Proteste gegen die Rentenreform: Macrons Show vorm Generalstreik
Zum ersten Mal äußert sich Frankreichs Präsident zum Widerstand gegen die Rentenreform. Für Donnerstag wird erneut zu Protesten aufgerufen.

Allenfalls hätten er und seine Regierung der Bevölkerung nicht erklären können, weshalb die Maßnahmen zur finanziellen Absicherung des Rentensystems auf längere Zeit hinaus notwendig seien. Damit endet Macrons Selbstkritik – keine persönliche Verantwortung der Krise. Alle Reformen der Altersvorsorge waren schließlich unpopulär, weil die Bürger seit Jahrzehnten nicht hören wollen, dass Frankreich „mehr ausgibt als verdient“, gleichzeitig aber „das beste Sozialmodell der Welt haben will“, so der Staatschef.
Das Fernsehinterview geriet wegen der schüchternen Zurückhaltung der beiden Gesprächspartner zum Monolog, zur Fernsehshow des Präsidenten. Auf eine Präzise Frage bekräftigte Macron lediglich, dass seine Premierministerin Elisabeth Borne auch weiterhin sein Vertrauen habe. Für eine Regierungsumbildung solle es nicht der richtige Zeitpunkt sein.
Er gedenkt überhaupt dem Druck der Straße in keiner Weise nachzugeben. Die umstrittene Reform müsse nur noch von Verfassungsrat geprüft werden. Auch eine Volksabstimmung darüber will er nicht – laut Umfragen würde eine große Mehrheit gegen die Reform stimmen. Für ihn hat sie einen „normalen“ demokratischen Amtsweg durchquert und soll vor Jahresende in Kraft treten.
Reform als vollendete Tatsache
Er hält die organisierten gewerkschaftlichen Kundgebungen, an denen sich in den letzten Wochen mehrere Millionen beteiligt haben, für „legitim“, verwehrt sich aber gegen Blockaden wie vor den Raffinerien und Treibstoffdepots sowie jegliche Gewalt bei Demonstrationen. Dass er diesen Massenprotesten insgesamt wenig Gewicht zumisst, hatte er am Dienstagabend beim internen Treffen mit den Abgeordneten seiner Regierungsparteien gesagt: „Die Massen haben keine größere Legitimität als das Volk, das sich über seine gewählten Vertreter äußert.“ Das tönt für Streikende und Demonstrierende deshalb provozierend, weil die gewählten Abgeordneten gerade nicht abstimmen durften und die Reform auf autoritäre Weise für beschlossen erklärt wurde.
Für den Staatschef ist diese Reform eine vollendete Tatsache, er möchte sogleich ein neues Kapitel aufschlagen. Den Gewerkschaften, die er mit seinem Vorgehen in der Rentenpolitik vor den Kopf gestoßen hat, bietet er zwar die Hand zum Dialog, aber über andere Prioritäten: Gesundheit, Erziehung, Verteidigung, Vollbeschäftigung dank Industrialisierung. Aus den Protesten nimmt Macron weitere wichtige Themen mit: soziale Ungleichheit, vorzeitige Abnützung und tiefe Löhne in manchen Berufen.
Macron sprach auch vom „Zynismus“ mancher Großunternehmen, die ihre außerordentlichen Gewinne in Aktien statt in Personal oder Investitionen stecken. Diesbezüglich könnte er eine Sonderabgabe erwägen, wie dies bei Energiekonzernen wie Total bereits zur Preissenkung für Konsumenten gemacht worden war. Mit diesen Ankündigungen konnte Macron nicht den großen Zorn der Millionen besänftigen. Zum Donnerstag wird erneut zu Streiks und Demonstrationen landesweit aufgerufen. Die Protestierenden wollen hören, dass die Staatsführung auf die Reform verzichtet. Das tut sie noch nicht.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!