Proteste in Iran: Minoo, Ali, Nika, Danya …

Seit Wochen demonstrieren Zehntausende gegen das Regime. Viele von ihnen kamen dabei ums Leben oder sind inhaftiert. Sieben Gesichter der Revolte.

Street Art in Paris

Street Art in Paris Foto: Francis Mori/ap

Sieben Gesichter der Revolte.

Minoo Majidi
Porträt von Minoo Majidi

Foto: iranian_famous_women/Instagram/taz screenshot

Am 20. September wurde Minoo Majidi, als sie in der Stadt Kermanschah, nahe der Grenze zu Irak, protestierte, von bewaffneten Kräften des Regimes in den Kopf geschossen. Das berichtete die Menschenrechtsorganisation Hengaw. Am 22. September wurde die kurdische Iranerin und mehrfache Mutter beerdigt. Bei der Zeremonie sangen die Trauernden den kurdischen Slogan „Jin, Jiyan, Azadî“ (Frau, Leben, Freiheit), der weltweit zum Schlachtruf der Proteste geworden ist, und riefen „Tod dem Diktator!“. Über der Menge – so zeigt es ein Video im sozialen Netzwerk Twitter – schwenkten sie Kopftücher. Symbolisch für die Proteste wurde auch ein Bild einer der Töchter Majidis: Sie steht am Grab ihrer Mutter, in der Hand ihre abgeschnittenen Haare, um den Hals einen weißen Schal. Unter dem Hashtag #whitewednesdays teilen Frauen seit 2018 ihren Protest gegen die Kopftuchpflicht in Iran mit der Welt – wer dagegen ist, trägt etwas Weißes an sich.

Portät von Ali Daei

Foto: reuters/Bearbeitung taz

Ali Daei

„Freiheit für Ali Daei & alle Protestierenden im Iran“ stand am vergangenen Samstag auf zwei Bannern im Berliner Olympiastadion. Die Hertha-Fans solidarisierten sich beim Heimspiel gegen den SC Freiburg mit ihrem ehemaligen Spieler. Teheran hatte dem 53-Jährigen den Pass entzogen, nachdem sich Daei in den sozialen Medien auf die Seite der Protestierenden gestellt hatte. Mittlerweile hat er nach eigenen Aussagen seine Ausweispapiere zurückbekommen. Daei lief von 1999 bis 2002 für Hertha auf. Davor war er in der Bundesliga für Bielefeld und die Bayern aktiv. In Iran ist Daei sehr prominent und mit 109 Länderspieltoren eine Fuß­ball­iko­ne. Doch in der Bevölkerung ist er umstritten, teilweise sogar unbeliebt. Daei galt lange als Nutznießer des Regimes und übte keine Kritik an den Mullahs. Das hat sich nun geändert. Welchen Preis er dafür noch zahlen wird, ist offen.

Porträt von Nika Shakarami

Foto: iranian_famous_women/Instagram/taz screenshot

Nika Shakarami

Am 20. September verschwand Nika Shakarami während der Proteste in Teheran und wurde zehn Tage später tot von ihrer Familie identifiziert. Am 2. Oktober wäre sie 17 Jahre alt geworden – es wurde der Tag ihrer Beerdigung. Zu den Protesten soll Shakarami mit einem Handtuch und einer Flasche Wasser losgezogen sein – vermutlich, um sich vor Pfefferspray zu schützen. Online wurde ein Video von ihr tausendfach geteilt: Breitbeinig, die Harre offen, singt sie in ein Mikro. Immer wieder dreht sie sich lachend zur Seite. Kurz nach den Protesten in Teheran am 20. September sagte sie in ihrer letzten Nachricht, dass Sicherheitskräfte sie verfolgen würden, wie ihre Tante der BBC berichtete. Danach fehlte von Nika Shakarami jede Spur. Die iranischen Behörden gaben an, sie sei von einem Haus gestürzt. Ihre Familie glaubt das nicht. Um eine Beerdigungsfeier oder Pilgerstätte zu verhindern, soll das Regime die Leiche gestohlen und weit weg ihrem Heimatdorf vergraben haben.

