Protestaktion russischer TV-Journalistin: Wie man einen Fake-Account erkennt
Die russische Redakteurin Marina Owsjannikowa protestierte im TV gegen Putins Krieg. Dann meldet sie sich bei Twitter zu Wort – glaubten viele.
International wird Marina Owsjannikowa nun von vielen als Heldin gefeiert, für die russische Regierung ist sie womöglich das genaue Gegenteil. „Ich bin jetzt der Feind Nummer eins hier“, sagte sie dem Spiegel. Und auch: „Der Protest war allein meine Idee.“
Die TV-Redakteurin ist schlagartig bekannt geworden, weil sie am Montag in den Abendnachrichten im staatlichen Fernsehen ein Protestschild gegen den Krieg in der Ukraine hochhielt. Viele verfolgten online, was danach mit ihr geschah. Am Dienstag meldete sie sich offenbar wieder selbst zu Wort, als @MarinaOvsy bei Twitter, sie schreibt auf Englisch plakative Sätze wie: „Ich bereue nicht, was ich getan habe.“
Ihr Profilbild ist aus einem Video, das sie bereits zuvor aufgenommen hatte und in dem sie ihre Beweggründe erklärt. Das Video ist echt, daran gibt es keinen Zweifel. Aber wie sieht es mit dem Twitter-Account aus? Das ist zunächst ein kleiner Nebenschauplatz, auf dem man aber eine Menge lernen kann über den Umgang mit Internetquellen und simplen Fakes.
Viele Nutzer:innen erwähnen den Twitter-Account und interagieren mit ihm. Ein Journalist eines deutschen Mediums fragt: „Hi Marina, (…) Would you be available for an interview?“. Er wird darauf aufmerksam gemacht, dass es sich offenkundig um einen Fake-Account handelt. Seine Antwort: Man werde das schon verifizieren vor Veröffentlichung. Es ist aber vielleicht sinnvoller, das gleich zu tun. Denn dass der Account Fake sein muss, kann man schnell selbst herausfinden.
Es braucht keine Hacker-Skills
Der Twitter-Account ist neu, angelegt diesen Monat, der erste sichtbare Tweet ist vom 9. März. Eigentlich reicht es schon, eine Grundregel zu beherzigen: Ein neuer Account mit großem öffentlichem Interesse ist so gut wie immer Fake. Die eigentlichen Personen haben meist besseres zu tun, und es gibt immer irgendjemand, der einen Fake-Account einrichtet – was auch immer die Motivation dahinter ist.
Im konkreten Fall kommt ein anderer Zweifel hinzu. Owsjannikowa wurde nach der Protestaktion von der Polizei festgenommen. Es ist sehr unplausibel, dass sie munter aus dem Polizeigewahrsam twittert. Zumal Russland den Zugang zu Twitter blockiert hat, was die Nutzung zumindest erschwert. Aber nehmen wir trotzdem einfach mal an, sie habe anlässlich ihrer Protestaktion einen neuen Twitter-Account angelegt, mit dem sie nun kommuniziert. Kann das sein?
Die Antwort gibt der Account selbst, und es braucht keine Hacker-Skills, um sie zu finden. Wenn man nach Tweets mit ihrem Nutzernamen sucht (das funktioniert in Twitter mit (from:MarinaOvsy)), tauchen gar nicht alle Tweets des Accounts auf. Das spricht dafür, dass der Nutzername geändert wurde. Und siehe da: Es reicht, ein bisschen in den alten Tweets rumzuklicken, und plötzlich steht da nicht mehr der Name der Frau, sondern @AnonUkrainell. Unter diesem Namen wurden demnach die ersten Tweets abgesetzt, es geht um Hackingaktionen in Russland.
Mit Hilfe der Seite Archive.org kann man nachschauen, wie der Twitter-Account ursprünglich aussah. Name: „Anonymous Ukraine“, das Benutzerbild ist die ikonische Guy Fawkes-Maske. „Wir sind zurück, nachdem unser Haupt-Account gesperrt wurde“, steht in der Bio.
Fake-Accounts hoffen auf Reaktion
Bevor der Account sich als Marina Owsjannikowa ausgab, hieß er kurz auch wie ein US-Fotograf, der in der Ukraine unterwegs war. Es wurden auch viele Tweets gelöscht, auch das sieht man bei einer simplen Suche nach dem Nutzernamen innerhalb von Twitter. Denn Antworten auf die ursprünglichen Tweets sind noch zu finden.
All das zeigt: Es ist sehr sicher nicht Marina Owsjannikowa, die hier twittert, sondern jemand, der dem Hackerkollektiv Anonymous angehört oder sich ihm zugehörig fühlt.
Quellen: Gehen Sie direkt auf die Seite des angeblichen Belegs oder durchsuchen Sie diese z. B. mit Google (site:beispielseite.de eingeben). Findet sich dort die Information? Prüfen Sie bei Screenshots von Social Media, ob Sie den Post im entsprechenden Account finden.
Rückwärtssuche: Fotos, die als angeblich aktuelle verbreitet werden, stammen mitunter aus einem ganz anderen Kontext. Mögliche frühere Veröffentlichungen lassen sich mit einer Rückwärts-Bildersuche finden. Dafür bei einer Suchmaschinen (z. B. Google, Bing, Yandex) auf das Kamerasymbol in der Bildersuche klicken und den Link zum Bild eingeben oder es als Datei hochladen.
Fact-Checking: Googeln Sie, ob sich schon jemand mit der mutmaßlichen Fälschung auseinandergesetzt hat. Probieren Sie die Überschrift oder ein, zwei relevante Stichworte und „Fake“, „Faktencheck“ oder „Fact-Checking“.
Links: Mehrere Organisationen überprüfen Online-Infos: correctiv.org/faktencheck (auch per WhatsApp: +49-151-17535184), Mimikama.at, tagesschau.de/faktenfinder/.
Nachdem es erste Zweifel an der Authentizität des Accounts gab, wurde er in kurzer Zeit mehrfach umbenannt, ein Buchstabe oder Sonderzeichen mehr oder weniger. Offenbar eine Strategie, Fake-Markierungen aus dem Weg zu gehen. Inzwischen ist der Account gesperrt. Auch taucht plötzlich ein anderer, fast gleichlautender Account auf, der nun behauptet, Marina Owsjannikowa zu sein. Er ist schon Jahre alt, hieß bis vor Kurzem aber auch anders.
Es ist oft zu beobachten, dass sich ein Fake-Account erst einmal normal verhält, erwartbare Dinge twittert, auf Reaktionen hofft. Wenn er dann erst mal durch viele Interaktionen als vermeintlich echt legitimiert ist, kann er leicht andere Saiten aufziehen. Problematische Äußerungen raushauen, Desinformation verbreiten – und das wird dann eher auch als echt wahrgenommen.
Soli-Accounts sollten sich kenntlich machen
Wie kompliziert der Umgang mit Online-Fakes ist, zeigen manche Reaktionen von Nutzer:innen. Als ich bei Twitter auf den Fake-Account hinwies, führten das manche ausgerechnet als vermeintlichen Beleg dafür an, dass alles Fake sei, die ganze Protestaktion oder zumindest Owsjannikowas Video. Andere sahen den Fake als nicht so schlimm an, denn es gehe ja um eine prinzipiell unterstützenswerte Sache.
Aber das greift zu kurz. Es spricht ja gar nichts dagegen, einen Account zu eröffnen, um sich mit Marina Owsjannikowa zu solidarisieren und zu ihrem Anliegen zu twittern. Aber er oder sie sollte dann einfach kenntlich machen, dass es sich um einen Soli-Account handelt. Alles andere ist schädlich und gefährlich. Gerade in einer Zeit, in der Fakes Teil der Kriegsführung sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag