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Probesitzen zum WelttoilettentagMal müssen müssen alle mal

In der Berliner Heinrich-Böll-Bibliothek geht es derzeit nicht nur um Bücher, sondern auch ums Natürlichste der Welt: den Toilettengang.

Das Örtchen, wie man hingeht, wenn man muss Foto: Carola Frentzen/picture alliance/dpa

D ie Keramik besuchen, für kleine Königstiger gehen, die Nase pudern, die Notdurft verrichten: Für den Toilettengang hat die deutsche Sprache eine Vielzahl von Ausdrücken in petto, viele davon einigermaßen verdruckst. „Wozu die Scham? Es betrifft jeden – jeden Tag“, sagt Annette Wagner inbrünstig.

Annette Wagner ist Wissenschaftsjournalistin und Initiatorin des Pop-up-Projekts „Ach du Scheiße!“, das anlässlich des Welttoilettentags in der Heinrich-Böll-Bibliothek in Berlin-Pankow gastiert. Bis Ende November ist so hier noch zwischen Romanen, Comics und Krimis allerlei Toilettenkulturelles zu finden: Poduschen, Bettpfannen, Schlappen, Bidetbrausen.

Neben der Ausstellung hat sich Annette Wagner einiges an Programm vorgenommen. Mit Literatur („Kochen für den Arsch“), einem Bilderbuchkino („Oh, wer sitzt denn da auf dem Klo“) und Mitmachaktionen („Bring dein Lieblingsklopapier mit“) will Wagner den Bi­blio­theks­be­su­che­r:in­nen ein eigentlich – pardon – furztrockenes, aber bedeutsames Thema näherbringen: das Nachhaltigkeitsziel Nummer sechs der Vereinten Nationen – der Zugang zu sauberem Wasser und Sanitäreinrichtungen.

Denn während Menschen im globalen Norden in Zeiten von Wasser- und Ressourcenknappheit gemütlich auf dem Wasserklosett thronen, haben 3,5 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sicheren Toiletten. Ohne „Ökokeule“, stattdessen mit einer angemessenen Menge Fäkalhumor, möchte „Ach du Scheiße!“ aufklären.

Der Welttoilettentag ist dem Kampf für Sanitäranlagen gewidmet, weil immer noch mehr als 40 Prozent der Weltbevölkerung keinen Zugang zu ausreichend hygienischen Sanitäreinrichtungen haben. Der Welttag der Vereinten Nationen findet immer am 19. November statt.

Zeitung zum Testen

Keine Überraschung für die Expertin: Die Feuchttücher haben sich gar nicht aufgelöst

Im Erdgeschoss der Bibliothek hat Annette Wagner eine Teststation aufgebaut. In kleinen Eimern überprüft sie hier verschiedenes toilettentaugliches Papier auf seine Wasserlöslichkeit: Recyclingpapier, Feuchttücher, extra weiches Klopapier und eine Zeitung – es ist nicht die taz.

Auch eine Bibliotheksbesucherin, die zufällig ein Luxustoilettenpapier vom Einkauf unter dem Arm trägt, stiftet eine Rolle für das Klopapierexperiment. Neugierig steckt sie erst die Nase in die aufgereihten Eimer, hat es dann aber doch zu eilig, um den Ausgang des Experiments abzuwarten.

Mit einer Schöpfkelle und einem Schneebesen inspiziert Wagner die mehr und weniger aufgelösten Papierrückstände. Keine Überraschung für die Expertin: Die parfümierten Feuchttücher haben sich gar nicht aufgelöst – obwohl sie laut Verpackung für die Toilette geeignet sein sollen. Doch auch das Recyclingpapier unterwältigt etwas mit flockiger Konsistenz – im Gegensatz zum fast vollständig aufgelösten Luxustoilettenpapier.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Toll für Bäume und Umwelt ist das Papier natürlich trotzdem nicht, zumal Deutschland – kein Applaus bitte – Vizeweltmeister im Klopapierverbrauch ist: 134 Rollen landen pro Person jährlich in der Toilette. Nur die US-­Ame­ri­ka­ner:in­nen, die sogar zu prüde sind, die Toilette toilet zu nennen und stattdessen restroom sagen, übertrumpfen das noch.

Spülen mit Spänen

Der Toilettengang sorgt aber nicht nur für mehr oder weniger aufgelöste Papierreste, sondern schluckt auch je nach Modell 9 bis 14 Liter Wasser. Einen Gegenentwurf zum wasserintensiven Spülklo präsentiert Wagner in Form einer zusammensteckbaren Komposttoilette. „Gespült“ wird hier mit Spänen statt Wasser – für Wagner ein wichtiger Schritt zu einer Wende im Umgang mit Wasser.

Und noch eine Wende wünscht sie sich: dass Urin und Kot nicht mehr als Unrat abgetan werden, sondern als Ressource, als wahlweise flüssiges oder braunes Gold. Aus Urin könne man hervorragenden Dünger machen, aus Kot sogar Strom. „Stell dir mal vor: den eigenen Strom scheißen“, sagt Wagner sichtlich begeistert.

Doch diese Idee hat derzeit noch einen entscheidenden Haken: Die deutsche Rechtslage verbietet bisher den Gebrauch menschlicher Exkremente – wohl eher aus Tabu- als aus wissenschaftlichen Gründen. Doch solange Bür­ge­r:in­nen und auch Po­li­ti­ke­r:in­nen ein Gespräch über den Toilettengang peinlich berührt vermeiden, tourt Annette Wagner einfach weiter mit ihren Toilettenutensilien durch deutsche Bibliotheken und reißt ein paar Witze gegen die Scham.

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Hat im Psychologiestudium gelernt, Menschen aufrichtig zuzuhören. Zwischendurch Stationen in Israel, der Türkei und an der Deutschen Journalistenschule in München – nun wieder dauerhaft in Berlin.
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