Problemdeponie Schönberg: Sorge um Lübecks Trinkwasser
Auf der ehemaligen DDR-Sondermülldeponie Schönberg sind weit überhöhte Schwermetall-Werte nachgewiesen worden, doch die Regierung in Schwerin wiegelt ab.
Am Mittwoch hatte die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern hohe Grenzwert-Überschreitungen bei Schwermetallen auf der landeseigenen Deponie eingeräumt. Die Werte seien aber „nicht justiziabel“, wusste Wirtschaftsminister Harry Glawe (CDU) bereits zu berichten, ohne genaue Untersuchungen abzuwarten: „Wir gehen davon aus, dass keine Rechtsverstöße festgestellt werden.“
Auf der Deponie in Mecklenburg-Vorpommern, direkt an der Landesgrenze zu Schleswig-Holstein und damit nur wenige Kilometer von der Großstadt Lübeck entfernt, soll wesentlich mehr und wesentlich giftigerer Sondermüll eingelagert worden sein als zulässig, zudem habe es an Kontrollen gemangelt. So steht es in einem Prüfbericht des ehemaligen Chefrevisors der Deponie, Stefan Schwesig, im Auftrag des Finanzministeriums.
Eine zweifelhafte Lieferung aus dem italienischen Livorno im Dezember 2017 war für den Entsorgungsexperten – und Ehemann von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) – Anlass gewesen, die Vorgänge in Ihlenberg unter die Lupe zu nehmen. Er fand heraus, dass der in Ihlenberg erlaubte Grenzwert für Cadmium um mehr als 3.000 Prozent übertroffen wurde, bei Zink um 9.500 Prozent. In einer Charge, die im Mai aus Hannover angeliefert wurde, seien die Grenzwerte für Quecksilber sogar um 17.900 Prozent überschritten worden.
Umweltminister will sich „der Sache annehmen“
In Betrieb genommen wurde die Deponie Ihlenberg 1979 von der DDR-Regierung unter dem Namen „Schönberg“ unmittelbar hinter der Landesgrenze wenige Kilometer östlich von Lübeck.
Ziel war es, mit der Lagerung von Sondermüll aus West-Deutschland und anderen westlichen Staaten Devisen einzunehmen – auf Kontrollen des angelieferten Mülls wurde weitgehend verzichtet.
Auf der Deponie am Hang des 83 Meter hohen Ihlenbergs lagern inzwischen etwa 19 Millionen Kubikmeter Sondermüll und Industrierückstände, für etwa weitere sieben Millionen wäre noch Platz.
Nach der Wiedervereinigung wurde das Ausmaß der Umweltgefahren, die von der Deponie ausgingen, deutlich. Zwei Untersuchungsausschüsse tagten, eine Ministerin und ein Staatssekretär mussten zurücktreten.
Seit 1992 wird die Deponie unter dem Namen „Ihlenberg“ von der landeseigenen Abfallentsorgungsgesellschaft betrieben. Für Rekultivierungsmaßnahmen wurden Mittel in Höhe von 235 Millionen Euro zurückgestellt.
Anlass genug, um in der Landespolitik für Unruhe zu sorgen und jetzt auch im benachbarten Lübeck. Der Schweriner Umweltminister Till Backhaus (SPD) räumte ein, dass der Bericht darauf hinweise, dass sich „die Landesregierung der Sache annehmen“ müsse. Laut Wirtschaftsminister Glawe soll es künftig ein strengeres Monitoring geben: Von jedem eingehenden Transport würden Proben genommen. Das koste 10.000 Euro pro Tag. Auch sei ein eigenes Gutachten in Auftrag gegeben worden.
Eben das hatte Schwesig gefordert. „Mangelnde Kontrollen“ hatte er kritisiert und eine hohe Risikobereitschaft. Offenbar stehe „allein das Geschäftsvolumen im Mittelpunkt“. Der Aufsichtsratsvorsitzende der Deponie, Hans-Thomas Sönnichsen, warf Schwesig hingegen mangelndes Fachwissen vor. Der Prüfbericht sei „inhaltlich bedenklich“.
Die Linke im Schweriner Landtag indes kritisiert mangelnden Aufklärungswillen der Landesregierung. Die Umweltexpertin der Linken, Mignon Schwenke, forderte, die Geschäftsführung der Ihlenberger Abfallentsorgungsgesellschaft im Wirtschaftsausschuss des Landtags zu vernehmen.
Deponie-Chefs im Umweltausschuss
Auch vor dem Umweltausschuss der Lübecker Bürgerschaft am Dienstag soll die Chefetage der Deponie Rede und Antwort stehen. Insbesondere Aufklärung über „das Gefährdungsrisiko für die Trinkwasserversorgung der Lübecker Bevölkerung“ fordert Antje Jansen von der linksgrünen Abspaltung GAL.
Sie habe den Eindruck, dass auf der Deponie „Umweltschutz nachrangig betrieben“ wurde, sagt die Ausschuss-Vorsitzende Silke Mählenhoff (Grüne). Trotz der Giftmüll-Skandale der 1990er-Jahre habe Ihlenberg, das damals unter dem alten Namen „Schönberg“ berüchtigt war, „keine vernünftige Grundabdeckung“ gegen austretendes Sickerwasser. Die Deponie sei, so vermutet Mählenhoff, „ein unkontrollierbares Risiko“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen