Projekt für Heimkinder mit Problemen: Wo kein Kind rausfliegt
Eine Fachtagung in Hamburg diskutiert das Konzept des Bremer Projekts „Port Nord“ für die Heimerziehung: Kein Kind wird dort weggeschickt.
Port Nord wurde 2019 im Auftrag der Bremer Sozialbehörde gegründet, als für zwei Zwölfjährige dringend ein Ort zum Aufwachsen gebraucht wurde. Die Kinder, die seither dort leben, haben meist extrem viele Einrichtungswechsel hinter sich. „Sie eint das große Problem, dass sie nie einen dauerhaften Ort zum Wohnen fanden“, sagt der pädagogische Leiter Jesko Fuhrken. Sie seien meist Risikofaktoren wie Armut und Gewalt ausgesetzt gewesen und schon jung in die Jugendhilfe gekommen. Der Kipppunkt, an dem der Hilfeverlauf eskaliert, liege im Alter von zehn. „Wenn die Kinder immer wieder Ablehnung erfahren und erleben: ‚Schon meine Eltern wollten mich nicht und andere auch nicht‘, ist sei das sehr belastend.“
Port Nord verzichtet auf das Entlassen. „Wir haben einen hohen Personalschlüssel, um krisenhafte Verläufe begleiten zu können“, sagt Fuhrken. Er hat mit Kollegen die Geschichte bereits unter dem Titel „Jedes Kind ist betreubar!“ in einem Fachbuch erzählt. Die im Stadtzentrum gelegene Einrichtung hat Platz für fünf Bewohner von acht bis 16 Jahren. Für ihre Betreuung sind 19 Personen auf 14,5 Stellen da.
Feste Regeln gebe es bei Port Nord keine, außer der goldenen Regel: keine Gewalt. „Alles andere sind Aushandlungsprozesse mit den jungen Menschen“, sagt Fuhrken. Das habe das Team, das sich erst bilden musste, gelernt. Das Thema, spät abends noch Mahlzeiten zu kochen, war zum Beispiel eines, dass zu Konflikten führte. Eine Zeit lang wurde die Küche nach 22 Uhr 30 abgeschlossen. Nachdem es aber für die Pädagogen schwierig gewesen war, das durchzusetzen, wurde die Praxis wieder geändert. Ein wichtiger Faktor für das Gelingen sei es, „Eskalationen und Machtkämpfen aus dem Weg zu gehen“.
„Bei uns fliegst du nicht raus“ zur Praxis und Evaluation der intensiv- und individualpädagogischen Wohngruppe Port Nord aus Bremen: heute, 10 bis 17 Uhr, Reimarus-Saal, Trostbrücke 6, 20457 Hamburg
Auch den Kindern falle es nicht leicht zu glauben, dass sie bleiben können. Als ein Mädchen, das dort wohnte, sich zu Beginn des Projektes einer Gruppe junger Obdachloser am Bahnhof anschloss, habe das Team zunächst kontrovers diskutiert, wie zu reagieren sei. Die Betreuer versorgten sie dann täglich am Bahnhof mit Kleidung und Essen und vermittelten: „Wir sind für dich da, wir wollen, dass es dir gut geht, und freuen uns, wenn du wieder nach Hause kommst“. Das Mädchen kam zurück. Solche Entscheidungen seien mit Blick auf das Kindeswohl häufig schwer zu ertragen, schreiben Fuhrken und Co. Aber auf freiwilliger Basis sei ein nachhaltiges Betreuungsangebot eher zu erreichen als mit Zwang.
Auf der Tagung wird auch die Evaluation durch zwei Hochschulen vorgestellt. „Sie bescheinigt uns, dass unser Konzept erfolgreich ist und wird die Entwicklung der jungen Menschen positiv beeinflussen“, sagt Fuhrken. Im Fazit heißt es, Port Nord sei „kein Modellprojekt für eine notwendige Institution“. Es sei vielmehr eine „in ein Projekt gegossene Haltung“, wie mit diesen Kindern umzugehen ist, damit sie ihr Leben „weitgehend selbstbestimmt in den Griff bekommen“.
„Für mich ist Port Nord ein positives Beispiel, wie mit Kindern, die durch alle Maschen fallen, umzugehen ist“, sagt Helga Treeß, Sprecherin des Arbeitskreises Kinder und Jugend der Patriotischen Gesellschaft, der mit dem Aktionsbündnis gegen geschlossene Unterbringung und Gesellschaft für soziale Psychiatrie zur Tagung einlädt. Dass Rot-Grün in Hamburg eine geschlossene Einrichtung plane, „führt uns nicht weiter“, sagt Treeß. „Ich hoffe, wir kriegen in den Diksurs einen anderen Dreh“.
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