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Pro & Contra zur „Person des Jahres“Die Wahl zwischen oben und unten

Das US-Magazin „Time“ hat nicht Edward Snowden zur „Person des Jahres“ gekürt, sondern Papst Franziskus I. Eine gute Wahl?

Hier könnte Ihr Foto stehen! Bild: dpa / Time Magazine

JA! Es war ein langer Marsch durch die Institutionen, den Jorge Mario Bergoglio hinter sich hatte, als er schließlich – am 13. März 2013 – zum Papst gewählt wurde. Das Übliche eben: Priesterweihe, Dozent, dann Rektor an einer theologischen Hochschule, der Aufstieg bei den Jesuiten, schließlich Bischofs- und Kardinalswürden. Alle Stationen absolvierte Bergoglio ohne groß aufzufallen.

Kaum aber war er vor neun Monaten ganz oben angekommen, der absolute Herrscher des Weltkatholizismus geworden – da fing er auf einmal an, Kirche von unten zu spielen.

Das hat der Vatikan noch nie erlebt: Einen Papst, der sich eisern als Normalo aufführt, der einfach zum Telefon greift, um irgendwelche Gläubigen anzurufen, der ganz selbstverständlich einer älteren Dame die Tasche aufhebt, die ihr während der Audienz vom Schoß gerutscht ist. Kurz: einen Heiligen Vater, der weit eher Michel Piccoli in Nanni Morettis Film „Habemus Papam“ gleicht, als seinen Vorgängern Ratzinger oder Wojtyla.

Anders als Piccoli aber ging Bergoglio nach seiner Wahl zum Papst nicht stiften, sondern machte sich an die Generalüberholung der Großinstitution, die das Seelenheil von gut einer Milliarde Menschen weltweit verwaltet. Weg von der Sexfixierung, weg von der obsessiven Befassung mit den mittleren und kleinen Sünden der Schäfchen, egal ob hetero oder homo, stattdessen: hin zu den großen Fragen des Elends, der Armut, der Ausschließung.

Völlig neu ist auch die Ansage ans eigene Unternehmen, das er sich als „arme Kirche für die Armen“ wünscht. Der eingeleitete Umbau der Vatikanbank sowie der Kurie – dies dürfte den alteingesessenen konservativen Seilschaften so sauer aufstoßen wie die neuen Botschaften Bergoglios, jenes Papstes, der nach seiner Wahl nicht umsonst ganz unbescheiden den Namen Franziskus wählte. Ganz zweifelsfrei: Das ist der Mann des Jahres. MICHAEL BRAUN

***

NEIN! Wenn es noch eines Beleges für das innere Verrotten des Journalismus bedurft hätte: das Magazin Time hat ihn erbracht. Wenn der Journalist die Wahl hat, zwischen oben und unten, zwischen der Macht und dem Kampf gegen diese, dann wählt er zielsicher das erste. Also den Papst.

Das ist nicht nur in New York so. Als neulich die kleine Journalistin Marietta Slomka den großen SPD-Mann Sigmar Gabriel in Sachen Mitgliederentscheid ein wenig härter anfasste, wen der beiden fanden die meisten von Slomkas KollegInnen anschließend scheiße? Im Falle von Papst Franz fiel die Wahl besonders leicht, weil Macht hier auch noch so schön im Gewand der Ohnmacht daherkommt.

Mit Sicherheit kam sich die Time-Redaktion besonders unabhängig vor, weil man sich nicht von den Snowden-Groupies in der bösen, weiten Welt des Internets hat einschüchtern lassen. Und so sympathisch es auch ist, denen, die aus Snowden unbedingt einen Helden machen wollen, mal ordentlich eine reinzubügeln für ihr Gesellschaftsbild aus der Zeit des Kaiserreichs. So geht es doch bei dieser Wahl gar nicht um Sympathiepunkte. Sondern um Einfluss.

Wer hat in der kurzen Zeit eines Jahres den weiteren Weg zurückgelegt? Ein Mann, der qua Amt nur mit dem Finger schnippen muss, um sich „ins Zentrum der wichtigsten Debatten unserer Zeit“ zu stellen? Oder ein Niemand, der ein weltweites Überwachungs- und damit Einflusssystem in seinen Grundfesten erschüttert hat? Der auch noch eine zentrale Figur des angeblichen Informationszeitalters verkörpert: den Informanten. Ohne den so manches Wissen aus den abgeschotteten Bürokratiebunkern westlicher Demokratien nie nach außen dringen würde.

