Prorussische Desinformationskampagne: Wenn Lügner die „Lügenpresse“ lieben
Prorussische Trolle verbreiten auf Facebook täuschend echt aussehende Nachrichtenwebseiten. Dabei vertrauen sie denen doch sonst selbst nicht.
H ast du’s schon gehört? Ein Teenager ist wegen ausgeschalteter Straßenbeleuchtung in Berlin von seinem Fahrrad gestürzt und anschließend verstorben. Die Nachricht erscheint auf Facebook mit einem Link auf die Webseite bild.de. Die Voyeuristen klicken drauf. Und nach 34 Sekunden Kurzclip ist klar: Die Regierung ist mal wieder an allem schuld, wer denn sonst?
Das Problem ist, diese Nachricht ist erfunden. Eine Lüge. Selbst häufige Internetsurferinnen würden auf diese Meldung hereinfallen, denn die nachgebaute Webseite sieht so täuschend echt aus, dass nur bei genauem Hinsehen der Fake auffällt. Und wer sieht schon genau hin, online? Die Schrift ist ein wenig fetter als beim Original und als Fotoquelle steht etwa: неизвестный. Weitere Opfer der Desinformationskampagne sind große Medienmarken wie Welt, T-Online oder Spiegel. Sie sehen so real aus, dass man von einer neuen Generation der Fake News sprechen kann.
Die prorussische Propaganda kopiert Nachrichtenseiten, denen die Masse vertraut. Das Paradox ist, dass gerade Rechte, die Putin unterstützen, diesen Medien seit Jahren vorwerfen, Lügen zu verbreiten. Was die nachgeahmten Webseiten betrifft, muss man den Rechten einmal recht geben. Sie lügen tatsächlich sehr professionell. Da kommt der Verdacht auf, dass eine russische Trollfabrik, wie etwa die Internet Research Agency in St. Petersburg, dahintersteckt. Ein Heer von vermutlich Hunderten Fake-Profilen bei Facebook und Twitter teilen und kommentieren pausenlos. Ihre Profilbilder sind häufig mit einer künstlichen Intelligenz hergestellt, genauso fake wie die Inhalte an sich.
Und was macht der Gastgeber Facebook mit den ungewollten Gästen? Es wäre lobenswert, wenn das Unternehmen Faktenchecks ernster, schneller und häufiger bearbeitet. Doch aktuell verdient Facebook Geld an der Desinformation. Zuletzt traten Seiten auf, die Werbung mit ihren Posts schalteten und sich noch schneller im Netzwerk verbreiteten. Wer die Profile und Seiten als Werbung geschaltet hat, gab Facebook nicht bekannt.
Wir halten fest: Kriege sind der ideale Nährboden für Verschwörungstheorien. Auch in dieser Sekunde wird jemand einen Link anklicken und in einem Lügenmärchen seine Wahrheit finden. Zumindest taz.de haben die Trolle noch nicht nachgebaut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg