Programmreform bei der ARD: Raus aus'm „Formatknast“
Die ARD setzt ihre Programmreform um. Sie ist umstritten – auch, weil erfolgreiche und beliebte Formate wie „Die Story im Ersten“ eingestampft werden.
Zu den wirkungsmächtigsten TV-Dokumentationen des Jahres 2021 gehört der in der ARD ausgestrahlte Film „Warum Kinder keine Tyrannen sind“. Die WDR-Doku berichtete über fragwürdige Verabreichungen von Psychopharmaka durch einen Bonner Kinderpsychiater. Dieser Film über die, wie es in der taz hieß, „Schwarze Pädagogik 2.0“ zog Strafanzeigen gegen den Psychiater nach sich, weitere Opfer meldeten sich, Folgebeiträge in Magazinen („Westpol“, „Monitor“) wurden möglich.
„Warum Kinder keine Tyrannen sind“ lief in der vor 22 Jahren gestarteten Reihe „Die Story im Ersten“. Im Zuge der im Oktober beschlossenen ARD-Programmreform wird diese montags um 22.50 Uhr ausgestrahlte Reihe, für die die Doku-Redaktionen der ARD-Sender zuständig sind, nun de facto eingestellt. Das Label verschwindet nach dem 17. Januar.
Die Reform sieht vor, dass die Redaktionen unter der neuen Marke „ARD Story“ statt rund 35 Sendungen pro Jahr nur noch „gelegentlich“ (ARD-Sprecher Burchard Röver) Filme fürs Spätprogramm am Montag liefern – und das zudem für einen schlechteren Sendeplatz, nämlich erst um 23.35 Uhr. Zwei bis drei unregelmäßige Sendeplätze sollen noch hinzukommen.
Lineare Formate genießen keinen Denkmalschutz
Nun liegt es in der Natur des Fernsehens, dass lineare Formate nicht unter Denkmalschutz stehen, zumal sich Nutzungsgewohnheiten ändern. Das wissen die betroffenen ARD-Redaktionen. Sie kritisieren aber, dass ihre Filme künftig auf gemischtwarenladenartigen Sendeplätzen zu finden sein werden. Montags um 23.35 Uhr etwa werden auch Geschichtsdokus und die an ein jüngeres Publikum gerichtete Reportagereihe „Rabiat“ im Angebot sein. Die bisher für „Die Story im Ersten“ zuständigen Redakteur*innen sprechen von schlechterer Wiederauffindbarkeit. Hintergrund: Wenn Zuschauer*innen auf ihren „gelernten“ Sendeplätzen nicht mehr das bekommen, was sie erwarten, schalten sie künftig zu dem Zeitpunkt möglicherweise seltener ein.
Die ersten Veränderungen der Programmreform, die die ARD schrittweise umsetzen will, waren bereits an diesem Wochenende sichtbar. Der „Bericht aus Berlin“ ist länger geworden (30 statt 25 Minuten). Auch der „Weltspiegel“ bekommt 5 Minuten mehr – verlor aber seinen angestammten Sendeplatz und läuft nun ab 18.30 Uhr nach dem „Bericht aus Berlin“. Bald wird noch die sonntägliche Vorabend-Ausgabe der „Tagesschau“ von 5 auf 15 Minuten erweitert.
Der erweiterte Infoblock könnte zumindest für den „Weltspiegel“ auch inhaltliche Veränderungen nach sich ziehen. Offenbar soll die Sendung aktueller werden als bisher. Viele Auslands-Korrespondent*innen der ARD betrachten diese Planungen skeptisch. Der „Weltspiegel“ war für sie bisher auch deshalb wichtig, weil er ihnen Raum gibt für Themen jenseits der Aktualität.
Möglich wurde der Umbau des Infoprogramms am frühen Sonntagabend, weil die von den Religionsredaktionen der ARD bestückte Reihe „Echtes Leben“, die gesellschaftlich relevante Themen anhand von Alltags- und Schicksalsgeschichten aufgreift, verschoben wurde. Sie läuft ab dem 25. Januar dienstags vor dem „Nachtmagazin“. Ob diese Themen im Nachtprogramm besser aufgehoben sind, ist eine andere Frage.
Die Berichterstattung des „Weltspiegels“ soll ergänzt werden durch ein neues Format, das, so Röver, „spannende Auslandsthemen aus verschiedenen Blickwinkeln der Welt in den Fokus nehmen“ soll – und zwar auf dem bisherigen „Die Story“-Sendeplatz. Diese zusätzlichen Auslandsdokus stellt die ARD gern heraus. Eine diesbezügliche Verschlechterung im linearen Programm gerät dabei in den Hintergrund: Die 30-minütige „Weltspiegel-Reportage“, die bisher am Samstagnachmittag lief, wird es nur noch bis zum Frühjahr geben.
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