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Protest gegen rassistische Merz-AussageTausende demonstrieren im Stadtbild

In Berlin gehen am Sonntagabend Menschen gegen die „Stadtbild“-Aussage des Bundeskanzlers auf die Straße. Sie werfen Merz Rassismus vor.

„Wir sind das Stadtbild“: Mehrere tausend Menschen protestieren für Vielfalt und gegen Rassismus, Berlin, am 19. 10. 2025 Foto: Christian Mang

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Pia Wieners aus Berlin

„Wir wollen zeigen, dass wir nicht alles auf uns sitzen lassen können“, hieß es am Sonntagabend von Moderatorin Shanon Bobinger. Rund 5.000 Menschen hatten sich nach Angaben der Veranstalter „Eltern gegen Rechts“ und der Bewegung „Hand in Hand: Wir sind die Brandmauer“ vorm Brandenburger Tor in Berlin versammelt, um gegen die jüngsten Aussagen von Kanzler Friedrich Merz zu protestieren. Die Polizei sprach von 1.800 Teilnehmenden.

Merz hatte auf einer Pressekonferenz in Potsdam, wo er vergangene Woche auf Antrittsbesuch bei SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke war, von einem „Problem“ im „Stadtbild“ gesprochen, was Migration betreffe. Merz’ „Stadtbild-Aussage“ steht besonders auch deshalb in der Kritik, weil sie einen weiten Interpretationsspielraum zulässt: Meint der Kanzler die „irreguläre Migration“, also Menschen, die keinen Anspruch auf Asyl in Deutschland haben – oder meint Merz so allgemein wie rassistisch, dass Menschen mit erkennbarer Migrationsgeschichte ganz allgemein im Stadtbild „stören“.

Das ist rhetorische Brandstiftung, um den Rechtsruck zur neuen Mitte zu erklären,

Max Schneller, Demo-Teilnehmer

„Solche rhetorischen Entgleisungen, zu denen Herr Merz und seine Parteimitglieder neigen, sind bedenklich“, sagte eine ältere Teilnehmerin auf der Demo. Merz’ Aussage sei „nicht unbedingt eines Kanzlers würdig, der nicht nur Kanzler von sogenannten ‚Biodeutschen‘ ist“.

Unter dem Motto „Brandmauer hoch! Wir sind das Stadtbild!“ hatten die Veranstalter die Demonstration innerhalb von 48 Stunden auf die Beine gestellt: „Um der rassistischen Aussage von Merz etwas entgegenzusetzen“, sagte Mitorganisatorin Maren Loerzer.

Merz spreche „Sprache der Rechten“

Redner Max Schneller unterstellte Merz mit seiner Aussage politisches Kalkül: „Das ist rhetorische Brandstiftung, um den Rechtsruck zur neuen Mitte zu erklären“, hieß es von dem erst 16-jährigen Schüler mit kurdischer Migrationsgeschichte. Der Jugendliche war Anfang des Jahres viral gegangen, weil er auf einer Querdenker-Veranstaltung in Sachsen-Anhalt die Holocaustleugnung in dieser Szene kritisiert hatte.

In Berlin erinnerte Schneller an die Opfer des rechtsterroristischen Anschlags von Hanau. Wenn Merz behaupte, es gebe ein „Problem im Stadtbild“, dann sage er in abgeschwächter Form das, „was Rassisten sagen, bevor sie handeln“. Merz spreche die Sprache der Rechten. Ob es den Menschen in Berlin überhaupt bewusst sei, dass im Osten Aktivisten wie er selbst Polizeischutz benötigten? Die AfD vergifte „ganze Dörfer mit ihrer Hetze“, berichtete Schneller über seine Eindrücke vor Ort.

Eine weitere Rednerin warf Merz gesellschaftliche Spaltung vor: „Sie haben es in diesen sechs Monaten Amtszeit nicht ein Mal geschafft, dieses Land zusammenzuführen“, kritisierte Luna Moebius. Angeblich keine Rechtsextremen in Regierungsverantwortung haben zu wollen, bringe nicht viel, wenn man selbst rechtsextreme Parolen schwinge.

Moebius ist Politikberaterin und trans*­Per­son aus Halle. Für Menschen wie sie sei dieses Land nicht sicher, und Merz trage „einen riesigen Anteil daran“. „Sie scheinen nicht zu wissen, wie es ist, anders zu sein“, sagte Moebius an Merz gerichtet. Das mindeste, was man von einem Bundeskanzler erwarten könne, sei Empathie. Gerede von „Störungen im Stadtbild“ kenne man aus der Zeit des Nationalsozialismus. „Ich erwarte von einem Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, dass er sich seiner historischen Verantwortung bewusst ist“, betonte sie.

Özgür Özvatan von der Humboldt-Universität zu Berlin fand ernüchternde Worte. Was man mit der Bewegung #unteilbar aufzubauen versucht habe, sei nicht gelungen. „Wir sind hier immer noch in sehr weißen Räumen“, so der Sozialwissenschaftler. Özvatan kritisierte die mangelnde Anschlussfähigkeit progressiver Parteien an migrantische Communities. Dass es „Remigrationspläne“ gebe, sei dort schon lange vor dem Auffliegen der geheimen AfD-Konferenz in Potsdam offensichtlich gewesen. „Warum wisst ihr das nicht?“, problematisierte er die von ihm so empfundene Überraschung der Mehrheitsgesellschaft, nachdem die AfD-Pläne Anfang letzten Jahres durch eine Correctiv-Recherche aufgedeckt worden waren.

Unterstützung durch Mu­si­ke­r*in­nen

Unterstützt wurde die Veranstaltung durch die Berliner Musikacts Cesco, Julie Pasquale und Sechser, einem Rapper, der unter diesem Pseudonym als Teil der Hip-Hop-Crew Teuterecordz auftritt.

Am Sonntag begann zudem eine zweitägige Klausurtagung der CDU-Führungsriege in Berlin-Grunewald, die am Montagvormittag mit einem gemeinsamen Statement von Merz und Generalsekretär Carsten Linnemann zu Ende ging. Ehemalige führende CDU-Politiker hatten sich im Vorfeld für eine Aufweichung der Brandmauer hin zur vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuften Partei ausgesprochen.

Am Montag kündigte Merz erneut einen klaren Abgrenzungskurs gegenüber der AfD an. „Wir haben mit dieser Partei keinerlei Übereinstimmung – weder in den Grundüberzeugungen noch in den tagespolitischen Fragen, die es zu beantworten gilt.“ Er versprach, die Union künftig noch klarer von der AfD abzugrenzen. „Wichtig ist vor allem, dass wir dem eine erfolgreiche Regierungsarbeit entgegensetzen.“ Das sei nicht nur eine Aufgabe der Union, sondern auch des Koalitionspartners SPD. „Wenn wir gemeinsam erfolgreich regieren, dann wird es keine sogenannte Alternative für Deutschland mehr brauchen.“ (mit dpa)

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