierende

Unterdessen halten Drangsalierung und Kriminalisierung der Regimegegner an. Bei einem Gespräch mit Studierenden der Staatlichen Universität für Informatik und Radioelektronik drohte Generalstaatsanwalt Andrei Schwed seinen Gesprächspartnern mit Exmatrikulation, wenn sie wegen Arreststrafen nicht bei den Vorlesungen erscheinen würden.

Derzeit sitzen in belarussischen Gefängnissen 102 politische Gefangene. Dies geht aus einer gemeinsamen Erklärung von elf belarussischen Menschen­­rechtsorganisationen hervor. Zugleich, so berichtet tut.by, seien bei den Behörden über 1.800 Anzeigen wegen ­Polizeigewalt eingegangen.

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