Protest in US-Haftanstalten: Der Streik, den es nicht gibt
In vielen US-Gefängnissen protestieren die Häftlinge gegen ihre Haftbedingungen. Die Gefängnisleitungen leugnen die Proteste.
Das „sofortige Ende der Gefängnissklaverei“ und „bessere Bedingungen in den Gefängnissen“ sind die ersten von zahlreichen Forderungen, mit denen Gefängnisinsassen quer durch die USA am 21. August eine nationale Protestbewegung begonnen haben. „Besseres Essen“, „Bewährung“ und „Solidarität“ haben Insassen des Hyde Gefängnis in North Carolina auf Transparente geschrieben.
Im Nevada-Gefängnis in Arizona traten Insassen in einen Hungerstreik gegen die Isolationshaft, die Drohungen von Gefängniswärtern und die Besuchsregeln. Und im Wabash Valley Gefängnis in Indiana fand ein Hungerstreik statt, der sich gegen die viel zu kleinen Essensportionen, die zudem oft verdorben sind, und den Mangel an Kleidung richtete. Und auch in einem Abschiebezentrum in Tacoma, im Bundesstaat Washington, sollen 70 Insassen in den Hungerstreik getreten sein.
Nach dem letzten Gefängnisstreik im Jahr 2016 hatte die Gruppe Jailhouse Lawyers Speak (JLS), deren Mitglieder anonym im Inneren der Gefängnisse arbeiten, einen neuen Streik erst für das Jahr 2019 geplant. Doch im April kam es zu einem Aufstand im Lee-Gefängnis in South Carolina, bei dem sieben Menschen ums Leben kamen. Gang-Aktivitäten im Inneren des Gefängnisses spielten dabei eine zentrale Rolle. Das Ereignis hat für den vorgezogenen Streik gesorgt, sowie dafür, dass die Organisatoren versuchen, ihn als Mittel zu nutzen, um die Gang-Gewalt in Gefängnissen einzudämmen.
„Dies ist eine wachsende Bewegung“, erklärt Amani Sawari, die von außen mit der Gruppe JLS zusammen arbeitet, in einem Kommuniqué. Sie sieht einen „nie dagewesenen Erfolg von Gefangenenmobilisierung in der modernen Ära“. Die Proteste sollen noch bis zum 9. September weitergehen, dem Jahrestag des blutigen Gefängnisaufstandes in Attica, New York, bei dem im Jahr 1971 insgesamt 43 Menschen starben, davon 39 bei der Stürmung des Gefängnisses.
Verlässliche Zahlen über die aktuellen Proteste gibt es nicht. Die Informationen stammen aus Versatzstücken von Angehörigen und AktivistInnen. Die Gefängnisverwaltungen mauern. Nur in drei Bundesstaaten haben sie bislang überhaupt zugegeben, dass es Proteste gibt. Überall sonst bestreiten sie die Existenz von Protesten in Gefängnissen. „Es gibt externe Agitatoren, die versuchen, unsere Gefangenen aufzuwiegeln,“ sagte Chris Gautz von der Gefängnisverwaltung in Michigan zu Journalisten, „glücklicherweise hören die Gefangenen nicht auf sie.“ Mehrere Gefängnisse haben mit Lockdowns auf die Proteste reagiert, haben die Insassen rund um die Uhr eingesperrt und Besuche und Telefonkontakte verboten.
In Florida erklärt Karen Smith von der Gruppe Incarcerated Workers Organizing Committee (IWOC) die Informationsblockade der Gefängnisbehörden damit, dass sie eine Ausweitung der Proteste verhindern wollen: „Die Gefangenen sollen nicht erfahren, dass so etwas in dem massiven Gefängnisstaat möglich ist.“
Eines der größten Gefängnissysteme der Welt
Das Gefängnissystem der USA ist das größte der Welt. Und es trifft Nichtweiße, die mehr als 60 Prozent der Gefängnisbevölkerung stellen, am härtesten. Während anderswo die Ideen von Rehabilitation und Reintegration in den Vordergrund traten, haben die USA immer mehr Menschen für immer längere Zeit hinter Gitter gebracht.
Seit 1980 hat sich zwar die Zahl der Straftaten in den USA kaum verändert, aber die Zahl der Gefängnisinsassen hat sich verfünffacht. Dafür sorgte wesentlich die Strafjustizreform unter dem demokratischen Präsidenten Bill Clinton, die unter anderem automatische Mindeststrafen für Wiederholungstäter und ein höheres Strafmaß einführte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen