Pro und Kontra Christian Wulff: Ist Wulff nur ein Opfer der Medien?
Das Verfahren gegen den Ex-Präsidenten wird möglicherweise gegen eine Geldbuße eingestellt. Juristisch bleibt von den Vorwürfen nicht viel übrig.
Ja, die Medien sind schuld
J a, Christian Wulff hat Fehler gemacht. Er vermochte es nicht, zwischen seinen öffentlichen Ämtern und seinen persönlichen Interessen klar zu trennen. In seiner Zeit als Ministerpräsident suchte er die Nähe zu solventen Geschäftsleuten und machte sich vom Wohlwollen der Bild-Zeitung abhängig.
Insbesondere Letzteres ist ihm zum Verhängnis geworden: Wulff hat sein Amt verloren, sein Ruf ist ruiniert, seine Ehe ging in die Brüche. Das ist eine ziemlich große Strafe dafür, dass ihm echte Verfehlungen bis heute nicht vorgeworfen werden können.
Viele der Anschuldigungen wirkten von Anfang an monströs überzeichnet. Ist es schon Bestechung, wenn man ein Bobby-Car geschenkt bekommt? Nach aufwändiger juristischer Prüfung bleibt kaum mehr etwas von den Vorwürfen übrig.
Die Justiz hat sich von einer überhitzten Medienberichterstattung treiben lassen. 13 Monate lang hat die Staatsanwaltschaft in Hannover jede Akte umgedreht. Dieser Aufwand war zu keinem Zeitpunkt angemessen, wie sich jetzt deutlich zeigt.
Am Ende steht sie mit einer Einladung zum Oktoberfest da, für die sich Christian Wulff seinerseits mit einem Gefälligkeitsbrief im Sinne seines Gönners bedankt haben soll.
Daniel Bax ist Inlandsredakteur der taz.
Malte Kreutzfeldt ist Parlamentskorrespondent der taz
Man kann das anrüchig finden, aber Korruption sieht anders aus. Und was sind schon die paar hundert Euro, die der Filmproduzent David Groenewold für seinen Freund Christian Wulff in München springen ließ, gegen die 25.000 Euro, die ein Peer Steinbrück von den Stadtwerken Bochum bekam, weil er in einer Gesprächsrunde auftrat?
Die Firma ist in der Hand einer Stadt, die von der SPD regiert wird – solche Gefälligkeiten unter Genossen haben eine ganz andere Größenordnung.
Von der Wulff-Affäre bleibt am Ende ein überdrehter Medienhype, der an den moralischen Maßstäben vieler Journalisten zweifeln lässt. Wulff wurde von der Bild-Zeitung auch deswegen abgestraft, weil er sich als Präsident nicht mehr vor ihren Karren spannen lassen wollte.
Dass sich das Blatt genau in dem Augenblick gegen ihn zu wenden begann, als sich Wulff mit seiner „Islam gehört zu Deutschland“-Rede der allgemeinen Sarrazin-Hysterie entgegenstellte, verleiht der Bild-Kampagne gegen ihn auch im Nachhinein noch einen bitteren Nachgeschmack.
Bitter ist auch, dass so viele Zeitungen in diese Kampagne einstimmten und sogar Wulffs unglücklichen Anruf bei Chefredakteur Kai Diekmann zur Staatsaffäre aufblähten, statt die Motive des Blatts zu hinterfragen.
Auch dies ist ein Ausdruck der Medienkrise – dass sich Zeitungen und Magazine angesichts schwindender Auflagen zu einer haltlosen Skandalberichterstattung hinreißen lassen, deren Grundlage mehr als zweifelhaft ist.
Die Affäre Wulff zeigt: Die Nähe, die manche Politiker zu Geschäftsleuten pflegen, ist fragwürdig. Schlimmer aber ist ihre Abhängigkeit von Medienhäusern, die Stimmung zu machen vermögen. Darin steckt die weit größere Gefahr für unsere Demokratie. DANIEL BAX
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Nein, Wulff ist selber schuld
Keine Frage: Juristisch ist von den Vorwürfen gegen Christian Wulff nicht viel übrig geblieben. Genau einen Fall von Bestechlichkeit werfen die Staatsanwälte dem Exbundespräsidenten nach einjährigen Ermittlungen noch vor.
Dabei geht es darum, dass er – in seiner Funktion als niedersächsischer Ministerpräsident – Sponsorengelder für einen Film seines privaten Freundes David Groenewold einzuwerben versuchte. Und zwar unmittelbar, nachdem dieser Wulffs privaten Familienausflug zum Oktoberfest mit 800 Euro bezuschusst hatte.
Dass Wulff damit aus heutiger Sicht Opfer einer Medienkampagne war und zu Unrecht zurückgetreten ist, wäre allerdings eine falsche Schlussfolgerung. Zum einen ist Korruption keine Frage der Summe, sondern der Haltung. Ein einziger Fall von Bestechlichkeit wäre Grund genug für einen Rücktritt.
Zum anderen ging es bei den Vorwürfen gegen Wulff nie allein um juristische Fragen, sondern auch um politische und moralische. Dieser Unterschied ist wichtig, weil es eine verhältnismäßig breite Grauzone gibt, in der ein Verhalten zwar nicht rechtswidrig, aber für einen Spitzenpolitiker dennoch inakzeptabel ist.
Christian Wulff hat diesen Anspruch selbst formuliert, als er noch Oppositionsführer in Niedersachsen war und SPD-Ministerpräsident Gerhard Glogowski wegen einer gesponserten Hochzeit in der Kritik stand.
„Es muss der Anschein von Korrumpierbarkeit, von Abhängigkeiten, von Sponsoring von Politik und Politikern vermieden werden“, hatte Wulff damals erklärt. Politiker bräuchten „eine Grundsensibilität, dass man Dienstliches und Privates relativ strikt trennt“.
An diesem Anspruch musste Wulff sich später selbst messen lassen. Wie deutlich er ihn verfehlte, darf nicht verklärt werden: Er suchte die Nähe zu Unternehmern und begab sich in Abhängigkeiten wie kaum ein Politiker vor ihm.
Kredite von Freunden, die ihn dann auf Dienstreisen begleiteten, Einladungen von Unternehmern, für deren geschäftliche Interessen er sich später einsetzte – Wulff ließ jegliche Sensibilität für problematische Verquickungen von Politischem und Privatem vermissen. Und – das war der Auslöser der weiteren Nachforschungen – er belog das Parlament über diese Kontakte.
Die Medien mögen auf dem Höhepunkt der Affäre auch mal übers Ziel hinausgeschossen sein. Doch insgesamt haben sie das getan, was ihre Aufgabe in einer Demokratie ist: das Geflecht von Wirtschaft und Politik zu analysieren, Politikerverhalten genau beobachten und hinterfragen, Widersprüche aufzuzeigen und Volksvertreter an ihren eigenen Maßstäben messen.
Das Amt des Bundespräsidenten ist kein Job wie jeder andere. Es lebt davon, dass der Inhaber eine moralische Autorität ist, dessen Wort in der Öffentlichkeit Gewicht hat. Für diese Aufgabe, für dieses Amt war Christian Wulff charakterlich und politisch nicht geeignet. Daran gibt es auch ein Jahr später nichts zurückzunehmen. MALTE KREUTZFELDT
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