piwik no script img

Problemlösungen im FamilienhaushaltWindel undicht, Wände beschmiert

Wie häuslichen Konflikten mit Kindern begegnen? Unser Autor erfindet zwei Begriffe: „folgenlose Gefährderansprache“ und „belastende Zwischenablage“.

Das kratzende Geräusch von Stiften an Zimmerwänden sollte einen aufhorchen lassen Foto: Pond5 Images/imago

J eder Haushalt, insbesondere der mit Kindern, generiert Überforderung, die zu Missstimmungen führt. Lösungen bedürfen exakter Begriffe für die Problemlagen. Als Kristallisationspunkte häuslicher Konflikte sollen hier die Termini „folgenlose Gefährderansprache“ und „belastende Zwischenablage“ eingeführt werden.

Bei der folgenlosen Gefährderansprache (FGA) geht es um Belebtes: wenn also etwa verdächtige Geräusche aus dem Kinderzimmer kommen. Dabei kann es sich um enervierendes rhythmisches Klopfen, Kratzgeräusche – die eine unsachgemäße Verbindung von Buntstiften und Zimmerwänden erahnen lassen – oder schon um ein schrill geschrienes „Mama!“ handeln. Doch auch verdächtige Stille gehört zu den Triggerpunkten, die eine FGA auslösen können.

Die FGA reagiert, nach „angemessener Wartezeit des erhofften Von-selbst-Verschwindens“ (AWEVER), auf die sinnliche Wahrnehmung der alarmierenden Geräusche mit einem akustischen Signal. Das kann ein zärtliches „Was machst du, Schatz?“, ein schon deutlicheres „Lass es, bitte“ oder auch mal das entschiedene „Hör sofort auf damit!“ sein.

Das Tun des potenziellen Gefährders wird aber nicht in Augenschein genommen oder durch Eingriffe physisch unterbunden. Entscheidend ist, dass der die FGA auslösende Reiz nicht intensiv genug ist, um die aktuelle Tätigkeit der zuständigen Person – Handy, Wäscheaufhängen oder Handy – zu unterbrechen.

Damit eben bleibt die Gefährderansprache „folgenlos“, was zwischen den Erziehungsberechtigten zu unschönen Auseinandersetzungen führen kann, wenn die Windel undicht, die Wände beschmiert oder das Geschwister gebissen ist.

Die „belastende Zwischenablage“

In die öffentliche Sphäre transferiert ist die Ausformulierung der FGA die geläufige Phrase „Es bräuchte“ oder „Man müsste mal“; nämlich dieses oder jene abstellen, anpacken, anscheißen. Wenden Sie das Analysetool aber gern auf Ihre ganz individuellen Umstände und Bedürfnisse an!

Die „belastende Zwischenablage“ (BZA) steht in verwandtschaftlicher Beziehung zur FGA. Im Volksmund ist auch die Rede von „Berliner Verhältnissen“. Auch hier wird eine – allerdings selbst verursachte – Störung wahrgenommen. Ein ­Beispiel ist Altpapier, das im Flur zwischen­gelagert wird, anstatt direkt in einen ja meist durchaus vorhandenen Sammelbehälter ein­geordnet zu werden.

Da Materie gesetzmäßig ­andere Materie anzieht, füllt sich eine einmal ­etablierte BZA exponentiell: Wer etwa unsere Wohnung betritt, sieht im Flur einen Haufen mit Zeitungen, verworfenen Kinderkunstwerken und Paketpappverpackungen. „Belastend“ ist die BZA, weil sie intrinsisch ihre Selbstauflösung einfordert, ohne dabei Verantwortliche zu benennen.

Ist die AWEVER abgelaufen, wird zunächst ­nonverbal eine Intervention eingefordert. Letztlich liegt die Lösung aber im ästhetischen Feld. Wer hier die größere Sensibilität an den Tag legt, wird die BZA früher oder später auflösen.

Den häuslichen Frieden durch eine Strategie der Abschreckung zu sichern, indem eigens individuell angepasste „besonders belastende Zwischenablagen“ (BBZA), etwa im Nassbereich, etabliert werden, hat zu Erfolgen geführt, erhöht allerdings die Eskalationsstufe von der unbewussten zur bewussten Provokation. Hier bleibt Vorsicht geboten!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ambros Waibel
taz2-Redakteur
Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • großartig!