Porträt von Danya Rad

Foto: iranian_famous_women/Instagram/taz screenshot

Danya Rad

Am 29. September wurde Danya Rad in Teheran festgenommen. Der Grund: Sie war frühstücken gegangen, ohne Hi­dschab. Nach dem Tod Jîna Mahsa Aminis ein Zeichen des Protests im Alltag. Ein Bild davon wurde in den sozialen Medien geteilt. Rads Schwester Dina teilte am Tag darauf auf Instagram mit, dass Danya festgenommen und ins berüchtigte Teheraner Evin-Gefängnis gebracht worden war. Nicht nur das Bild, auf dem Rad – neben ihr eine weitere junge Frau ohne Kopftuch – isst, wurde berühmt. Sondern auch eines, welches dasselbe Lokal, dieselben Tische und Stühle zeigt – menschenleer. Die Journalistin Golnaz Esfandiari, die für Radio Liberty über Iran berichtet, schrieb auf Twitter: Ihr 54-jähriger Vater habe das Café im Süden der Stadt aufgesucht, dokumentiert, wo Rad saß, und gesagt: „Wir warten.“ Das Warten hat mittlerweile ein Ende: Am 9. Oktober wurde Danya Rad auf Kaution freigelassen.

Porträt von Sarina Esmailzadeh

Foto: iranian_famous_women/Instagram/taz screenshot

Sarina Esmailzadeh

Am 23. September starb die 16-jährige Sarina Esmailzadeh. Polizisten sollen sie bei Protesten in der Stadt Karadsch mit Schlagstöcken totgeprügelt haben, wie Menschenrechtsorganisationen berichten. Esmail­za­deh nutzte schon vor den Protesten soziale Medien, um in Videos für Frauenrechte zu sprechen, in denen sie sich auch gegen den verpflichtenden Hi­dschab aussprach. Andere Videos zeigen, wie sie singt, tanzt oder über Freiheit philosophiert. Außerdem war sie Fan des Fußballvereins Borussia Dortmund. Bei dessen Spiel in der vergangenen Woche gedachten ihr BVB-Fans mit einem Banner. Der Verein reagierte auf Twitter: „Wir stehen an der Seite der mutigen Frauen im Iran.“ Die iranischen Behörden geben an, Sarina Esmailzadeh sei von einem Haus in den Tod gesprungen. Laut dem unabhängigen Fernsehsender Iran International mit Sitz in London setzt die Islamische Republik Esmailzadehs Eltern unter Druck und versucht, die Umstände des Todes zu verschleiern.

Foto: iranian_famous_women/Instagram/taz screenshot

Shervin Hajipour

Er schenkte den Sehnsüchten der Protestierenden seine Stimme. In seinem Lied „baray-e azadii“ (Für die Freiheit) vertont Shervin Hajipour die Tweets von Iranerinnen und Iranern, in denen sie schreiben, wofür sie auf der Straße ihr Leben riskieren. „baray-e“ bedeutet im Persischen „für“ oder „wegen“. Für das Tanzen auf der Straßen und wegen der Furcht, den Geliebten in der Öffentlichkeit zu küssen, singt der junge Mann gefühlvoll in sein Mikrofon, während die Kamera auf ihn gerichtet ist. Das Video zum Song geht viral. Dass Teheran versucht, es zu zensieren, machte es nur noch bekannter. Mittlerweile hat sich der 25-jährige Sänger teilweise von seinem Werk distanziert – nachdem ihn das Regime festgenommen hatte und nur gegen Kaution freiließ. In einer Stellungnahme auf Instagram bedauerte Hajipour, dass sein Protestsong von „ausländischen Bewegungen (…) politisch unangemessen“ genutzt werde. Das klingt nach einer Aussage unter Zwang. Denn genau mit dieser propagandistischen These versuchen die Machthabenden, die Proteste zu delegitimieren.

Foto: iranian_famous_women/Instagram/taz screenshot

Mahsa Jina Amini

Am 16. September starb die iranische Kurdin Mahsa Jina Amini in der Teheran. Drei Tage vorher warf die Sittenpolizei ihr vor, sie trage ihren Hidschab nicht richtig und nahm sie fest. Augenzeugen berichten, die Polizisten haben sie bereits im Auto geschlagen, aber verifizieren lässt sich das nicht. Unumstritten ist, dass Amini ins Koma fiel. Staatliche Behörden bestreiten, dass der Staat schuld an ihrem Tod sein könne. Sie habe Vorerkrankungen gelitten und sei daran gestorben, behaupten die Behörden. Ihre Eltern dementieren das: Die 22-Jährige war gesund – bevor die Polizei sie aufgriff. Mahsa Jina Amini wurde 1999 geboren und wuchs in der Stadt Saqqez auf, die in der iranischen Provinz Kurdistan liegt. Während in ihrem Pass der persische Name Mahsa stand, nutzten ihre Eltern eher den kurdischen Namen Jina (auch Zhina geschrieben). Obwohl sie selbst nicht politisch aktiv war, gilt ihr Tod als der Auslöser für die Proteste gegen das Mullah-Regime.

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