Protest gegen Martin Sellner in Berlin: „Remigriert euch ins Knie!“

Rund 1000 Menschen demonstrierten am Freitag gegen einen Auftritt des Rechtsextremisten. Für seine Zuhörer wurde es nicht nur deswegen ungemütlich.

Ganz viele Menschen, die gegen Nazis demonstrieren, hinter einer Absperrung. Davor: einige Polizeibeamten

Besonders präsent bei der Demo gegen den Sellner-Auftritt im Berliner Südwesten am Freitag: Omas gegen Rechts Foto: Paul Zinken/dpa

BERLIN taz | Eine so lautstarke Kundgebung hat das Berliner Ortsteil Lichterfelde wohl selten erlebt: Unter dem Motto: „Re-Migration? Nein Danke! Wir bleiben hier!“ protestierten am Freitagabend bis zu 1000 Menschen aller Altersgruppen gegen einen Auftritt des österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner. Dieser wurde von dem rechtsextremen ehemaligen AfD-Abgeordneten Andreas Wild in die „Staatsreparatur“ im Südwesten der Bundeshauptstadt eingeladen. Organisiert hatte die Gegenkundgebung die Gruppe „Steglitz-Zehlendorf weltoffen“, zahlreiche weitere Initiativen wie Omas gegen Rechts und Parteien von der Linken über die Grünen bis hin zu SPD und Volt riefen zur Teilnahme an der Kundgebung auf.

Die Polizei hatte die Straße vor dem rechten Treff abgesperrt und 200 Be­am­t*in­nen eingesetzt, um mögliche nicht genehmigte Proteste zu unterbinden. Viele Protestierende hielten Schilder und Transparente in die Höhe. Die Rede- und Musikbeiträge der Kundgebung mussten immer wieder unterbrochen werden, da sie von einschlägigen Sprechchören gegen Rechts übertönt wurden.

Der Obstverkäufer im Bahnhof wollte gar nicht so genau wissen, was da vor dem Bahnhof los war. „Irgendeine Demo“ sagte er lapidar. Vereinzelt setzten sich Demonstrierende auf die Straße oder vor den Eingang des Bahnhofs, wurden aber von der Polizei wieder weggezerrt.

Die gemächlich eintrudelnden, meist älteren Rechten wurden mit „Nazis raus“-Rufen empfangen und von der Polizei hilfsbereit an der Gegenkundgebung vorbeigelotst, nur vereinzelt ließen sie sich vor der „Staatsreparatur“ blicken. Unter den Be­su­che­r*in­nen des Sellner-Vortrags waren auch Mitglieder von AfD und Junge Alternative.

„Der Faschismus droht wieder, in der Gesellschaft anzukommen“, betonte ein sehr junger Redner von „Aufstehen gegen Rassismus“ mit ruhiger Stimme. „Umso wichtiger, dass wir heute hier sind und laut und deutlich sagen: „Nie wieder! Kein Fußbreit den Faschisten!“ Die volkstümliche Musik der Gegenkundgebung hätte sicher auch den Teil­neh­me­r*in­nen des rechten Vortrags gefallen, doch gegen Ende heizte noch das spanisch-deutsche Duo Global Origins den Demonstrierenden mit antifaschistischem Hiphop ein. „Lichterfelde-Ost braucht keine Staatsreparatur; wir reparieren uns selbst“, rief eine Frau entschlossen ins Mikrofon; „Remigriert euch ins Knie!“

Brandschutzbegehung im rechten Vereinslokal

Die „Staatsreparatur“ ist ein kleines Vereinslokal in unmittelbarer Nähe des S-Bahnhofs Lichterfelde-Ost. Der Vereinsvorsitzende Andreas Wild hatte Sellner eingeladen, sein Buch „Remigration“ vorzustellen. Bei dem Titel handelt es sich um einen verharmlosenden Begriff zur massenhaften Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund.

Sellner ist der Gründer der „Identitären Bewegung Österreich“ und ein wichtiger Akteur der Neuen Rechten. Der 35-jährige hatte seine kruden „Remigrationspläne“ unter anderem im vergangenen November auf einem rechten Geheimtreffen in Potsdam vorgestellt. Die Enthüllung dieser Zusammenkunft und ihrer Inhalte durch das Recherchenetzwerk Correctiv hatte zu riesigen Demonstrationen gegen die AfD geführt – aber auch dazu, dass sich die These von der „Remigration“ in Deutschland weit verbreitete. Remigration wurde sogar zum Unwort des Jahres gekürt. Sellner erhielt Einreiseverbot für die USA und Großbritannien, das in Deutschland verhängte Einreiseverbot wurde jedoch Ende Mai durch das Verwaltungsgericht Potsdam vorerst wieder aufgehoben.

Sellners Buch ist im Antaios-Verlag des rechten Vordenkers Götz Kubitschek erschienen. Sellner bezeichnete Kubitschek als wegweisend für die eigenen politischen Aktivitäten und ist auch Mitarbeiter von dessen rechtem „Institut für Staatspolitik“ in Schnellroda. Im Mai wurde das Institut aus taktischen Gründen aufgelöst, besteht aber de facto unter einem anderen Namen weiter. „Schnellroda“ war auch die E-Mail-Adresse zur Anmeldung für die Veranstaltung in der „Staatsreparatur“.

Für Sellner war die Publicity nach den Correctiv-Enthüllungen möglicherweise von Vorteil, für die „Staatsreparatur“ könnte sich die Veranstaltung jedoch als Bumerang erweisen: Nachdem im Februar ein Auftritt des rechtsextremen Politikers André Poggenburg in dem Vereinslokal für viel Protest gesorgt hatte, sei nun erneut „berlinweit Aufmerksamkeit auf den Laden gerichtet“ worden, sagte Björn von „Steglitz-Zehlendorf weltoffen“. „Wir haben den Laden im Blick und werden weiterhin so lange Protest organisieren, bis hier nichts mehr stattfindet“, so der Sprecher. „Wir haben die Veranstaltung in den Hinterhof zu den Mülltonnen vertrieben“, ergänzte er grinsend.

Tatsächlich hatte am Freitagvormittag das Bezirksamt im Laden eine Brandschutzbegehung durchgeführt und verfügt, dass sich nur zehn Personen im Raum aufhalten dürften. Ein großer Teil der rund 60 Zu­hö­re­r*in­nen musste Sellner deshalb im Hinterhof lauschen. Für sie war das ungünstig, denn sie bekamen ständig „Nazis raus“-Rufe vom nahen Bahnsteig zu hören, mit denen sich die abziehenden Kundgebungsteilnehmenden die Wartezeit bis zur nächsten S-Bahn vertrieben.

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