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Problemfall verdeckte Ermittlungen"Nazis auf Staatskosten"

Der Verfassungsschutz arbeitet mit verdeckten Ermittlern in der rechten Szene. Oft verlieren sie jedoch die Kontrolle über deren Tätigkeiten. Vor Gericht werden Anklagen so schnell zur Farce.

Wer ist echter Neonazi und wer nur V-Mann? Der Verfassungsschutz hält sich da gern bedeckt. Eine politische Kontrolle ist so kaum möglich. Bild: ap

Das Verfahren gegen das Neonazi-Internetprojekt "European Brother Radio" (EBR) beginnt in knapp vier Wochen. Ab dem 16. November stehen die Betreiber des Internetradios vor dem Berliner Landgericht wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Verstoß gegen das Waffengesetz und Anstiftung zu Rassenhass.

Eine Verfahrungserschwerung benennt schon jetzt die Staatsanwaltschaft. Eine der sieben Beschuldigten, Sandra F., arbeitete für den niedersächsischen Verfassungsschutz. "Welche Auswirkungen die V-Tätigkeit auf das Verfahren hat, ist noch nicht absehbar", sagt Staatsanwalt Holger Freund der taz.

Im März 2009 waren Ermittler, auf Weisung der Berliner Staatsanwaltschaft, gegen die Frauen und Männer im Alter zwischen 19 und 31 Jahren vorgegangen. Über Jahre sollen die Neonazis aus verschiedenen Bundesländern das Radio, das bis zum Jahr 2005 noch "White Nation Online Radio" hieß, betrieben haben. In dem 24-stündigen Programm wechselten sich rechtsextreme Sprüche der Moderatoren mit beliebten Rechtsrocksongs ab. Ab September 2008 hat Sandra F., unter dem Namen einer germanischen Göttin "Gefjon", die Sendungen mitgestaltet. Zum "Holocaust" soll die 31-Jährige aus Soltau angemerkt haben: Es seien "auch 200.000 bis 300.000 Juden ums Leben gekommen, meiner Meinung nach zu wenig".

Mehr als 250 Straftaten werden den Betreibern vorgehalten. Die Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes hält die Staatsanwaltschaft für eine der maßgeblichen Personen. Ständig hätte sie während ihrer V-Tätigkeit schwere Straftaten begangen. "Abgeschaltet" wurde sie in der Zeit aber nicht. Seit den Durchsuchungen möchte der Verfassungsschutz den Fall nicht kommentieren. Niedersachsens Verfassungsschutz-Präsident Günther Heiß sagte den Medien nur: "Das Problem bei unseren Quellen ist, das wir nicht immer wissen, was die sonst tun".

Als Zeuge in dem Verfahren seien nun auch Vertreter des Verfassungsschutzes selbst geladen, sagt Freund. Der Staatsanwalt betont gegenüber der taz, dass die Verteidigung von Sandra F. bereits anführt, dass ihre Mandantin von einer "Duldung" ihrer Tätigkeit durch das Amt ausging.

Verfassungsschutztätigkeiten in der Szene belasten immer wieder Strafverfahren, weiß der Rechtsextremismusexperte Christian Dornbusch. In dem Dreiländereck Niedersachen-Thüringen-Hessen unterstellten Kameradschaften aktuell ihrem Kameraden Dirk N. seit "März 2009" als "Polizei- und Verfassungsschutzspitzel" tätig zu sein. Die Kameradschaften aus Northeim, Einbeck, Göttingen, Eichsfeld und Nordhessen denken, dass sich der 35-Jährige aus der Nähe von Göttingen durch "eine sehr phantasievolle Aussage über fast alle ihm bekannten Kameraden" eine "milde Strafe" gesichert habe.

Nach Akteneinsicht in einem Strafverfahren November 2008 wegen einer Schießerei und eines Brandanschlags in einer Table-Dance-Bar will diese Szene wissen, dass Dirk N. dank seiner Aussagen ein mildes Urteil von zwei Jahren und sechs Monaten bekommen habe. "Als Einziger wollte er gleich mit mir reden", sagt der damals ermittelnde Oberstaatsanwalt Hans Hugo Heimgärtner heute der taz. Er betont jedoch: "Von aufhellenden Aussagen über die gesamte Szene kann aber nicht gesprochen werden".

Der Verfassungsschutz ist wieder wortkarg. "Grundsätzlich äußern wir uns nicht über V-Mann-Diskussionen" sagt die Pressesprecherin Maren Brandenburger. Der rechtspolitische Sprecher der Grünen Landtagsfraktion in Hannover, Helge Limburg, betont indes: "Sollte es in dem Fall Dirk N. zu einem Deal gekommen sein, dann bestätigt sich wieder, was Experten sagen: V-Männer seien staatlich bezahlte Nazis, die auch vor Verbrechen nicht zurückschrecken".

Eine Aufklärung erwartet er nicht. "In der parlamentarischen Arbeit haben wir keine Möglichkeit der Kontrolle der V-Mann-Tätigkeit. Wenn wir wegen Vorfällen nachfragen ist die Antwort immer: 'Das unterliegt der Geheimhaltung'". Solche Fälle würden die gesamte V-Tätigkeit-Problematik zeigen, betont Limburg. Er fordert: "Mann muss sie abziehen".

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10 Kommentare

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  • AF
    Andreas Fuchs

    Die Darstellung Speits ist doppelbödig.

    Speit informiert sich selbst beim VS über Extremisten. Die Grüne Partei laviert in der Frage

    ob die Praxis des VS richtig oder Teil des Problems ist.

     

    1. VS und Bundeszentrale für PolBildung sind Behörden die das ideologische Erbe aufrecht erhalten der Aufteilung in die "Mitte und die Ränder". Ich finde die Profitgier extremistisch.

     

    2. es wurden immer echte Nazis als Spione angeworben, in erster Linie Haftentlassene.

    Weil man im VS der Meinung ist, diese seien besonders echt. Doch ist es ein leichtes Spiel für die Nazis, Zuhälter, Mafiosi und Mitläufer, innerhalb und außerhalb der NPD, die vielen V-Leute zu erkennen.

     

    3. Diese bekommen dann mit Druck ein Angebot: ihr staaliches Geld, den Sold aus Steuergeldern, sollen sie an die Organisation abgeben oder teilen und über Kenntnisstand und Aktionslinie des Staates berichten. In die Gegenrichtung unterrichtet der angeworbene echte Nazi und echte VMann dann den Verbindungsführer von so genannten "sehr phantasievollen Geschichten".

     

    Glauben Sie die echten Nazis würden "enttarnt" und rausgeschmissen?

    Der Abzug dieser teilnehmenden Beobachter aus der möglichst terroristischen Naziszene wäre ein schwerer Schlag gegen den Rechtsradikalismus.

     

    Stattdessen ermittelt der Staat aber gegen Linke mit Mordversuch, Demoverboten, und allen Arten der Repression.

    Dieser Sachverhalt ist auch über 10 Jahre alt.

    Gibt es also ein bisschen Unterhaltung hier oder ein echtes Aufklärungsinteresse mit dem Ziel, diese lebensgefährliche Terrorunterstützung zu beenden?

  • A
    AnnaMirl

    Eigenartig, was macht der Staat da? Ermitteln...oder anstiften. Wenn das Verbot der NPD wg der V-Leute nicht durchkam, tummeln sich da vermutlich viele. In wessen Interesse treiben diese ihr Unwesen? Wer profitiert?

  • K
    Korinthen

    letzter Satz: "Mann muss sie abschaffen."

    Es arbeiten auch Frauen bei der Polizei

  • AL
    Anna Luehse

    taz: "Die Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes hält die Staatsanwaltschaft für eine der maßgeblichen Personen."

