Proteste im Fernen Osten Russlands: Putins System zeigt Risse
In Chabarowsk gehen weiter Zehntausende gegen den russischen Präsidenten auf die Straße. Dem Kreml fehlt die Übung im notwendigen Dialog.
Es begann mit dem Füttern von Tauben. Auf dem zentralen Platz von Chabarowsk, dem einstigen Militärposten in Russlands Fernem Osten. Die Tauben müssten sich längst überfressen haben, denn das Codewort von der Fütterung der Vögel greift seit mehr als zwei Wochen. Acht Flugstunden von Moskau entfernt prallt hier die Realität der Menschen mit der vorgestellten Realität des Kremls zusammen und führt vor, wie unbeholfen sich die Zentralregierung in Moskau gibt, so kurz nach dem „Triumph“ Putins bei der Änderung der russischen Verfassung.
Seit am 9. Juli Spezialkräfte den mittlerweile abgesetzten Gouverneur der Chabarowsk-Region, Sergei Furgal, festgenommen haben, kommt die Region nicht zur Ruhe. Zehntausende demonstrieren für „ihren“ Furgal. Dass sich der einstige Arzt mit seinen Altmetallgeschäften die Hände schmutzig gemacht haben könnte, halten viele der Demonstrant*innen gar nicht einmal für abwegig.
Ihnen geht es um Tieferes: Furgal ist ein Katalysator für die Unzufriedenheit der Menschen mit der „Macht“ in Moskau. Der von ihnen gewählte Gouverneur hatte einige populäre Entscheidungen getroffen und gab den Menschen das Gefühl, dass sich etwas ändern könnte, auch wenn sich letztlich nicht viel geändert hatte. Die Hoffnung aber, sie war wieder da. Mit der Festnahme Furgals fühlen sich viele durchaus loyale und dem Kreml sonst gewogene Bürger*innen ihrer Mündigkeit beraubt.
Für diese Mündigkeit gehen sie auf die Straße und legen offen, dass Putins Machtvertikale Risse bekommen hat. Risse, die der Kreml nun mit den bewährten Mitteln zu kitten versucht: Abgekoppelt von der Lebenswirklichkeit seines Volkes, setzt er den Chabarowskern mit dem 39-jährigen Michail Degtjarjow einen neuen Gouverneur vor die Nase, einen regionsfremden, aufstrebenden Polittechnokraten. Degtjarjow ist die Wahl Putins, nicht die Wahl der Chabarowsker.
Der Kreml spricht von „sich beruhigender Lage“, die Proteste aber werden größer. Der Spalt ist zu groß für einen Kitt, im Dialog aber ist der Kreml – im Gegensatz zur Gewaltanwendung – nicht geübt.
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