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Protest gegen Ausverkauf bei Gruner+JahrDas Flaggschiff wird abgewrackt

Beschäftigte von Gruner+Jahr haben in Hamburg mit einer „kreativen Mittagspause“ gegen den Ausverkauf des Verlagshauses protestiert.

Haben die Nase voll von Verkaufsgerüchten: Mit­ar­bei­te­r:in­nen von Gruner+Jahr Foto: Marcus Brandt/dpa

Hamburg taz | „Die Sorgen scheinen überhandzunehmen, eine allgemeine Verunsicherung schleicht sich in die Gesellschaft ein.“ Doch: „Wir haben mehr in der Hand, als es scheint.“ Mit diesen Worten beginnt ein Essay, der in der ersten Ausgabe des neuen Jahres der in Hamburg produzierten RTL-Zeitschrift Geo erschienen ist. Zehn Au­to­r*in­nen präsentieren dort „neun Gründe“, weshalb wir trotz allem „mit Zuversicht ins neue Jahr blicken können“.

Sorgen, allgemeine Verunsicherung – das sind auch Schlagworte, die die Stimmungslage der Mitarbeitenden von Geo und anderen ehemaligen Gruner+Jahr-Titeln beschreiben. Dass sie viel „in der Hand haben“ und mit „Zuversicht“ auf das Jahr 2023 blicken können, lässt sich allerdings nicht sagen. Seit rund einem Monat geistern wild klingende, aber nicht unsubstanzielle Spekulationen durch die Medien, dass die mehrheitlich zu Bertelsmann gehörende Sendergruppe RTL sich fast aller Zeitschriften entledigen will.

Längst ist die Stimmung in Wut umgekippt, weshalb am Mittwoch rund 250 Mitarbeitende im Rahmen einer „kreativen Mittagspause“ auf der Fußgängerbrücke vor dem Verlagshaus am Baumwall protestiert haben. „Stoppt den Ausverkauf“, lautete dabei die am häufigsten zu sehende Parole.

Außerdem protestierten die Mitarbeitenden mit auf Pappen geklebten Titelbildern von Mom, Beef!, oder Guido sowie mit Plakaten, die auf Fernsehserien („Notruf Hafenkante“) oder den Bertelsmann-Stammsitz anspielten („Gütersloh, wir haben ein Problem“).

Appell an den „Rabenvater“ bei RTL

Auch Würdigungen des Bertelsmann-Vorstandschefs Thomas Rabe („Rabenvater“) durften natürlich nicht fehlen. Und Re­dak­teu­r*in­nen eines Ablegers der Frauenzeitschrift Brigitte formulierten auf einem Plakat apokalyptisch: „Brigitte Be GREEN – Themen: Überleben des Planeten – Eigenes Überleben: Ungewiss.“

Das Unheil für die seit vielen Jahren mit abrupten und abstrusen Strategiewechseln konfrontierten Mitarbeitenden des Verlags begann sich 2021 zu verschärfen, als RTL Gruner+Jahr übernahm. Die aktuellen Verkaufsspekulationen begannen mit einem Bericht in der Süddeutschen Zeitung kurz vor Weihnachten. Demnach stehen außer dem Stern alle Titel des alten Gruner+Jahr-Verlags zum Verkauf. „Man kann dem Bertelsmann-Chef Thomas Rabe nicht vorwerfen, beim Ausradieren des Gruner+Jahr-Verlags übertriebene Sensibilität an den Tag zu legen“, schrieb daraufhin die für derlei Kritik an Konzernherrschern sonst nicht bekannte FAZ.

Andere Quellen gehen davon aus, dass neben dem Stern noch zwei, drei weitere Titel „sicher“ seien. Um die Brigitte gebe es einen „Bieterwettbewerb“, weiß der Branchendienst meedia.de. Das Manager Magazin schreibt in seiner Februar-Ausgabe, der Zeitschriftenverkauf, den bei RTL ein sogenannter Transformationsbeauftragter verwalte, verlaufe „chaotisch“. „Noch im Januar“ wolle Bertelsmann-Boss Rabe, der seit Sommer auch bei RTL Deutschland an der Spitze steht, „nun entscheiden, welche Titel welchen Käufern angeboten werden sollen“.

Die Interessenvertretung Freischreiber teilt die potenziellen Verkaufsobjekte in einem Schreckensszenario in zwei Kategorien auf: „Titel, die direkte Mitbewerber wegkaufen, aber nicht weiterführen; und Titel, die zwar andere Verlage übernehmen, aber aus den eigenen Redaktionspools bedienen und bei denen künftig Renditeziele über allen anderen stehen.“ Die freien Journalistinnen und Journalisten, deren Interessen die Organisation vertritt, bangen um die relativ lukrativen Aufträge von Brigitte, Eltern und Co.

Bei der Protestaktion am Mittwoch verlasen nun zwei Mitglieder verschiedener Redaktionsbeiräte einen Brief, den sie an die Bertelsmann-Eigentümerfamilie Mohn geschrieben hatten. Darin wehren sich die Beiräte „gegen die Spaltung, die betrieben wird“. Ihre Botschaft: „Gruner+Jahr ist ein Gesamtpaket, das sowohl in der redaktionellen Zusammenarbeit als auch im Werbemarkt funktioniert.“

Vor neun Monaten schien es eine Zukunft zu geben

Gerade mal ein Dreivierteljahr ist es her, dass RTL eine neue Organisationsstruktur präsentierte, in die die Zeitschriftentitel integriert wurden. Darin sind fünf übergeordnete Themenbereiche aufgeführt, für die insgesamt 14 Ober­chef­re­dak­teu­r*in­nen verantwortlich zeichnen. Ihnen sind wiederum Titel-Chefredakteur*innen untergeordnet.

Dieses Leitungsfunktions-Organigramm erweckte noch den Eindruck, als gäbe es eine Zukunft für die Zeitschriften bei RTL. Das hinderte die neuen Herrscher im August 2022 aber nicht daran, den Namen Gruner+Jahr quasi aus dem Hamburger Stadtbild verschwinden zu lassen: Sie ersetzten am Gebäude am Baumwall das alte grün-weiße Verlagslogo durch RTL-Schilder.

Martin Klingberg, Mitglied der Verdi-Betriebsgruppe bei den RTL-Zeitschriften, erinnerte während der kreativen Mittagspause nun daran, dass die früheren G+J-Hierarchen Stephan Schäfer und Oliver Radtke, die heute nicht mehr für RTL tätig sind, 2021 versprochen hatten, es werde „bei der Fusion keiner auf der Strecke bleiben. Wir erwarten, dass das Versprechen eingehalten wird“. Anja Westheuser vom Deutschen Journalisten-Verband sagte, es stünden derzeit nicht nur „journalistische Vielfalt“ und Arbeitsplätze auf dem Spiel, sondern „auch die Glaubwürdigkeit von RTL Deutschland und Bertelsmann“.

Einer der zehn Au­to­r*in­nen der Optimismus verbreitenden Geo-Titelgeschichte hat übrigens schon seinen Abschied angekündigt: Horst von Buttlar, im Hauptamt Chefredakteur beim Wirtschaftsmagazin Capital, wechselt zur Wirtschaftswoche.

Dass einer der einflussreichsten Journalisten des Hauses – von Buttlar ist einer von zwei Oberchefredakteuren „n-tv, Wirtschaft & Wissen“ – in den Sack haut, sehen viele Mitarbeitende als Indiz dafür, dass Zeitschriftenjournalismus bei RTL keine Zukunft hat.

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3 Kommentare

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  • ... das wird in Deutschland so enden, wie in den USA. Keine flächendeckende Versorgung mit Tageszeitungen.



    Gut bezahlten Journalismus wird es noch in Wochenzeitungen geben. Ansonsten prekäre Arbeitsverhältnisse in zweifelhaften, radikalen Meinungskanälen.

    Besser kann es für den neoliberalen Kapitalismus nicht laufen. Je dümmer die Bevölkerung ist, desto besser kann man falsche Tatsachen unter das Volk bringen und damit lenken.

  • Bertelsmann-handelt ähnlich wie Springer - man erklärt die Ära der Printmedien für beendet und verlegt sich auf das digitale Geschäft - das immer weniger mit Medien zu tun hat (Partner- und Jobbörsen). Ob sich das mittel- und langfristig rechnet, steht auf einem anderen Blatt - äh Bildschirm. So wie Springer sich vor Jahren schon von seinen Regional-Zeitungen getrennt hat, schreibt Bertelsmann jetzt den einst lukrativen Zeitschriftenmarkt ab - das ist für die G+J Beschäftigten bitter - kam aber nicht unerwartet. Für ihre internationalen Digital-Engagements brauchen die Medienkonzerne Kapital - und das soll durch den Verkauf der teuren Printmedien bereitgestellt werden. Das bezahlen nicht nur die JournalistInnen, sondern auch das technische Personal. Neue Eigentümer werden, dies hat die Übernahme der Springer-Titel gezeigt, Druck auf die Belegschaft ausüben, Tarifflucht ist angesagt. Wenn man den KollegInnen in den G+J Redaktionen etwas vorwerfen kann, dann ist es ihr Glaube an Zusagen des Managements......

  • Ganz ehrlich: Es tut mir für die einzelnen Mitarbeiter wirklich leid, aber kann man dafür dem Konzern die Schule in die Schuhe schieben? Geht es nicht fast allen Printmedien so? Und kann man dann sagen, nur weil eine Zeitschrift einen großen Konzern im Rücken, hat spielt es keine Rolle ob die Zeitschrift Gewinn macht oder auch nicht? Printmedien sterben nunmal aus und werden von digitalen Angeboten abgelöst. Bestimmt werden es einige Leitmedien wie die FAZ, ZEIT, SZ usw. schaffen, aber schon bei der TAZ und der FR (welche ich beide gerne lese) habe ich schon meine Bedenken. Das es bei den Zeitschriften von G+J besser läuft, kann ich mir kaum vorstellen.

    Es gibt nunmal Berufe, die einer großen Transformation unterliegen, beziehungsweise einfach wegfallen, weil sie weniger gebraucht werden. Ich höre aber weder in der TAZ, noch in anderen Medien einen großen Aufschrei, wenn z.B. Bergbaufirmen etc. schließen, auch DA besteht weniger Bedarf, beziehungsweise wird automatisiert. Ich kann mir auch kaum vorstellen, dass es in 20 Jahren noch KassiererInnen im klassischen Sinn geben wird, aber ist das dann die Schuld der Konzerne? Ein Konzern muss Geld verdienen, tut er das nicht, müssen DIE Sachen, die kein Geld bringen, abgestoßen werden. Ansonsten geht der gesamte Konzern den Bach runter und das hilft auch niemandem.

    Noch einmal: es tut mir für alle Mitarbeiter leid, insbesondere wenn es dabei um Qualitätsmedien geht. Aber hier bestimmt der Markt, und DER sagt scheinbar ziemlich eindeutig, dass er einen Großteil der Zeitschriften nicht mehr lesen will. Da dann die Schuld dem Konzern und dem Chef „in die Schuhe schieben“, erscheint mir doch etwas billig.