Proteste gegen Überwachung: Ärger statt Angst
Snowden, Prism, NSA: Dutzende Initiativen rufen für Samstag zu Protesten auf – ein Aufbruch der jungen Bürgerrechtsbewegung? Wohl kaum.
Alles ist geordnet und bereitet und das meiste definiert. Keine Partei darf mehr als ein Fahrzeug im Zug mitführen. Kein Fahrzeug darf über 7,5 Tonnen wiegen. Und in der 60-Meter-Zone vor der Bühne schließlich haben Parteifahnen nichts zu suchen.
Wer so präzise bestimmen kann, was auf einer Demonstration passieren soll und was nicht, muss keine Angst haben, dass sie aus dem Ruder läuft. Umso weniger, wenn es eine Demonstration mit Erfolgsgeschichte ist. „Freiheit statt Angst“.
Es dauert nicht mehr lange, bis Samstag also, dann ist es wieder so weit. Dutzende Verbände und Initiativen, rund 70 an der Zahl, rufen seit Wochen gemeinsam zum Bürgerrechtsprotest auf. Es soll gegen die NSA gehen und gegen Prism und Tempora. Es geht um die Haltung der Bundesregierung zu dem Skandal, aber auch gegen Vorratsdatenspeicherung, Nacktscanner an Flughäfen, gegen Überwachung eben und um effektiven Arbeitnehmerdatenschutz.
Die Demo: Was 2006 klein begann, erhielt 2008 und 2009 riesigen Zulauf - Zehntausende kamen nach Berlin. 2010 und 2011 schrumpften die Teilnehmerzahlen. 2012 fiel die Demo ganz aus.
Die Themen: Protestiert wurde gegen Vorratsdatenspeicherung und Internetsperren - bislang erfolgreich. 2013 geht es unter anderem gegen den NSA-Überwachungsskandal, gegen Videoüberwachung und eine lebenslange Steuernummer.
Der Termin: Dieses Jahr werden wieder mehr Teilnehmer erwartet, auch wegen der Enthüllungen von Edward Snowden. Die Demonstration beginnt um 13 Uhr auf dem Berliner Alexanderplatz.
Und weil die Schlagzeilen beherrscht sind von immer neuen Datenschutzskandalen, fragen sich einige: Kann dieser Samstag dann nicht jener Aufbruch werden, den die junge Bürgerrechtsbewegung doch so gut gebrauchen könnte? Nach all den stillen Wochen und gefloppten Sponti-Demos, nach all der mühevollen Arbeit, um aus den Enthüllungen von Edward Snowden wenigstens etwas politisches Kapital zu schlagen?
Es knirscht und knarrt
Die Antwort will sich kein Gesicht geben und keinen Namen. Aber sie lautet, kurz gesagt: wohl kaum. Denn unter wichtigen Aktiven der Netz- und Bürgerrechtsbewegung knirscht und knarrt es.
Manchmal sind auch kleine Zeichen aufschlussreich. Ein solches Zeichen, eine Lücke, dokumentierte die Unterstützerliste der Demonstration - bis Mittwoch noch. Darauf stehen Dutzende Organisationen. Attac, Campact, die jungen Liberalen und die AIDS-Hilfe Deutschland. Sogar der Bundesverband der Verbraucherzentralen. Keine Frage, das wird eine große Sache. Ein Name allerdings fehlte: der Chaos Computer Club. Das ist zwar nur ein Name, aber einer der wichtigsten in der Szene. Und wer sich dann also umhört, trifft plötzlich auf einflussreiche Aktivisten, bei denen sich immer mehr Frust anstaut.
Sie wollen ihre Namen nicht in der Zeitung lesen. Sie wollen niemandem die Erfolge versauen. Eigentlich wollen sie da jetzt auch kein Fass aufmachen. Doch es bleibt dabei: Sie halten diese Demo-Geschichte am Samstag für einen Karnevalsumzug, eine Trockenübung - Terminfolklore, wie sie sonst ein paar Übriggebliebene am 1. Mai zelebrieren.
„Da verkünden ein paar Initiativen freimütig, dass die Netzbewegung auf die Straße geht, ohne vorher ordentlich mit der Netzbewegung zu reden“, sagt einer. Es gehe dabei nicht immer um das, was politisch geboten sei, sondern auch um das, was einige gerade gut gebrauchen könnten. Die Piratenpartei zum Beispiel braucht Wählerstimmen. Und der Verein Digitalcourage zum Beispiel Spendengelder.
Was macht man mit den Parteien?
Der Grünenpolitiker Malte Spitz ist einer, der diese Konflikte kennt. Bei der Erfolgsdemo 2009 waren die Piraten mit einem riesigen Truck aufgefahren. In den letzten Wochen hatten viele Aktivisten Bedenken, dass die Demonstration so kurz vor der Wahl zum Volksfest für Parteien wird, dass Aktivisten nur Statisten sind. „Deswegen“, sagt Spitz, „gibt es in diesem Jahr Spielregeln, die dann auch eingehalten werden.“ Was macht man mit Parteien auf Demos? Das ist so der Standardkonflikt. Gelöst. Ein LKW, 7,5 Tonnen, 60 Meter.
In der jungen Bürgerrechtsbewegung ist das nicht alles. Da ist von Alleinbeschlüssen und Eigeninteressen die Rede, vom Aktivenkongress in Hattingen. Dort hatten ein paar Aktivisten im Mai miteinander beschlossen, was diese Woche am Samstag passieren soll. Und andere fühlten sich übergangen. Das hört sich nach Vereinsmeierei an und nach verletzten Gefühlen. Aber eines stimmt auch: Es hapert praktisch daran, zwischen wichtigen Akteuren der Netz- und der Bürgerrechtsbewegung eine gemeinsame Ebene zu finden.
Digitalcourage ist ein einflussreicher Verein, der sich für Informationsfreiheit und Datenschutz einsetzt. Früher hieß er Foebud - „Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e. V.“. Weil das ein elendiger Name war, heißt der Verein heute anders. In seinen Büroräumen laufen für die Demo am Wochenende die Fäden zusammen.
Seit Wochen reißt dort in der Marktstraße 18, gleich in der Nähe des Walls, der die Bielefelder Altstadt umgibt, die Nachfrage nicht ab. Es gibt dort im Lagerbereich viele Accessoires, die derzeit gefragt sind. Der „PrivacyDongle“ zum Beispiel, ein USB-Stick zum anonymen Surfen im Netz. Die erste Auflage, 500 Stück, war rasch vergriffen. Was derzeit aber am meisten verpackt wird: Protestplakate in DIN A4, Protestplakate in DIN A3, Protestplakate in DIN A1. Außerdem: Bustickets nach Berlin.
Es werden 10.000, sicher
16 Busse sind bislang gebucht. In Bielefeld fährt der Bus am Samstag um 5.30 Uhr los, in Heidelberg schon um 4 Uhr in der Früh.
Und für den Fall, dass jemand fragt, wie viele Demonstranten am Samstag erwartet werden, gibt es im Bündnis eine offiziell beschlossene Standardantwort. Egal wen man fragt, die Antwort lautet „10.000 plus“. Doch hinter vorgehaltener Hand kommen schon einige ins Schwärmen. Mehrere zehntausend könnten es werden, ein richtig großer Wurf. Andere sind da deutlich skeptischer.
Am Dienstagabend ging aus Bielefeld noch rasch eine Mail raus, von Padeluun, an den Chaos Computer Club. Padeluun ist der Große Vorsitzende in Bielefeld. Er ist ein wichtiger, verdienter Datenschutzaktivist. Ob der Chaos Computer Club nicht noch rasch den Aufruf unterzeichnen könne? Wie sehe das denn sonst aus?
Natürlich gehen auch viele Aktivisten aus dem Chaos Computer Club am Samstag auf die Straße. Aber viele sind auch genervt. Es gibt in E-Mails einen Code, der die Stimmung dort beschreibt: *LOL*.
Und dann gab der Chaos Computer Club nach – am Mittwoch veröffentlichte er noch rasch einen eigenen Aufruf. Wie sähe das denn sonst aus? Seitdem ist er auch beim Demo-Bündnis offiziell gelistet.
Der Blogger und Netzaktivist Markus Beckedahl ist auch ein wichtiger Mann in dieser jungen Bürgerrechtsbewegung. Er denkt viel über Strategien nach und darüber, wie man Massen mobilisiert. Er hat in den letzten Wochen keine Massen auf den Straßen gesehen. Er sagt: „Es gibt heute keine Bürgerrechtsbewegung mehr, in der alle einer Meinung sind.“ Das ist, sagen wir, diplomatisch ausgedrückt.
Das muss sicher nicht heißen, dass am Wochenende nicht Tausende, vielleicht sogar Zehntausende kommen. Aber eines heißt es auch nicht: dass sie bleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland