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Proteste gegen toxische StrukturenSpektakuläre Freiheit

Reproduktion, Syndikat-Kneipe, Kohle: In Berlin häufen sich die Proteste. Ein guter Moment, auch von der antifaschistischen Vergangenheit zu lernen.

Keine rechtsoffene Demo: Berliner Anarchist*innen im Juli 1927 Foto: Libertad Verlag Potsdam

Lügenpresse“-Skandierende, Verschwörungsfantast*innen, Yoga-Begeisterte, dazu Reichs- und Regenbogenfahnen. Eine seltsame selbsternannte Avantgarde zog da am vergangenen Wochenende durch Mitte. Als Hauptstadt musste Berlin wieder einmal als Bühne herhalten. Zu den Überzeugten kamen die Skeptiker*innen, die Labilen und Frustrierten hinzu, denen das propagierte „Ende der Pandemie“ nach langen und angespannten Monaten vielleicht ein – wenn auch nur simuliertes – Aufatmen sein konnte.

Dass auch Reichsbürger*innen und organisierte Neonazis mitliefen, darf nicht wirklich überraschen. Konstitutiv setzt sich die NS-Ideologie auch aus „widerständigen“, aus alternativen und esoterischen Elementen zusammen. Wie damals ist auch heute eine Krise der Nährboden für Antisemitismen der gefährlichsten Art. Und die Gefahr, die eine Covid-19-Infektion für besonders gefährdete Menschen bedeutet, schlicht zu leugnen, kann als Spielart des Sozialdarwinismus gelten.

Es mag sich gut anfühlen, über angebliches Wissen zu verfügen, das andere nicht haben, und große Zusammenhänge zu sehen, wo andere sich mit schnöder Detailkritik abmühen. Es mag entlasten, Ethik und politische Diskussion durch „Natur“ zu ersetzen und das „Recht der Stärkeren“. Es mag Spaß machen, plötzlich Herr über eine Welt zu sein, die man nach eigenen Regeln beschreibt. Das jedoch ist nicht freiheitlich, sondern elitär.

Von Rosa Luxemburg ist der Ausspruch überliefert: „Laut zu sagen, was ist, bleibt die revolutionärste Tat.“ Wo das Lautsprechen sich freimacht von den Fakten, sind wir verloren.

taz plan im exil

Da die Kulturbeilage taz Plan in unserer Printausgabe derzeit pausiert, erscheinen Texte nun vermehrt an dieser Stelle. Mehr Empfehlungen vom taz plan: www.taz.de/tazplan.

Fakt ist, dass rassistische Übergriffe zunehmen und patriarchale Strukturen sich verfestigen. Was eigentlich „Reproduktionsarbeit“ ist und was „toxische Männlichkeit“ und was diese Phänomene mit Kapitalismus zu tun haben, darüber informiert eine Vortragsreihe des Vereins Phia. Im Zuge dieser Reihe wird bis zum 27. August eine Gruppenausstellung in der Galerie der Zukunft am Ostkreuz zu sehen sein, die sich künstlerisch mit dem Thema „Körper“ auseinandersetzt, einer der Schnittstellen von Natur, Kultur und Politik also. Die Veranstaltung findet im Freien statt, damit die Abstandsregeln eingehalten werden können (Mittwoch, 5. August, 16 Uhr, Vernissage, 19 Uhr, Vortrag, Laskerstraße 5).

Lange Nacht der Weisestraße

Fakt ist, dass am 7. August nach 35 Jahren die Kiezkneipe Syndikat für immer schließen soll. Der Schillerkiez würde damit einen freiheitlichen Ort der nachbarschaftlichen Begegnung und Organisierung verlieren. „Wir laden euch ein, am Abend vor der angekündigten Zwangsräumung, mit uns und vielen solidarischen Nachbar:innen, zusammen die ‚Lange Nacht der Weisestraße‘ zu begehen“, heißt es im Aufruf zu einer nächtlichen Kundgebung. Videos, Redebeiträge, Dia-Shows und Musik sollen die Nacht über für Unterhaltung sorgen (Donnerstag, 6. August, ab 20 Uhr, Weisestraße 56).

„Das Kohleausstiegsgesetz der Bundesregierung kommt in seinen Zielen nicht einmal an die Empfehlungen der eigens eingesetzten Kohlekommission heran, ganz zu schweigen vom 1,5°C Ziel des Pariser Klimaabkommens“, heißt es in einem Demoaufruf für Sonnabend. Und weiter: „Lasst uns gemeinsam für eine klimagerechte antikapitalistische Welt kämpfen.“ (Samstag, 8. August, 11 Uhr, Rosa-Luxemburg-Platz).

Erinnern an die FAUD

Zu den wirklich freiheitlichen, spektakulären Aktionen der Freien Arbeiter Union Deutschlands (FAUD) gehörten der Protest gegen die Auslieferung ihrer verfolgten Genoss*innen an die italienischen Faschisten, der Kampf für ein modernes Asylrecht und das Eintreten des syndikalistischen Frauenbundes für den „Gebärstreik der Arbeiterfrauen“.

1931 organisierte die FAUD eine der großen antifaschistischen Kundgebungen, um den Aufstieg der NSDAP zu verhindern. Neukölln gehört zu den Stadtteilen, in denen seit 1893 anarchistische Gruppen bestanden. In der Kaiserzeit tarnten sie sich als Skatvereine, um nicht der staatlichen Repression ausgesetzt zu sein. Bei einer Fahrradtour der Gustav Landauer Initiative soll an dieses Erbe erinnert werden (Samstag, 8. August, 14 Uhr, Hohenstaufenplatz/„Zickenplatz“).

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Stefan Hunglinger
Redakteur im Politik-Team der wochentaz. Schreibt öfter mal zu Themen queer durch die Kirchenbank. Macht auch Radio. Studium der Religions- und Kulturwissenschaft, Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule. Mehr auf stefan-hunglinger.de
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