    Die Kardinalfrage: Welchen Auftrag hatte die VS-Braut? Von wem ist klar. Oberster Dienstherr der Landesämter für VS ist der IM. NRWs krassester Neonazi:

     

    " ... Im Jahr 1993 versuchte Nagels, die Partei mit einer undurchsichtigen Kampfsportorganisation in Solingen in Verbindung zu bringen. Später verließ er die Partei, weil sie ihm nicht rechts genug war und seine provozierenden Auffassungen keinen Anklang fanden. Nagels machte vor Gericht geltend, daß er keine Aussagegenehmigung des Innenministers habe. ... " http://deutschlandpolitik.wordpress.com/2009/04/27/republikaner-decken-auf-verfassungsschutz-sponsert-neonazis/

  • B
    beobachter

    Gibt es schon einen Verhandlungstermin? Würde mir die Argumentation, ob und wieso man den Holocaust vom Amt geduldet leugnen könnte, doch gern mal live anhören

  • AF
    Andreas Fuchs

    Die Darstellung Speits ist doppelbödig.

    Speit informiert sich selbst beim VS über Extremisten. Die Grüne Partei laviert in der Frage

    ob die Praxis des VS richtig oder Teil des Problems ist.

     

    1. VS und Bundeszentrale für PolBildung sind Behörden die das ideologische Erbe aufrecht erhalten der Aufteilung in die "Mitte und die Ränder". Ich finde die Profitgier extremistisch.

     

    2. es wurden immer echte Nazis als Spione angeworben, in erster Linie Haftentlassene.

    Weil man im VS der Meinung ist, diese seien besonders echt. Doch ist es ein leichtes Spiel für die Nazis, Zuhälter, Mafiosi und Mitläufer, innerhalb und außerhalb der NPD, die vielen V-Leute zu erkennen.

     

    3. Diese bekommen dann mit Druck ein Angebot: ihr staaliches Geld, den Sold aus Steuergeldern, sollen sie an die Organisation abgeben oder teilen und über Kenntnisstand und Aktionslinie des Staates berichten. In die Gegenrichtung unterrichtet der angeworbene echte Nazi und echte VMann dann den Verbindungsführer von so genannten "sehr phantasievollen Geschichten".

     

    Glauben Sie die echten Nazis würden "enttarnt" und rausgeschmissen?

    Der Abzug dieser teilnehmenden Beobachter aus der möglichst terroristischen Naziszene wäre ein schwerer Schlag gegen den Rechtsradikalismus.

     

    Stattdessen ermittelt der Staat aber gegen Linke mit Mordversuch, Demoverboten, und allen Arten der Repression.

    Dieser Sachverhalt ist auch über 10 Jahre alt.

    Gibt es also ein bisschen Unterhaltung hier oder ein echtes Aufklärungsinteresse mit dem Ziel, diese lebensgefährliche Terrorunterstützung zu beenden?

  • A
    AnnaMirl

    Eigenartig, was macht der Staat da? Ermitteln...oder anstiften. Wenn das Verbot der NPD wg der V-Leute nicht durchkam, tummeln sich da vermutlich viele. In wessen Interesse treiben diese ihr Unwesen? Wer profitiert?

  • K
    Korinthen

    letzter Satz: "Mann muss sie abschaffen."

    Es arbeiten auch Frauen bei der Polizei

  • AL
    Anna Luehse

    taz: "Die Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes hält die Staatsanwaltschaft für eine der maßgeblichen Personen."

    Die Kardinalfrage: Welchen Auftrag hatte die VS-Braut? Von wem ist klar. Oberster Dienstherr der Landesämter für VS ist der IM. NRWs krassester Neonazi:

     

    " ... Im Jahr 1993 versuchte Nagels, die Partei mit einer undurchsichtigen Kampfsportorganisation in Solingen in Verbindung zu bringen. Später verließ er die Partei, weil sie ihm nicht rechts genug war und seine provozierenden Auffassungen keinen Anklang fanden. Nagels machte vor Gericht geltend, daß er keine Aussagegenehmigung des Innenministers habe. ... " http://deutschlandpolitik.wordpress.com/2009/04/27/republikaner-decken-auf-verfassungsschutz-sponsert-neonazis/

  • B
    beobachter

    Gibt es schon einen Verhandlungstermin? Würde mir die Argumentation, ob und wieso man den Holocaust vom Amt geduldet leugnen könnte, doch gern mal live anhören