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Protest gegen Atomlager WürgassenHotspot der Atomindustrie

Selbst die CDU rügt ein „Kommunikationsdesaster“: Gegen ein Atomlager in Würgassen formiert sich Widerstand in der Region.

Das ehemalige Atomkraftwerk Würgassen Foto: Swen Pförtner/dpa

Göttingen taz | Die Pläne zur Errichtung eines zentralen Zwischenlagers für schwach- und mittelradioaktiven Atommüll auf dem Gelände des weitgehend abgerissenen Atomkraftwerks Würgassen in Westfalen sorgen in der Region für erhebliche Unruhe. Unmittelbar nach Bekanntwerden des Vorhabens am 6. März gab es eine erste Demonstration, eine Online-Petition gegen das Vorhaben bekam in kurzer Zeit über 5.000 Unterstützer. Viele Kritiker befürchten, dass durch den radioaktiven Abfall mehr Menschen an Krebs erkranken und junge Familien die Region verlassen könnten.

Die bundeseigene Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) will in Würgassen, einem kleinen Ort zwischen Göttingen und Paderborn, eine riesige Halle bauen lassen, die vorübergehend sämtlichen in Deutschland angefallenen und noch anfallenden schwach- und mittelradioaktiven Atommüll aufnehmen soll.

In dem „Logistikzentrum“, wie die BGZ das geplante Bauwerk nennt, sollen ab 2027 Behälter aus den dezentralen Zwischenlagern gesammelt und für den Transport ins Endlager Konrad zusammengestellt werden (taz berichtete). Das einstige Eisenerzbergwerk in Salzgitter wird zurzeit zum Bundesendlager für diese Art Atommüll ausgebaut.

Hubertus Grimm ist Bürgermeister der Stadt Beverungen, zu der Würgassen gehört. Er erfuhr nach eigenen Angaben erst einen Tag vor der Pressekonferenz der BGZ von dem Vorhaben. „Uns ist bewusst, dass ein Vorhaben von der geplanten Dimension einen Vorlauf benötigt, der auch einer gewissen Geheimhaltung unterliegen muss“, schreibt er in einer Erklärung zusammen mit anderen Ortsvorstehern der Region. „Dass aber die örtlichen politischen Repräsentanten praktisch zeitgleich mit der Öffentlichkeit informiert werden, hat uns irritiert.“

„Kommunikationsdesaster“

Der örtliche CDU-Bundestagsabgeordnete Christian Haase spricht sogar von einem „Kommunikationsdesaster“. Als Parlamentarier habe er bei einer Planung des Bundes erwartet, „dass ich über die Planungen, die meinen Wahlkreis betreffen, eher unterrichtet werde“.

Gabriele Evens, Inhaberin des Landhotels „Alte Linde“ in Würgassen, zeigt sich ebenfalls verärgert. Sie befürchte Auswirkungen auf den Tourismus an der Weser, sagte sie der Lokalzeitung. Der 65-jährige Ralf Przybylinski aus Beverungen hat die Facebook-Gruppe gegen das Atommüllager gegründet, über den Zuspruch auf die Petition ist Przybylinski überrascht. Für die Wochenendhäuser und die weitere touristische Infrastruktur sei das Zwischenlager „grausam“. Przybylinski ist nun bereit, seine Freizeit für den Protest zu opfern. „Es geht um die Zukunft der Kinder“, sagt er.

Im niedersächsischen Nachbarkreis Holzminden mobilisieren indes die Grünen zum Protest. „Widerstand gegen das geplante Atomlager ist angesagt“, sagt Kreistagsfraktionschef Gerd Henke. Die Entscheidung für ein Atomlager direkt an der Landkreisgrenze halte er für falsch. Das Dreiländereck NRW-Hessen-Niedersachsen dürfe nicht zum „gefährlichen Hotspot“ der Atomindustrie für die nächsten Jahrzehnte werden.

Risiken durch zusätzliche Atomtransporte

Ludwig Wasmus von der atomkraftkritischen Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad warnt vor den Risiken durch zusätzliche Atomtransporte. Durch die Errichtung des Lagers verdoppele sich zwangsläufig die Anzahl dieser Transpoorte, sagte er am Donnerstag der taz: „Das widerspricht dem Minimierungsgebot und sorgt für erhöhte Gefährdung der Menschen.“

Ein Standort für das Lager direkt am Schacht Konrad werde nur deshalb nicht gewählt, weil dies zu einem neuen Planfeststellungverfahren für das Endlager führen müsse. „Das aber scheuen die Betreibergesellschaften wie der Teufel das Weihwasser, weil sie genau wissen, dass Konrad heute nicht mehr genehmigungsfähig ist.“ Ihre Bedenken wollen Anwohner und Umweltschützer der BGZ auch am kommenden Mittwoch bei einer Informationsveranstaltung zum Thema in der Stadthalle Beverungen mitteilen.

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1 Kommentar

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  • Ich habe eine Wächterin über die Castoren in Gorleben gesprochen. Die rotten dort unter freiem Himmel dahin. Ob das die richtige Art ist, mit der gefährlichen Fracht umzugehen? Wäre es nicht viel sinnvoller, die Castoren innerhalb der stabilen Reaktorgebäude (Containments) zu lagern, statt diese abzureißen? Ich sinne, da ich mich viel mit Reaktorphysik beschäftigt habe, über Einrichtungen nach, mit denen die Menschheit in absehbarer Zeit das radioaktive Erbe los wird. Dabei bin ich keineswegs alleine. Bis es so weit ist sehe ich es als sinnvoll an, die Reaktoren abzustellen, was ja bereits, allerdings nur in einigen Ländern, wie bei uns, geschieht.