Gedanken um den „Charlie Hebdo“-Prozess: Ein Kreis, der sich schließt

In Paris ist seit „Charlie Hebdo“ nichts wie zuvor, findet unsere Autorin. Seit 2015 stieg hier die Gewaltbereitschaft in der Bevölkerung merklich.

Hausmauer mit Gesichtern der beim Angriff auf Charlie Hebdo Verstorbenen

In Paris hat der Prozess gegen die Täter des Anschlags auf die Zeitschrift „Charlie Hebdo“ begonnen Foto: Charles Platiau/reuters

In der vergangenen Woche hat in Paris der Prozess gegen vierzehn Komplizen, Hintermänner, Helfer, Mittäter, wie auch immer man sie nennen mag, des am 7. Januar 2015 von den Kouachi-Brüdern verübten Anschlags auf die Redaktion der Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo und der am 8. und 9. Januar 2015 von Amedy Coulibaly verübten Anschläge auf die Polizistin in Montrouge und den „Hyper Casher“-Supermarkt in Vincennes, bei denen insgesamt siebzehn Menschen ums Leben kamen, begonnen.

Neunundvierzig Tage soll er dauern, es ist einer der wenigen französischen Prozesse, der gefilmt und für die Nachwelt festgehalten wird, sogar der allererste in Sachen Terrorismus. Viele sprechen auch deshalb jetzt schon von einem historischen Ereignis – einem Wendepunkt.

Und auch wenn man nicht direkt dabei ist, nicht mit im Saal sitzt, nicht jedes Wort hört und jeden durch die Masken verborgenen Gesichtsausdruck erforschen kann, fühlt es sich doch tatsächlich so an, als sei es ein Kreis, der sich (endlich!) schließt. Ja, vielleicht sogar, wer weiß, ein neues Kapitel, das hier beginnt.

Mit Charlie Hebdo, mit dem „Hyper Casher“, mit dieser Gewalt von innen heraus, mit dem so abgrundtiefen Hass dieser Männer, die, wie die eigentlich so tolle Virginie Despentes es damals in ihrem befremdlichen Liebesausruf an die Terroristen schrieb, beschlossen hatten, „in eure verdammte Wirklichkeit einzubrechen“ und aus einer vermeintlich identitären Kränkung heraus zu morden, mit den vielen Debatten über „Wer ist Charlie und wer nicht?“, „Wer war auf den Demonstrationen und wer nicht?“, „Kann man eine solche Tat durch Armut, Ausgrenzung, Perspektivlosigkeit und so weiter erklären oder doch eher gar nicht?“ – hat damals ein neues Kapitel begonnen.

Gegen extreme Gewalt zu sein, war bis dato Common Sense

Eines, in dem fast jeder Satz, jeder Gedanke, alles klang, als sei es geschrien, einfach weil etwas kaputtgegangen war. So etwas wie der naive, gemütliche Glaube daran, dass am Ende trotz all der Probleme, trotz all der Uneinigkeiten und Ungerechtigkeiten, trotz all den Dingen, die schieflaufen in so einem Staat, irgendwie alles okay sein würde.

Weil man in einem Land lebt, in dem man Sachen entknoten und besser machen kann, weil extreme Gewalt bis dato nicht als Lösung für welches Problem auch immer galt und alle dachten, das sei Common Sense.

Ich habe am 7. Januar 2015 beschlossen, nach Paris zu ziehen. Ich stand damals am Abend der Demonstration auf der Place de la République und dachte: Hier muss man jetzt sein. Ich dachte, hier beginnt etwas Neues und dieses Neue würde sein, dass man sich eben nicht mehr in dem gemütlichen Glauben, es würde schon alles gut gehen, wiegt, sondern Probleme tatsächlich angeht. Ich war überzeugt, von diesem Tiefpunkt aus könne es nur nach oben gehen. Das war natürlich falsch.

Gelbwesten und Alltagsaggressionen

Es ging nur noch weiter runter. Die Gewalt, die im Januar in die „verdammte Wirklichkeit“ eingebrochen war, war plötzlich da und wurde in den Folgemonaten nur krasser. Sie war plötzlich eine Option, eine Möglichkeit, und ist es seitdem geblieben. So, als sei diese Tür, die durch den Angriff auf Charlie Hebdo am 7. Januar geöffnet wurde, eine, die man nicht mehr schließen kann, ganz gleich, wie sehr man den Terroristen beweisen will, dass sie unserem Lifestyle und unserer Freude nichts anhaben können.

Man hat das bei den Gelbwesten gesehen, man sieht es in den Debatten, man sieht es jeden Tag auf der Straße, wo Leute für den kleinsten Affront, für einen schrägen Blick oder eine ungünstig geöffnete Autotür bereit sind, sich einfach so, wegen gar nichts, zu prügeln.

Natürlich wird der Prozess an diesem Zustand, diesem geöffneten Gewaltventil, erst mal nichts ändern. Allerdings wird er vielleicht, hoffentlich, helfen, ein paar Dinge besser zu verstehen und damit auch ermöglichen, dass diese pochende Wunde sich irgendwann vielleicht doch wieder schließt.

Die Autorin ist freie Journalistin und lebt in Paris.

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