Das anzuerkennen, hieße auch anzuerkennen, dass es Journalisten allein nicht mehr gebacken kriegen, die Mächtigen zu kontrollieren. Dass sie selbst an Macht verloren haben. Und damit wären wir wieder am Anfang dieses Textes. DANIEL SCHULZ

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19 Kommentare

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  • "Reicher Mann und armer Mann

    Standen da und sahn sich an.

    Und der Arme sagte bleich:

    Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich." Ein treffender Abschnitt aus dem Alfabet von B.Brecht, nicht wahr. Wahrscheinlich kennt Papst Franziskus den Text und hat schon mal deshalb die Vatikanbank auf seiner schwarzen Liste stehren. Dass er noch nicht so lange im Amt ist um bereits Erfolge vorzuweisen, ist ihm nicht anzulasten.

     

    Im Allgemeinen bin ich aber gegen Vorschusslorbeeren, siehe den US-Präsidenten.

  • Die Wahl bestand also zwischen einem, der einen allwissenden göttlichen Vater vertritt, und einem anderen, der einen gerne allwissenden staatlichen Vater entgegentritt.

     

    Ausgewählt wurde Kandidat 1. Vielleicht, weil ein Papst mit einfachen Botschaften mehr Menschen erreicht - und damit den Zeitgeist bestimmt - als ein Snowden mit komplexen Zusammenhängen - auch wenn deren Konsequenzen über die Freiheit des Menschen bestimmen.

     

    Was die NSA also machen muss: Ihr Walten und Schalten mit einfachen Botschaften verkaufen. Weil es funktioniert. Es geht nicht um Kontrolle, sondern Sicherheit. Es geht nicht um Unterwerfung, sondern Ordnung. Es geht nicht um systemische Sklaverei, sondern den Erhalt der Zivilisation. Wir müssen nur daran glauben. Alles wird gut. Oder schlecht.

    • @Regenwetter:

      Wir werden tutti kompletti ausgeschnüffelt. So sonderlich komplexe Zusammenhänge sind das ja (im Kern) auch wieder nicht, die Herr Snowden da offengelegt hätte.

      • @Viccy:

        Wie es aussieht, schenken die Menschen lieber einem gefälligen Kuschelpapst Beachtung, auch wenn der u. U. nicht mehr als ein Märchenonkel ist, als einem, der ungefällige Wahrheiten verkündet.

         

        Woran mag das nur liegen?

        • @Regenwetter:

          Es mag daran liegen, dass die Schnüffelei keinen wirklich überrascht.

  • Die „arme Kirche für die Armen“ und eine reiche Kirche für die Reichen.

    wie immer: "Gleicher unter Gleichen."

  • J
    johnny

    Nein! Wenn der Journalist die Wahl hat zwischen dem Papst und einem offenkundig russischem Agenten, der auf seiner "Flucht" seinen Geburtstag dann in der russischen Botschaft feierte und dann alibimäßig theoretisch ein paar Tage in der Transitzone verbrachte (wo er praktisch nie anzutreffen war), dann kann niemand bei Verstand davon ausgehen, dass das Zufall ist.

     

    Dass beinahe alles, aber nichts zum Schaden Russlands oder Chinas veröffentlich wird (obwohl die NSA jede Menge Erkenntnisse über die Spionagesysteme beider Länder hat), komplettiert das Bild. Wer da noch an einen patriotischen Whistleblower glaubt, dem ist nicht mehr zu helfen.

  • Ein brillanter Werbefachmann, dieser Jesuit Bergoglio. Die Leute fallen reihenweise auf ihn rein.

     

    Er hat strukturell bisher nicht das geringste geändert. Aber eine Menge ist jetzt angekündigt.

     

    Statt die Fakten abzuwarten, ob z.B. der jahrhundertelange Kindesmissbrauch endlich abgestellt wird, wird von seinen Fans im Vorschuss gejubelt, was das Zeug hält.

     

    Frägt man Leute in Argentinien, die ihn kennen, sind die Aussagen dagegen ernüchternd. Ein Unterstützer der Befreiungstheologie? Ganz im Gegenteil. Kooperation mit dem Verbrecher-Regime war dagegen angesagt.

