Pro & Contra Deutscher Syrien-Einsatz: Auf in den Kampf?
Die Bundeswehr soll den Kampf gegen die Islamisten in Syrien unterstützen. Ist das – trotz aller Risiken – ein richtiger Schritt?
Ja
U m es vorab klar zu sagen: Die Beteiligung Deutschlands mit Streitkräften an der Bekämpfung des IS ist keine Lösung für den syrischen Bürgerkrieg. Sie leistet einen Beitrag zu mehr Sicherheit in der Region. Politische Lösungen gibt es nur auf dem Weg diplomatischer Verhandlungen. Klar ist auch, dass ein Aufbau Syriens nach Assad nur mit Teilen seiner Administration und seines Sicherheitsapparates gelingen kann. Assad selbst kann und darf keine Rolle mehr spielen. Unser Außenminister hat viel dazu beigetragen, den Prozess von Wien zu installieren, wo unter anderem Russland, der Iran und Saudi-Arabien mit an einem Tisch sitzen. Ohne sie wird eine Lösung der Konflikte nicht zu erreichen sein.
Warum sollten wir uns trotzdem am Kampf gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ beteiligen? Seit Jahren beobachten wir mit wachsender Besorgnis das Erstarken des IS im Nahen und Mittleren Osten. Über 6.000 Morde gingen allein 2014 auf sein Konto. Der IS verfügt mittlerweile über ein staatsähnliches Gebilde und kontrolliert große Gebiete im Irak und in Syrien. Der islamische Terrorismus ist mittlerweile eine ernste Bedrohung für Europa und Nordafrika. Lange Zeit über haben die Nachbarländer, auch wir Deutschen, diesem Treiben fassungslos zugesehen, niemand hat sich dem Terror entschieden entgegengestellt.
Aus drei Gründen beteiligen wir uns jetzt militärisch mit 1.200 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Kampf gegen den IS:
Der 65-Jährige ist verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.
1. Die Ausbreitung des IS hat einen Nimbus von Unbesiegbarkeit erzeugt, dem zunehmend junge Männer aus Westeuropa verfallen, über 3.000 sind es mittlerweile, davon sind rund 800 aus Deutschland. Ein weiterer Zustrom sollte in unserem ureigenen Sicherheitsinteresse verhindert werden.
2. Die Franzosen haben in diesem Jahr zwei schreckliche Anschläge erleben müssen, der letzte ist gerade drei Wochen her. Frankreich, unser engster Verbündeter, hat jetzt die Europäer durch Artikel 42 Absatz 7 der EU-Charta um Hilfe gebeten. Dieser Bitte sollten wir nachkommen. Europa ist derzeit in einer tiefen Krise, von der europäischen Solidarität ist wenig zu sehen. In dieser Situation ausgerechnet die besonders enge Partnerschaft zwischen Deutschland und Frankreich aufzukündigen, würde Europa großen Schaden zufügen.
3. Der islamistische Terror ist nicht erst seit den furchtbaren Anschlägen von Paris eine Bedrohung der freien Welt. New York, London, Madrid, Ankara, Sousse, Beirut – drei Resolutionen haben die Vereinten Nationen mittlerweile gegen den islamistischen Terror verabschiedet, die wir mittragen. Dabei geht es nicht um einen Kreuzzug des Westens gegen die muslimische Welt, wie der IS selbst propagiert: Der selbsternannte „Islamische Staat“ will vernichten, wer nicht in sein totalitäres Weltbild passt. Die meisten Opfer, die auf sein Konto gehen, sind Muslime. Wir müssen mit dazu beitragen, dass die Terroristen zurückgedrängt werden.
Jeder Einsatz von Streitkräften hat politische und militärische Risiken. Die Mittel, die die Bundeswehr einbringt, sind deshalb mit Bedacht ausgewählt. Es sind alles Fähigkeiten, die der Koalition gegen den IS nützen – Aufklärung, Luftbetankung und der Schutz des französischen Flugzeugträgers. All dies ist völker- und verfassungsrechtlich abgedeckt.
Nichthandeln birgt ebenfalls Risiken, auch für die Sicherheit in Deutschland. Wir sind schon seit längerem im Fadenkreuz des IS. Als Teil der internationalen Allianz gegen den Terror, bilden wir in Mali Regierungstruppen aus, im Nordirak schulen wir kurdische Peschmerga und beliefern sie mit Waffen, damit sie den IS bekämpfen können.
Der Anschlag in dem Pariser Stadion war auch ein gezielter Anschlag gegen uns Deutsche. Kein Staat wird mit den Herausforderungen des extremistischen Terrors alleine fertig. Sollten auch wir in Deutschland Anschläge nicht verhindern können, werden wir auf Unterstützung durch unsere Partner angewiesen sein. Solidarität ist keine Einbahnstraße. Auch dies gilt es zu bedenken.
VON RAINER ARNOLD
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37, ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag. Sie ist zudem Mitglied im Verteidigungsausschuss.
Nein
Wer fühlt angesichts der extremen Gräueltaten der Terroristen von Daesch nicht Ohnmacht, Trauer und Wut? Wir alle wollen Frankreich beistehen und den Menschen in Syrien und im Irak helfen. Aber Gefühle und Solidarität reichen alleine nicht aus, um einen Militäreinsatz zu rechtfertigen. Die Solidarität mit Frankreich, sie ist ein wichtiges und gewichtiges Argument. Sie darf aber weder das alleinige sein, noch bedeutet sie, dass man allem Folge leisten muss, worum man gebeten wird. Wir Grüne sagen daher weder leichtfertig „Ja“, noch reflexartig „Nein“, wenn unsere französischen Partner uns um Hilfe bitten. Gerade wenn es um Auslandseinsätze der Bundeswehr geht, muss jede Anfrage im Einzelfall sorgfältig und gewissenhaft geprüft werden.
Bei diesen schwierigen Abstimmungen sind für uns Grüne die zentralen Kriterien der Einklang mit dem Völkerrecht und vor allem die Entwicklung einer stimmigen politischen Strategie, die bei den Konfliktursachen ansetzt. Fehlt diese, ist die Gefahr sehr groß, dass ein Militäreinsatz scheitert oder gar noch mehr Schaden anrichtet. Darüber geben nicht nur die im Kern gescheiterten großen Militärinterventionen im Irak, in Libyen und Afghanistan ein trauriges Zeugnis. Insbesondere der „War on Terror“ und der Drohnenkrieg haben den Nährboden für noch mehr Gewalt und Radikalisierung bereitet.
Das aktuelle Syrien-Mandat ist gefährlich vage und lässt viele entscheidende Frage offen – für diesen Kriegseinsatz gibt es kein klares Ziel, keine politische Strategie, keine klare völkerrechtliche Legitimation durch ein Mandat der Vereinten Nationen und keine Exitstrategie. Die Lage in Syrien ist extrem unübersichtlich, zahlreiche Staaten mit widersprüchlichen Interessen treiben dort ihr perfides Machtspiel ohne Rücksicht auf Menschenleben und die politische Stabilität in der Region. Wer genau wird denn unter welchen Begrenzungen Zugriff auf die Aufklärungsdaten der deutschen Tornados haben und wie wird sichergestellt, dass beispielsweise die Türkei sie nicht missbraucht, um gegen die Kurden zu agieren?
Was passiert mit den von Daesch befreiten Gebieten? Wer übernimmt dort die Kontrolle? Das Assad-Regime? Oder die Rebellen? Wären diese dann sicher vor russischen Luftangriffen und Assads Fassbomben? Wird es eine Kooperation mit Russland geben, das in erster Linie mit seinem militärischen Vorgehen die Rebellen und nicht den Daesch im Visier hat?
Wer meint, der Massenmörder Assad sei im Hinblick auf den Kampf gegen Daesch das geringere und notwendige Übel, irrt gewaltig. Dabei geht es nicht nur um Moral und Glaubwürdigkeit, vor allem würde Daesch jede Kooperation sofort für seine Rekrutierungspropaganda ausnutzen.
Daesch wird man nicht militärisch, sondern nur politisch besiegen können. Das sagen auch Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen. Trotzdem tut die Bundesregierung im Kampf gegen den Terrorismus politisch viel zu wenig und handelt gefährlich inkonsequent, während sie die Entscheidung für den Bundeswehreinsatz wieder einmal schnell und unüberlegt fällt.
Sie schaut bei der schwierigen Rolle der Türkei weg und schließt Waffengeschäfte mit Staaten wie Katar und Saudi-Arabien ab, die zulassen, dass einflussreiche Personen aus diesen Ländern den Daesch-Terror finanzieren und fördern. Sie geht bestenfalls halbherzig die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Ursachen an, um der ekelhaften und gefährlichen Ideologie von Daesh den Nährboden zu entziehen.
Die Bundesregierung könnte viel mehr tun beispielsweise für den Versöhnungsprozess im Irak, wo viele Sunniten seit Jahren politisch und wirtschaftlich ausgeschlossen wurden und sich daher Daesch angeschlossen haben. Sie müsste sich für die Umsetzung der UN-Resolutionen einsetzen, die ein Ende der grausamen Fassbomben-Bombardements und humanitären Zugang zu den Gebieten in Syrien verlangen.
All das wären wichtige und sinnvolle Beiträge im Kampf gegen Daesch und für die Menschen in Syrien und im Irak – ein Militäreinsatz ohne klares Ziel, voller offener Fragen und mit zahlreichen Risiken ist es nicht.
VON AGNIESZKA BRUGGER
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