Privatgrundstück wird Schulfläche: Ein Lehrstück in Sachen Enteignung
Öffentliche Bauflächen sind Mangelware. In Friedrichshain erklärt der Bezirk jetzt ein Privatgrundstück zum künftigen Schulstandort.
Berlin taz | Wäre es nach dem Eigentümer gegangen, wäre auf der innerstädtischen Brachfläche an den S-Bahn-Gleisen westlich vom Ostbahnhof ein Bankenquartier entstanden. Doch dem hat das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg durch einen Beschluss am Dienstag einen Riegel vorgeschoben.
Die Fläche, etwa so groß wie drei Fußballfelder, zwischen Andreas-, Krautstraße und Lange Straße soll zu einem Schul- und Sportstandort werden. Das Areal wird „für öffentliche Bedarfe im Bereich Infrastruktur gesichert“, heißt es vom Bezirksamt nüchtern. Dafür werden die Planungsziele des Bebauungsplans entsprechend geändert, von einem Mischgebiet, das für eine Bebauung mit Wohn- und Bürogebäuden vorgesehen war, zu einem Gebiet für Schule und Sport.
Der Vorgang ist ungewöhnlich, denn der Beschluss des Bezirksamtes bedeutet für den Eigentümer, dass er mit seinem Grundstück faktisch nichts mehr anfangen kann. Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) betont im Gespräch mit der taz das „Recht der Kommune“, ihren Gemeinbedarf festzulegen. Es sei normal, mit Privaten über die Bereitstellung von Flächen, etwa durch Tauschgeschäfte zu verhandeln, so Schmidt, „ungewöhnlich ist die Komplettbeanspruchung“ des Grundstücks.
Diese sei jedoch notwendig, begründet der Bezirk, da es für Schulneubauten keine geeigneten nicht privaten Flächen mehr gebe. Im denkmalgeschützten Fabrikgebäude auf dem Gelände will sich eine private Hochschule einrichten.
Verkauf oder Enteignung
Schmidt, sonst gerne als Spekulantenschreck unterwegs, vollzieht in diesem Fall, was das Schulamt als Bedarf angemeldet und das Bezirksamt beauftragt hat. „Der Bezirk wird dem Eigentümer ein Kaufangebot machen“, so Schmidt. Wenn dies nicht zum Erfolg führe, kann nach Abschluss des Bebauungsplanverfahrens in etwa zwei Jahren ein „Enteignungsverfahren“ durchgeführt werden. „Die Entschädigung wäre überschaubar“, so Schmidt; er hoffe jedoch auf die Einsicht und das „soziale Verantwortungsbewusstsein des Eigentümers“.
Danach sieht es allerdings nicht unbedingt aus: Der taz teilten die Eigentümer Achaz von Oertzen und Roland Berger von der Saltire GmbH mit, dass durch den „Beschluss des Bezirksamts der gewünschte Schulstandort keineswegs zeitnah umsetzbar ist“. Vielmehr könne der Bezirk seinen Gemeinwohlbedarf „nur im Einvernehmen mit uns, den Eigentümern“, realisieren. Weiterhin heißt es: „Unser Grundstück ist ausreichend groß, um sowohl den öffentlichen als auch unseren Interessen gerecht zu werden.“ Hinter der verbalen Kompromissbereitschaft lässt sich herauslesen: Einfach verkaufen wollen sie wohl nicht.
Die Noch-Eigentümer sind in Berlin bekannt, zumindest die mit ihr verbundene Gesellschaft Cesa Investment. Der Gruppe gehörte etwa die vor wenigen Wochen kurzzeitig besetzte Patzenhofer-Brauerei in der Landsberger Allee 54, die Cesa bis zum Verkauf mindestens fünf Jahre leerstehen ließ. Für das Gebiet am Ostbahnhof stellte der Bezirk schon 2011 fest, dass es seit über zehn Jahren brachliegt. Während hier also auf den Zeitpunkt für die maximale Verwertung gewartet wurde, wird in Mitte richtig geklotzt. Auf Filetgrundstücken in der Alexander- und Holzmarktstraße planen die Investoren Hotel- und Bürotürme.
Leser*innenkommentare
rero
Der Bebauungsplan wird geändertt, damit sich dort eine private (!) Hochschule ansiedeln kann?
Und gegebenenfalls soll das Grundstück dafür enteignet werden?
Ich habe da was falsch verstanden, oder?
Das Bezirksamt will für Private enteignen, und der Autor tut als wäre das nun der große Durchbruch für die öffentlichen Interessen?
Eine private Hochschule kann sich überall in Berlin ansiedeln.
Ich habe null Verständnis dafür, dass Steuergelder für elitäre private Projekte verbraten werden.
Ich hoffe immer noch, ich habe da etwas falsch verstanden.
Andreas V.
@rero Auf der riesigen Freifläche, die schon 2011 als über zehn Jahre brachliegend in der BVV gemeldet wurde (dreiste Grundstücksspekulation!), sollen vor allem dringend nötige öffentliche Schulgebäude und Sportplätze gebaut werden.
www.berlin.de/ba-f...teilung.861826.php
Die private Hochschule könnte in ein bereits bestehendes, denkmalgeschütztes Fabrikgebäude einziehen, das wohl nicht als Schulstandort geeignet ist.
Andreas V.
Schön, wenn Immobilieninvestoren, die Grundstücke zwecks Rendite absichtlich brachliegen lassen, auf diese Weise zu etwas gesellschaftlicher Verantwortung gedrängt werden. Diesem Beispiel sollten auch andere Bezirke folgen.
Wenn Menschen für Autobahnen (A100), Braunkohleabbau etc. enteignet werden, sollten Enteignungen für dringend nötige Schulen selbstverständlich sein (jedenfalls als zweiter Schritt nach einem fairen Kaufangebot).
bärin
Grundsätzlich dürfte es kein Privateigentum an Boden geben. Boden ist nicht vermehrbar und private Spekulanten können sich hemmungslos bereichern, in der Stadt und auf dem Land. Auf der anderen Seite ist es nicht möglich oder nur schwer möglich, Finanztransaktionen und Finanzerträge überhaupt oder angemessen zu besteuern. Und da Geld vor allem auch Macht bedeutet, gerät die Angelegenheit zum Teufelskreis. Der Bürger zahlt und die Reichen mehren Geld und Einfluss. Nur der Bürger kapiert es nicht. Und reibt sich lieber am Baustadtrat auf.
08088 (Profil gelöscht)
Gast
@bärin Warum soll es kein Privateigentum an Boden geben dürfen? Erst Eigentum sorgt dafür, dass sich jemand anstrengt, um etwas zu erreichen. Zudem kann er in einem normalen Rechtsstaat sicher sein, dass er dies auch nutzen darf und nicht dem Gutdünken von Regierenden ausgesetzt ist.
DiMa
Hat der Bezirk nicht erst vor kurzem den Schulstandort Gerhart-Hauptmann-Schule aufgegeben und auch am Ostkreuz wurde erst kürzlich eine große ehemalige Schule in ein Hostel umgewandelt. Die Bevölkerungsentwicklung war doch damals längst absehbar von daher ist der jetzige Rückgriff auf ein Privatgrundstück mehr als unredlich.
08088 (Profil gelöscht)
Gast
Das wird lustig und geht jetzt bestimmt 10 Jahre lang durch alle Instanzen. Da ist Bauverhinderer Schmidt schon im Ruhestand und lebt gemütlich in seiner staatsfinanzierten Wohnung.
Tabus überall
Was es das Land Berlin letztlich kosten wird, ist derzeit nicht bekannt und wird ggf. erst durch ein Gericht entschieden. Zu diesem Zeitpunkt wird der Bezirksstadtrat sicherlich längst das Weite gesucht haben.