Pro & Contra Israel-Warenboykott: Soll Deutschland Druck ausüben?
Sollen Waren aus Israels Siedlergebieten boykottiert werden? Ist ein solcher Boykott mit der deutschen Vergangenheit vereinbar? Eine Annäherung.
J A! Die ungleichen Machtverhältnisse zwischen Israel und den Palästinensern haben dazu geführt, dass Israel das von ihm entwickelte System von ihm kontrollierter und abhängiger palästinensischer Enklaven immer weiter perfektioniert.
Das aber hat fatale Auswirkungen auf beide Gesellschaften: Die Perspektivlosigkeit in den abgeriegelten palästinensischen Gebieten trägt dazu bei, dass die palästinensische Gesellschaft immer konservativer und reaktionärer wird. Aber auch Israels demokratische sowie rechtsstaatliche Strukturen sind betroffen: Mediale Kampagnen und Gesetzesvorhaben richten sich gegen alle, die den offiziellen Kurs ablehnen.
Auch die Rechte der Minderheiten geraten immer mehr in Gefahr: So sollen demnächst 70.000 Beduinen – allesamt israelische Staatsbürger – aus ihren angestammten Dörfern im Süden Israels zugunsten neu zu gründender Gemeinden exklusiv für jüdische Israelis zwangsevakuiert werden.
Der Nahostkonflikt ist zudem keine interne Angelegenheit und hat weitgehende internationale Implikationen: Politisch ist er ein wichtiger Faktor für weitere Radikalisierung in der arabischen und muslimischen Welt; rechtlich stellt Israels Politik einen massiven Bruch mit dem Völkerrecht dar, einem Hauptbaustein der internationalen Friedens- und Ordnungspolitik.
Am Mittwoch, 13. März, findet um 19 Uhr eine Diskussionsveranstaltung zum Thema statt – im taz-Café, Rudi-Dutschke-Straße 23. Der Eintritt ist frei.
BDS („Boycott – Divestment – Sanctions“) – Königsweg zum Frieden oder Sackgasse? Die BDS-Kampagne will erreichen, dass Israel das Völkerrecht einhält. Vorbild ist der Boykott des Apartheidregimes in Südafrika. Kritikerinnen und Kritiker finden den Gedanken skandalös, Israel mit Boykott zu drohen. Tauchen da nicht die Geister deutscher Vergangenheit auf?
Es diskutieren (in Englisch): Omar Barghouti, Ramallah (Autor von „Boykott – Desinvestment – Sanktionen“), Micha Brumlik, Frankfurt (Professor für Erziehungswissenschaften, taz-Autor), Moderation: Georg Baltissen, taz-Redakteur
Leider ist die israelische Gesellschaft anscheinend nicht in der Lage, eine andere Politik einzuschlagen. Das zeigte sich nicht zuletzt an dem Mord an Jitzhak Rabin. Er war der letzte Premier, der Wahlen gewinnen konnte mit dem Ziel, die Kontrolle über die Palästinensergebiete aufzugeben. Die mörderische Gewalt hat gewonnen.
Druck von außen ist folglich notwendig, und gezielter europäischer Druck würde auch funktionieren.
Im Gegensatz zu seiner medialen Präsenz ist Israel ein kleines Land, das in der eigenen Region weitgehend isoliert dasteht und sich nur auf die Unterstützung seiner wenigen, dafür aber mächtigen Freunde im Westen stützen kann. Würde die Unterstützung von der Umsetzung seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen abhängen, wäre Israel ohne Zweifel bereit, den Preis dafür zu zahlen.
Die heute herrschenden Nationalisten in Israel würden einem solchen Druck widerstehen, doch gerade Israels entpolitisierte Mittelschichten würden sich schnell ein Israel ohne Siedlungen vorstellen können, wenn sie die eigenen materiellen Zugewinne der letzten Jahrzehnte gefährdet sähen.
