Pro und Contra: Behinderten-Quote? Ja!
Niedersachsens Landesbehindertenbeauftragter Karl Finke fordert, dass jeder zehnte Listenplatz mit einem Menschen mit Behinderung besetzt wird.
Wir können am besten darstellen, was wir denken, fühlen und wünschen. Es ist höchste Zeit, dass die Stellvertretermentalität auch im parlamentarischen System durch die direkte Vertretung behinderter Menschen ersetzt wird. Davon ist die Realität aber noch weit entfernt. Die Interessen und Belange behinderter Menschen werden weitgehend über Wohlfahrtsverbände oder nichtbehinderte politische VertreterInnen wahrgenommen. Ihnen aber fehlt die behindertenspezifische Lebensgeschichte. Dabei galt bereits im alten Rom die Weisheit: „Glaube nur dem, der es selbst erfahren hat.“ Ein Probelauf mit Rollstuhl oder Blindenstock reicht nicht aus.
Die UN-Behindertenrechtskonvention macht zur politischen Mitentscheidung behinderter Menschen klare Vorgaben. Sie enthält das Partizipationsgebot. Dazu zählen Mitentscheidung und -bestimmung im politischen Raum, nicht nur Teilhabe oder Teilnahme. Sie fordert, bei allen Initiativen, Projekten und politischen Vorhaben behinderte Menschen direkt zu beteiligen. Sie fordert die Stärkung des aktiven und passiven Wahlrechts.
In der Politik auf Bundesebene sind mir lediglich Herr Schäuble (CDU) und Herr Seifert (Linke) als schwerbehinderte Menschen bekannt. 13 Millionen Menschen, die einen amtlichen Bescheid als Mensch mit einer Behinderung haben, davon acht Millionen schwerbehinderte Menschen, davon 7,5 Millionen mit einem amtlichen Schwerbehindertenausweis, davon zwei im Bundestag. Der Bevölkerungsanteil der schwerbehinderten Menschen beträgt zehn Prozent, der Anteil im Bundestag entspricht im Umfang homöopathischen Dosen.
65, ist Landesbeauftragter für Menschen mit Behinderungen in Niedersachsen. Der Diplom-Pädagoge erblindete mit 22.
Es geht um Macht! Daher fordere ich, dass hier ein politischer Akzent gesetzt wird und ähnlich wie bei der Quote für Frauen und in Teilen auch Migranten, jeder zehnte Listenplatz mit einem Menschen mit Behinderung besetzt wird. Dann wird auch politisch klar: Wir sind keine zu vernachlässigende Minderheit, sondern wir sind gesellschaftlich „mittendrin“ und gehören zu den Top Ten.
Wir brauchen einen Bewusstseinswandel. Und den erreichen wir nur durch eine klare Positionierung und Entscheidung zugunsten der Kompetenz behinderter Menschen. Im Rahmen der Aktionspläne der Bundesregierung und der Länderregierungen muss die Forderung nach jedem zehnten Platz verankert, die Statuten aller demokratischen Parteien müssen gesetzlich geregelt werden. Eine inklusive Gesellschaft heißt, auf allen Ebenen gestalten Menschen mit Behinderungen ihr eigenes Leben und entscheiden mit nichtbehinderten Menschen gemeinsam auf Augenhöhe. Parteien müssen ihre politische Vorreiterrolle wahrnehmen und Menschen mit Behinderungen setzen – jeder 10. Platz ab Europawahl 2014.
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