Protest gegen Gasbohrungen vor Borkum: Greenpeace steigt Landtag aufs Dach
Der Streit um Gasbohrungen vor der Nordsee-Insel Borkum spitzt sich zu. Greenpeace macht Niedersachsens Umweltminister Vorwürfe.
Die Umweltschützer waren am frühen Mittwochmorgen, um kurz vor sechs Uhr auf das Dach des Landtags gelangt. Mit zwei Hubsteigern und mehreren Kletterern brachten sie vor den Fenstern des Plenarsaales und rund um das Landtagsgebäude bis hin zum Eingang riesige, gelb-schwarze Banner an. Außerdem postierten sich mehrere Aktivisten mit Bildern eines bedrohten Steinriffs vor dem Eingang.
Die Polizei war schnell vor Ort, beschränkte sich aber zunächst darauf, den Eingang zum Landtag freizumachen und mit den Aktivisten in Verhandlung zu gehen. Als das Parlament um neun Uhr pünktlich seine Arbeit aufnahm, war das Dach immer noch besetzt. Es sollte bis mittags dauern, bis alle Protestierenden und Banner abgeräumt waren.
Das sorgte im Saal für eine lautstarke Kontroverse: Vor allem AfD und CDU pochten darauf, dass die Würde und Sicherheit des Hauses hier gefährdet seien und unbeeinflusste Beratungen nicht möglich. Was sie besonders erboste: Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) hatte nicht nur – wie sonst üblich – draußen mit den Aktivisten das Gespräch gesucht, sondern zwei von ihnen auf einen Kaffee ins Foyer gebeten.
Gasfeld liegt in unmittelbarer Nähe zum Wattenmeer
Ein fatales Signal angesichts des offensichtlichen Hausfriedensbruchs, fand die Opposition und forderte eine Sitzungsunterbrechung, bis die Polizei die Ordnung wieder hergestellt habe. Lies entschuldigte sich später in einer persönlichen Erklärung für die Aktion.
Was in dem Tumult fast unterging, war das inhaltliche Anliegen der Umweltschützer. Schon in der vergangenen Woche war Greenpeace den Umweltminister Christian Meyer (Grüne) hart angegangen. Die Umweltschützer warfen seinem Ministerium vor, ein Gutachten unterschlagen zu haben, mit dem das laufende Genehmigungsverfahren für Gasbohrungen in der Nähe von Borkum sofort auszuhebeln wäre.
Das sei absurd, erklärte Meyer, der auch am Mittwoch zu den ersten gehörte, die das Gespräch mit den Aktivisten suchten. Die Grünen hatten sich von Anfang an gegen die geplante Gasförderung in der Nordsee ausgesprochen.
Das Projekt des niederländischen Konzerns One-Dyas hat eine lange Vorgeschichte, die von mehreren politischen Kehrtwenden geprägt ist. Der Konzern plant, ein Gasfeld zu erschließen, dass zum Teil auf niederländischen, aber auch auf deutschem Gebiet liegt – und zwar in unmittelbarer Nähe zum Unesco-Weltnaturerbe Wattenmeer. Noch 2021 war der niedersächsische Landtag kurz davor, die Öl- und Gasförderung dort komplett zu untersagen. Dann kam der Ukraine-Krieg und die dadurch ausgelöste Energiekrise.
One-Dyas nutzte die Chance und drängte beim Wirtschaftsminister, der damals noch Bernd Althusmann (CDU) hieß, auf eine rasche Genehmigung. Die rot-schwarze Landesregierung einigte sich mit dem Konzern und leitete ein entsprechendes Verfahren ein – zum Entsetzen der damals noch oppositionellen Grünen, der Umweltverbände und auch des Bürgermeisters von Borkum.
Umweltschützer und Kommunalpolitiker zogen daraufhin alle Register, um eine Genehmigung zu verhindern. In der vergangenen Woche erlangten sie zumindest einen Teilerfolg: Ein niederländisches Gericht stoppte im Eilverfahren die vorbereitenden Arbeiten für die Errichtung einer Förderplattform und die Verlegung von Kabeln. Zumindest bis das Hauptsache-Verfahren vor Gericht entschieden ist, was frühestens im September geschehen kann.
Das betrifft nun zunächst einmal die niederländische Seite, auf deutscher Seite läuft das Genehmigungsverfahren noch – es gibt also noch keinen Beschluss, gegen den man klagen könnte.
Ökologisch wertvolles Steinriff bei Borkum
Kernstück dieses Verfahrens vor dem Gericht in Den Haag war aber schon ein ökologisch wertvolles Steinriff bei Borkum. In den Augen von Greenpeace ist allein dies Grund genug, eine Genehmigung zu versagen, weil sich hier zahlreiche gefährdete Arten tummeln, wie ein Gutachten des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) beweist.
Das NLWKN untersteht dem Umweltministerium. Das Gutachten liegt dort seit 2021 vor. Im laufenden Genehmigungsverfahren, in dem das Umweltministerium und das NLWKN angehört werden müssen, habe es aber seltsamerweise keine Rolle gespielt, sagt Greenpeace.
Das Bohrprojekt sei auch so aus Sicht des Umweltministeriums nicht genehmigungsfähig, lässt Meyer erklären. Die Vorstellung, ausgerechnet er würde Gutachten zurückhalten, sei doch „absurd“. Man habe hingegen immer wieder auf die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen geschützter Biotope und aktueller Meeresbodenkartierungen hingewiesen.
Wirtschaftsminister Lies pocht derweil darauf, dass das Genehmigungsverfahren im ihm unterstellten Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie genau festgelegten Regeln unterliege und nicht Gegenstand politischer Weisungen wäre. Greenpeace bezweifelt das.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich