Proteste im Irak: Al-Sistani stützt den Aufstand
Iraks einflussreicher Kleriker prangert Korruption an und stellt sich hinter die Protestbewegung. Unterdessen steigt die Zahl der Toten auf über 40.
Seit Dienstag protestieren Tausende Menschen in verschiedenen Provinzen des Iraks. Mindestens 46 Leute sollen getötet worden sein, darunter auch einige Sicherheitskräfte. Mehr als 1.600 Menschen wurden verletzt.
In dieser aufgeheizten Stimmung war mit Spannung erwartet worden, wie sich der einflussreiche Großayatollah Ali al-Sistani verhalten werde. Er stellte sich in seiner Rede zum Freitagsgebet hinter die Protestierenden, forderte aber beide Seiten auf, keine Gewalt anzuwenden. Die Regierung kritisierte al-Sistani dafür, dass sie nicht genug unternehme gegen die Korruption im Land. Die Politik forderte er auf, Maßnahmen zu ergreifen, „bevor es zu spät ist“.
Al-Mikdam misst der Rolle des Großayatollahs allerdings begrenzten Einfluss zu. „Die Leute, die protestieren, folgen weder einer politischen Partei noch einer religiösen Führung“, ist er sich sicher. „Sie demonstrieren als Iraker für den Irak.“
Der einflussreiche Schiitenführer Muktada al-Sadr forderte sein politisches Bündnis unterdessen zu einem Boykott des Parlaments auf. Die Abgeordneten sollten ihre Aufgaben im Parlament solange niederlegen bis die Regierung ein Programm vorstelle, das den Wünschen der Iraker gerecht werde, sagte al-Sadr am Freitag. Seine Koalition hatte bei der Parlamentswahl 2018 die meisten Sitze gewonnen.
Ein hochkorruptes Land
Korruption sei das größte Risiko für die Stabilität des Iraks, schreibt Toby Dodge vom Thinktank Chatham House. Laut Transparency International liegt der Irak auf dem weltweiten Korruptionsindex an zwölftletzter Stelle. Milliarden Dollar, die für den Bau von Spitälern oder Elektrizitätswerken gebraucht werden, versickern, ohne dass die Projekte realisiert werden. Ein Viertel aller Iraker ist arbeitslos. Dabei könnte der Irak dank seiner Ölreserven ein reiches Land sein.
Die Protestierenden fordern den Rücktritt von Regierungschef Adel Abd al-Mahdi. Doch die Probleme, die die Demonstrierenden anprangern, sind nicht das alleinige Verschulden der aktuellen Regierung. Sie sind die Folge des politischen Systems, das im Irak nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 implementiert wurde – ein System, das die Macht zwischen verschiedenen Religions- und ethnischen Gruppen aufteilt, was dazu führt, dass die politischen Führer unter ihren Anhängern Angst vor der jeweils anderen Gruppe schüren, während sie gleichzeitig die Ressourcen des Landes ausbeuten und den Gewinn unter sich aufteilen. Die jungen Leute hätten das durchschaut, sagt al-Mikdam.
Die meisten Proteste finden in der Hauptstadt und in den südlichen Provinzen statt – es sind also vor allem Schiiten, die gegen die mehrheitlich schiitische Regierung demonstrieren. Das zeigt, dass es sich bei den jüngsten Protesten im Irak nicht um einen konfessionellen Konflikt handelt, sondern um den Protest einer frustrierten Jugend, die genug hat von den leeren Versprechungen der politischen Führung. (mit Agenturen)
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