     

    Der sympathische Milliardär (die Vatikanbank ist sein Privateigentum) kann sogar vor den Armen in Lampedusa predigen, ohne einen einzigen Cent Unterstützung aufzuwenden, und sie jubeln ihm zu. Schliesslich fährt er öffentlich auch mit dem Kleinwagen vor.

     

    Es ist eben alles eine Frage der Aussendarstellung. Eine wirklich clevere Wahl nach den PR-Problemen, die die Kirche heute hat!

    • @Volker Birk:

      Der kann Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche ebenso wenig "abstellen", wie es die Regierung in der Bevölkerung kann. Oder wo soll das Knöpfchen zum Ausschalten sein? Gibts leider nicht.

      • @Viccy:

        Ein Knöpfen wäre der Umgang der Kirche mit Homosexuellen. Wenn diese sich in jungen Jahren aufgrund christlich-konservativer Werteerziehung zu keinem Outing durchringen können, ist die Flucht in den "geistlichen" Männer-Club eine naheliegende Option.

         

        Anfangs vielleicht sogar noch, um "geläutert" zu werden. Doch wenn sie da auf Gleichgesinnte treffen, geht's bereits in der Ausbildung rund. Und wenn sie sogar noch Macht über Knaben bekommen, ist das natürlich die denkbar ungünstigste Situation für einen Menschen mit Triebstau.

        • @Regenwetter:

          Als Schwuler in die Kirche zu gehen, dürfte selten "naheliegend" sein.

          • @Viccy:

            Das Buch "Das 11. Gebot: Du sollst nicht darüber sprechen: Dunkle Wahrheiten über das Priesterseminar" erzählt von solchen Zusammenhängen. Vielleicht noch schnell für Weihnachten wünschen? ;-)

            • @Regenwetter:

              Nein, danke.

      • @Viccy:

        Das einzige was er abstellen könnte, ist die Methode der Bischöfe, ihre schwarzen Schafe vor Strafverfolgung zu schützen.

        • @R R:

          Worin besteht diese Methode, die offenbar staatliche Verfolgungsmechanismen außer Kraft setzen kann?

  • Es geht um Einfluss, Herr Schulz. Richtig. Aber Snowden hat nicht ".. ein weltweites Überwachungs- und damit Einflusssystem in seinen Grundfesten erschüttert .." Dieses Sysem ist gefestigter denn je. Dank der Systempresse, der Sie ja die richtige Diagnose gestellt haben. Verrottet.

  • Ich bin der erste Klugscheißer, der bemerkt: Das zweite "JA" sollte wohl ein "NEIN" sein. Man verleihe mir den reblek-Orden 1. Grades dafür.

    • @Viccy:

      Darf es auch ein Jesuitenorden sein? Vergeben. Dem Orden. (Luis de Funes ist etwas füllig geworden.)

  • G
    gast

    Kaum aber war er vor neun Monaten ganz oben angekommen, der absolute Herrscher des Weltkatholizismus geworden – da fing er auf einmal an, Kirche von unten zu spielen.

     

    Das ist ein bösartiger Satz.

     

    Der Mann kennt eben was Not und Leid ist, weil er von dort kommt. Kirche von unten, was ist das für eine blödsinnige Ausdrucksweise.

     

    WEr das Elend kennt, wird nicht dem Prunk der kath. Kirche zustimmen können. Darum ist es sehr gut, wie er das macht.

     

    Bescheidenheit und Einfachheit ist ein reicheres Leben als all der Protz, der Arroganz so mancher Reichen oder Leuten die meinen etwas besseres zu sein.

     

    Lieber so wie der jetztige Papst sein, oder ein Nelson Mandela, das hat einen Sinn danach zu streben, dalles andere ist Oberflächlichkeit, die ja auch in unserem Land so üblich geworden ist. Die oben machen jährlich Milliarden, die unten bekommen nur 1 € oder ein wenig mehr, damit der da oben (wer oder was ist der da oben???) schön reich und jeglichem Luxus leben kann und unsere REgierung unterstützt auch noch die Großen und der Kleine der eh schon knapsen muss bezahlt das, nenne nur Stromkosten, oder Mietpreise, weil einfach alle zu gierig geworden sind und zu arrogant.