Problemfall AfD-Beamtinnen und Beamte: Sag mir, wo die Staatsfeinde sind
Können Mitglieder der vielleicht bald auch offiziell „gesichert rechtsextremen“ AfD noch als Lehrkräfte arbeiten? Länder wollen Konsequenzen prüfen.
Das gelte im besonderen Maße auch für Lehrkräfte, die einen staatlichen Bildungsauftrag erfüllen sollen: „Wenn wir die Arbeit des Verfassungsschutzes ernst nehmen, gehört die AfD auf die Liste extremistischer Organisationen, die Referendaren vor der Vereidigung vorgelegt wird“, meint Düll. In Bayern, wo Düll Schulleiter ist, sind das rund 180 Organisationen. Eine Mitgliedschaft löst eine Eignungsprüfung durch den Verfassungsschutz aus. Auch bereits beschäftigte Lehrkräfte müssten gegebenenfalls neu auf ihre Verfassungstreue hin geprüft werden, so Düll.
Ähnlich äußert sich auch Anja Bensinger-Stolze, Vorstandsmitglied der Bildungsgewerkschaft GEW. „Die Politik muss nun dringend handeln, um den Schulen Klarheit im Umgang mit der AfD zu verschaffen“, sagte Bensinger-Stolze der taz. Aus ihrer Sicht ist es nach der Neubewertung des Verfassungsschutzes kaum vorstellbar, dass ein Mitglied einer als „gesichert rechtsextremen“ Partei als Lehrkraft ihrem demokratischen Bildungsauftrag nachkommen könne.
Ein pauschales Berufsverbot für AfD-Mitglieder hält Bensinger-Stolze aber für „schwierig“, erst recht solange die Partei nicht verboten sei. Jeder Einzelfall müsse geprüft werden. Dazu bedarf es aus ihrer Sicht eines systematischen Beschwerde- und Meldeverfahrens, das Schüler:innen und Lehrkräfte nutzen können, um Schulverwaltungen auf menschenverachtende oder demokratiefeindliche Äußerungen und Inhalte oder ein solches Verhalten hinzuweisen.
Ist AfD-Mitgliedschaft und Beamtentätigkeit vereinbar?
Welche Konsequenzen Bund und Länder aus der Neubewertung des Verfassungsschutzes ziehen, ist noch unklar. Der Weg eines möglichen Parteiverbots – das AfD-Mitglieder im Staatsdienst vor ernsthafte Probleme stellen würde – hat aktuell keine politische Mehrheiten. Zunächst wird es wohl auch keine automatischen Folgen für Beamt:innen haben, die sich in oder für die AfD engagieren.
Das jedenfalls haben diese Woche der neue Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) sowie mehrere Innenminister:innen der Länder klargestellt. Auf der Innenministerkonferenz im Juni in Bremerhaven wollen sie sich auf einen gemeinsamen Umgang zu dieser Frage verständigen.
Aktuell prüfen nach Informationen der taz mehrere Länder, ob eine AfD-Mitgliedschaft noch mit einer Beamtentätigkeit vereinbar ist, darunter Bayern, Hessen, Thüringen und Hamburg. Ein Blick nach Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, wo die AfD bereits länger als gesichert rechtsextremistisch geführt wird, zeigt aber, dass sich vielleicht nicht viel ändert. Eine automatische Eignungsprüfung von AfD-Mitgliedern findet auch dort nicht statt.
Auch die Bildungsministerien halten pauschale Konsequenzen für AfD-Mitglieder im Schuldienst für den falschen Weg, wie eine Umfrage der taz unter den Ländern zeigt. So heißt es beispielsweise aus dem SPD-geführten Bremer Bildungssenat: „Die Berufsverbote der 70er Jahre haben alle gelehrt, dass man nicht vorschnell handeln darf.“ Damals wurden schätzungsweise zwischen 1.200 und 2.500 Personen wegen ihrer Mitgliedschaft vor allem in als linksextremistisch eingeschätzten Organisationen und Parteien wie der DKP, der SEW oder des KBW vom Staatsdienst ausgeschlossen. Insgesamt gab es zwischen 1972 und 1985 rund 3,5 Millionen Regelanfragen.
Kein Erlass
Auch Niedersachsens Bildungsministerin Julia Hamburg (Grüne) warnt vor einem „neuen Radikalenerlass“. Selbst eine pauschale Beobachtung oder Überprüfung von Mitgliedern der AfD schließt ihr Ministerium aus, „weil die Parteimitgliedschaft von Beamtinnen und Beamten nicht erhoben oder erfasst wird“.
Tatsächlich ist den Bildungsministerien nicht bekannt, wie viele der nach Angaben der AfD rund 60.000 Parteimitglieder als Lehrkräfte an einer Schule arbeiten. Das bedeutet: Solange eine Lehrkraft nicht im Unterricht oder öffentlich durch verfassungsfeindliche Äußerungen auffällt, ist sie auch mit AfD-Parteibuch vor Disziplinarmaßnahmen ziemlich sicher.
Selbst bei prominenten Fällen wie dem in Hessen verbeamteten AfD-Rechtsaußen Björn Höcke, der offiziell „Faschist“ genannt werden darf, ist eine Entfernung aus dem Staatsdienst kompliziert. Der Grund: Hessen nimmt an, dass Höckes beamtenrechtliche Treuepflichten während seine Abgeordnetenmandats ruhen – somit können keine Dienstvergehen vorliegen. Ob die gesetzlichen Regelungen möglicherweise nun angepasst werden, ist offen. Das CDU-geführte Bildungsministerium teilte auf Anfrage aber mit, dass Höcke unter bestimmten Voraussetzungen schon jetzt seinen Beamtenstatus verlieren könne. Zum Beispiel, wenn er rechtskräftig wegen Volksverhetzung und/oder des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen zu mindestens sechs Monate Haft verurteilt würde. Das Beispiel zeigt, wie hoch die Hürden für Disziplinarmaßnahmen sind, selbst wenn es wenig Zweifel an verfassungsfeindlichen Positionen gibt.
Anja Bensinger-Stolze von der GEW erkennt noch ein weiteres Problem. In vielen Lehrerzimmern, in denen die Mehrheit sich klar für eine offene Gesellschaft und gegen menschenfeindliche Positionen ausspricht, würden sich AfD-Sympathisant:innen mit ihrer Meinung zurückhalten. Das sei aber nicht überall so. Aus den GEW-Landesverbänden höre sie, dass dort, wo die AfD hohe Zustimmungswerte in der Bevölkerung habe, AfD-Positionen teils auch im Kollegium weniger kritisch gesehen würden.
Angefeindet
Wozu dies im Extremfall führen kann, habe man im brandenburgischen Burg gesehen, so Bensinger-Stolze. Dort hatten zwei Lehrkräfte 2023 in einem Brandbrief öffentlich gemacht, dass rechtsextreme Vorfälle wie Hitlergrüße von Schülern ignoriert oder herunterspielt würden. Letztlich verließen die beiden Lehrkräfte die Schule – auch weil sie im Ort für den Brandbrief angefeindet worden sind. Jüngst wurden nach Medienberichten auch im sachsen-anhaltischen Altmarkkreis Lehrkräfte massiv unter Druck gesetzt, weil sie sich für eine offene Gesellschaft einsetzen.
„In solchen Fällen ist es wichtig, dass Lehrkräfte Anlaufstellen haben und das Ministerium handelt, interveniert und deutlich macht, dass rechtsextremes, diskriminierendes und antidemokratisches Verhalten nicht toleriert wird“, so Bensinger-Stolze.
Neben der Frage, was juristisch möglich ist, sollte sich aber auch die Frage stellen, was für Schüler:innen zumutbar ist. Jede:r Dritte hat heute eine Einwanderungsgeschichte. Den Ministerien muss klar sein: Eine Lehrkraft, die genau diese Kinder und Jugendlichen „remigrieren“ möchte, sollte nicht verantwortlich für deren weitere schulische Laufbahn sein.
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