Dieser Gegenentwurf wäre umso attraktiver, wenn Sanktionen eine ordentliche Belohnung zur Seite gestellt würde in Form einer verstärkten Annäherung Israels an die EU nach einem Ausgleich mit den Palästinensern. Die Bundesrepublik ist heute zu mächtig, um dem Problem mit einem Hinweis auf die eigene Geschichte aus dem Weg zu gehen. Die Gestaltung einer kohärenten europäischen Politik wäre ein richtiger Beitrag zum Schutz Israels und zur Förderung demokratischer Entwicklungen im Nahen Osten. TSAFIR COHEN
Der Autor ist Nahostreferent der NGO medico international
+ + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + +
NEIN! Je verworrener die Situation im Nahen Osten, desto lauter sind die Rufe, den Druck auf Israel zu erhöhen. Doch wie können Deutschland und Europa tatsächlich dazu beitragen, eine neue Dynamik im Friedensprozess anzustoßen?
Die Antwort darauf kann nur mehr Kooperation mit Israel, dem wichtigsten Partner Europas im Nahen Osten, heißen. Zunehmend versuchen Kritiker Israels, die Forderung nach der wirtschaftlichen und diplomatischen Isolierung Israels durchzusetzen, um Israel unter Handlungsdruck zu setzen. Die „Boykott Divestment Sanctions“-Bewegung (BDS) lehnt jeglichen Austausch und Handel mit Israel ab. Dieser Aufruf zieht immer weitere Kreise, etwa bei Supermärkten in der Schweiz, NGOs in Deutschland oder dem Jenaer OB.
Hinzu kommt, dass die EU ein Papier nach dem nächsten produziert, um Israel den Weg zum Frieden zu diktieren. Die „privilegierte Partnerschaft“ wird der einzigen Demokratie im Nahen Osten vorenthalten, solange die Siedlungsaktivitäten nicht gestoppt werden. Aus demselben Grund verhinderte das EU-Parlament zwei Jahre lang die Öffnung des Marktes für hochwertige und kostengünstige Generika aus Israel, obwohl diese gar nicht in der Westbank hergestellt werden.
Während die israelische Siedlungspolitik unerlässlich als das Haupthindernis für den Frieden bezeichnet wird, klammert man in Europa zunehmend die Verantwortung der Palästinenser und der arabischen Nachbarstaaten aus. Noch immer wird Israel dort als ein „illegitimer“ Staat bezeichnet und gegen Juden und Zionismus in hasserfüllter Weise polemisiert.
Als Abbas vor der UN-Vollversammlung 2012 die Legitimität Israels scharf angriff, gab es wenige bis überhaupt keine Reaktionen führender Politiker aus Europa. Ebenso gab es kaum Reaktionen auf die Aussage von Ministerpräsident Erdogan im Februar 2013, der den Zionismus als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnete. Europa wird in Israel immer weniger glaubwürdig. Will die EU eine ernsthafte Rolle im Nahen Osten spielen, muss es Israel als Partner auf Augenhöhe behandeln.
Auch die Entscheidung Deutschlands, sich bei der UN-Abstimmung zur einseitigen Anerkennung eines Palästinenserstaates zu enthalten, führte dazu, dass Deutschland bei den Israelis Vertrauen eingebüßt hat. Politischer Druck sollte auf die ausgeübt werden, die seit Jahrzehnten eine Verhandlungslösung torpedieren. Nicht zuletzt durch die Nichtanerkennung des jüdischen Staates.
Israel hingegen braucht kein Druck, sondern die Zuverlässigkeit seiner Verbündeten. Israel ist ein strategischer Partner für Europa bei der Sicherstellung von Sicherheit und Frieden. Wir brauchen mehr Dialog mit Israel, statt einen Dialog über den Partner hinweg. Israel muss stärker auf der internationalen Bühne eingebunden sein. Hier kommt Deutschland eine entscheidende Rolle zu. DEIDRE BERGER
Die Autorin ist Direktorin des American Jewish Committee Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen